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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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übrigen Gefangenen legte übrigens Akbar nach wie vor die nämliche Zuvor¬
kommenheit und Artigkeit an den Tag, wie denn überhaupt in dem ganzen
Feldzuge das Wesen dieses Mannes, der sich bald als Barbar, bald wie ein
gesitteter Abendländer, einmal hinterlistig, dann wieder treu am gegebenen
Worte haltend, zeigte, höchst räthselhaft erscheinen mußte. Auch von den übrigen
zur Eskorte gehörigen Afghanen hebt der Berichterstatter das Eine rühmend
hervor, daß sie sich auf dem ganzen Zuge als liebenswürdige Gesellschafter
voll Humor bewährten, denen es keineswegs an leichter und gentlemanmäßiger
Tournüre fehlte. Akbar hatte sogar den Offizieren den Degen gelassen, sie mit
Geld versehen und ihnen gestattet, einen gewissen Verkehr mit der Garnison
von Jellalabad zu unterhalten, von wo eines Tages zur unaussprechlichen
Freude der Vielgeprüften ein Packet Briefe und Zeitungen, und außerdem
Kleider und -- reine Wäsche eintraf. Uebrigens erfuhren sie bei dieser Ge¬
legenheit, daß der Doktor Brydon als einziger Ueberlebender in Jellalabad
eingetroffen und, was das Wichtigste war, daß von Indien her Verstärkung
im Anzüge sei. Auch die gewaltsame Tödtung des Schah Soudja durch einen
seiner Diener in Cabul wurde gemeldet.

Charakteristisch für den Engländer ist auch die Erwähnung eines Labsals
andrer Art, welches den Gefangenen unerwarteter Weise gestattet und nament¬
lich von den Damen mit nicht minder dankerfüllten Herzen genossen wurde,
als jene langentbehrten physischen Stärkungen. An einem Sonntage wurde
plötzlich 24 Stunden Rast gewährt, und sofort schickten sich die Damen an,
den bisher schmerzlich vermißten Gottesdienst, so weit die äußeren Umstände
es erlaubten, zu organistren und rite abzuhalten, der Sitte ihrer Landsleute
auch hierin treu, die auch auf Reisen und in jeder ungewöhnlichen Lebenslage
sogar die liturgischen Formen ambulant zu machen wissen. Weniger tröstlich
wirkte die bald darauf, gemachte Erfahrung, daß die Afghanen angefangen
hatten, sich ihre werthvollere Habe anzueignen. So belegte einer der vornehmen
Afghanen einen der Wittwe des Botschafters gehörigen kostbaren Cachemirshawl,
der auf 5000 Pfund Sterling geschätzt wurde, mit Beschlag und außerdem
etwa für 10,000 Pfund Schmucksachen, wobei sich allerdings die Frage auf¬
drängt: wozu solcher kolossale Luxus im Feldlager? Um diese Zeit erlag auch
der schwer geprüfte General Elphinstone seinen Leiden, unter denen die mora¬
lischen im Bewußtsein der auf ihm lastenden Verantwortlichkeit nicht die ge¬
ringeren gewesen sein mögen. Es war am 23. April, und Mohamed Akbar
gestattete, daß die Leiche durch einen als Afghanen verkleideten englischen
Soldaten nach Jellalabad übergeführt würde. Als er vernahm, daß ein Trupp
Eingeborener über den Sarg hergefallen war und den Leichnam mit Steinen
beworfen hatte, schien er über diese ruchlose That nicht wenig aufgeregt zu


übrigen Gefangenen legte übrigens Akbar nach wie vor die nämliche Zuvor¬
kommenheit und Artigkeit an den Tag, wie denn überhaupt in dem ganzen
Feldzuge das Wesen dieses Mannes, der sich bald als Barbar, bald wie ein
gesitteter Abendländer, einmal hinterlistig, dann wieder treu am gegebenen
Worte haltend, zeigte, höchst räthselhaft erscheinen mußte. Auch von den übrigen
zur Eskorte gehörigen Afghanen hebt der Berichterstatter das Eine rühmend
hervor, daß sie sich auf dem ganzen Zuge als liebenswürdige Gesellschafter
voll Humor bewährten, denen es keineswegs an leichter und gentlemanmäßiger
Tournüre fehlte. Akbar hatte sogar den Offizieren den Degen gelassen, sie mit
Geld versehen und ihnen gestattet, einen gewissen Verkehr mit der Garnison
von Jellalabad zu unterhalten, von wo eines Tages zur unaussprechlichen
Freude der Vielgeprüften ein Packet Briefe und Zeitungen, und außerdem
Kleider und — reine Wäsche eintraf. Uebrigens erfuhren sie bei dieser Ge¬
legenheit, daß der Doktor Brydon als einziger Ueberlebender in Jellalabad
eingetroffen und, was das Wichtigste war, daß von Indien her Verstärkung
im Anzüge sei. Auch die gewaltsame Tödtung des Schah Soudja durch einen
seiner Diener in Cabul wurde gemeldet.

Charakteristisch für den Engländer ist auch die Erwähnung eines Labsals
andrer Art, welches den Gefangenen unerwarteter Weise gestattet und nament¬
lich von den Damen mit nicht minder dankerfüllten Herzen genossen wurde,
als jene langentbehrten physischen Stärkungen. An einem Sonntage wurde
plötzlich 24 Stunden Rast gewährt, und sofort schickten sich die Damen an,
den bisher schmerzlich vermißten Gottesdienst, so weit die äußeren Umstände
es erlaubten, zu organistren und rite abzuhalten, der Sitte ihrer Landsleute
auch hierin treu, die auch auf Reisen und in jeder ungewöhnlichen Lebenslage
sogar die liturgischen Formen ambulant zu machen wissen. Weniger tröstlich
wirkte die bald darauf, gemachte Erfahrung, daß die Afghanen angefangen
hatten, sich ihre werthvollere Habe anzueignen. So belegte einer der vornehmen
Afghanen einen der Wittwe des Botschafters gehörigen kostbaren Cachemirshawl,
der auf 5000 Pfund Sterling geschätzt wurde, mit Beschlag und außerdem
etwa für 10,000 Pfund Schmucksachen, wobei sich allerdings die Frage auf¬
drängt: wozu solcher kolossale Luxus im Feldlager? Um diese Zeit erlag auch
der schwer geprüfte General Elphinstone seinen Leiden, unter denen die mora¬
lischen im Bewußtsein der auf ihm lastenden Verantwortlichkeit nicht die ge¬
ringeren gewesen sein mögen. Es war am 23. April, und Mohamed Akbar
gestattete, daß die Leiche durch einen als Afghanen verkleideten englischen
Soldaten nach Jellalabad übergeführt würde. Als er vernahm, daß ein Trupp
Eingeborener über den Sarg hergefallen war und den Leichnam mit Steinen
beworfen hatte, schien er über diese ruchlose That nicht wenig aufgeregt zu


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[0425] übrigen Gefangenen legte übrigens Akbar nach wie vor die nämliche Zuvor¬ kommenheit und Artigkeit an den Tag, wie denn überhaupt in dem ganzen Feldzuge das Wesen dieses Mannes, der sich bald als Barbar, bald wie ein gesitteter Abendländer, einmal hinterlistig, dann wieder treu am gegebenen Worte haltend, zeigte, höchst räthselhaft erscheinen mußte. Auch von den übrigen zur Eskorte gehörigen Afghanen hebt der Berichterstatter das Eine rühmend hervor, daß sie sich auf dem ganzen Zuge als liebenswürdige Gesellschafter voll Humor bewährten, denen es keineswegs an leichter und gentlemanmäßiger Tournüre fehlte. Akbar hatte sogar den Offizieren den Degen gelassen, sie mit Geld versehen und ihnen gestattet, einen gewissen Verkehr mit der Garnison von Jellalabad zu unterhalten, von wo eines Tages zur unaussprechlichen Freude der Vielgeprüften ein Packet Briefe und Zeitungen, und außerdem Kleider und — reine Wäsche eintraf. Uebrigens erfuhren sie bei dieser Ge¬ legenheit, daß der Doktor Brydon als einziger Ueberlebender in Jellalabad eingetroffen und, was das Wichtigste war, daß von Indien her Verstärkung im Anzüge sei. Auch die gewaltsame Tödtung des Schah Soudja durch einen seiner Diener in Cabul wurde gemeldet. Charakteristisch für den Engländer ist auch die Erwähnung eines Labsals andrer Art, welches den Gefangenen unerwarteter Weise gestattet und nament¬ lich von den Damen mit nicht minder dankerfüllten Herzen genossen wurde, als jene langentbehrten physischen Stärkungen. An einem Sonntage wurde plötzlich 24 Stunden Rast gewährt, und sofort schickten sich die Damen an, den bisher schmerzlich vermißten Gottesdienst, so weit die äußeren Umstände es erlaubten, zu organistren und rite abzuhalten, der Sitte ihrer Landsleute auch hierin treu, die auch auf Reisen und in jeder ungewöhnlichen Lebenslage sogar die liturgischen Formen ambulant zu machen wissen. Weniger tröstlich wirkte die bald darauf, gemachte Erfahrung, daß die Afghanen angefangen hatten, sich ihre werthvollere Habe anzueignen. So belegte einer der vornehmen Afghanen einen der Wittwe des Botschafters gehörigen kostbaren Cachemirshawl, der auf 5000 Pfund Sterling geschätzt wurde, mit Beschlag und außerdem etwa für 10,000 Pfund Schmucksachen, wobei sich allerdings die Frage auf¬ drängt: wozu solcher kolossale Luxus im Feldlager? Um diese Zeit erlag auch der schwer geprüfte General Elphinstone seinen Leiden, unter denen die mora¬ lischen im Bewußtsein der auf ihm lastenden Verantwortlichkeit nicht die ge¬ ringeren gewesen sein mögen. Es war am 23. April, und Mohamed Akbar gestattete, daß die Leiche durch einen als Afghanen verkleideten englischen Soldaten nach Jellalabad übergeführt würde. Als er vernahm, daß ein Trupp Eingeborener über den Sarg hergefallen war und den Leichnam mit Steinen beworfen hatte, schien er über diese ruchlose That nicht wenig aufgeregt zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/425>, abgerufen am 05.02.2025.