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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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eine furchtbare Weise zusammengepfercht, von etwa 20,000 Afghanen umlagert
wurden. Erst nachdem die indischen Soldaten, auf welche die Eingeborenen
hauptsächlich wüthend waren, nächtlicher Weile abgezogen und auf freiem Felde
theils zusammengehauen, theils lebendig gefangen genommen waren, verbrannten
sie die Fahnen des Regiments und streckten die Waffen. Welche Leiden sie in
der nun folgenden mehrmonatlichen Gefangenschaft zu erdulden hatten, schildert
Crawford in ergreifender Weise. Er selbst war mit neun anderen zusammen
in eine Kammer von etwa zwölf Fuß Länge gepackt worden, in der sie sich
kaum bewegen konnten. Bei dem Mangel an frischer Wäsche nahm das Un¬
geziefer in grauenerregendem Maße überHand, und die Luft war, da Thür und
Fenster verrammelt blieben, so schlecht und verpestet, daß das Athmen beträcht¬
lich erschwert wurde. Da die Afghanen wähnten, daß die Engländer ihr Geld
vergraben hätten, so wurde Oberst Palmer, um ein Geständniß von ihm zu
erpressen, gefoltert und die Offiziere mit demselben Loose bedroht. Erst gegen
Ende Mai führte man sie nach Cabnl, wo ihnen Mohamed War mit auf¬
fallender Freundlichkeit und allen Zeichen des Wohlwollens entgegen kam. Wir
lassen sie einstweilen hier, um zunächst zu Lieutenant Eure und seinen Leidens¬
gefährten zurückzukehren, die, wie oben erzählt, der Sirdar unter seinen Schutz
genommen hatte. Im Lager desselben angelangt, trafen sie mit Major Pottinger
und den übrigen Geiseln zusammen und erfuhren von den afghanischen Vor¬
nehmen eine erträgliche Behandlung. Freilich mußten sie mit drei elenden, mit
Rauch angefüllten Hütten vorlieb nehmen und auf dem Boden kauernd nach
Orientalenweise mit den Fingern in die gemeinsame Schüssel greifen; aber was
wollte dieses kleine Ungemach bedeuten gegen die namenlosen Leiden ihrer
Landsleute, deren blutige Leichen jetzt auf den Schneefeldern und in den
Schluchten des Gebirges lagen! Wohl die schwerste Prüfung hatten sie beim
Anblicke der auf dem ganzen Marsche auf dem Wege und zur Seite desselben
hingestreckten Leichen und Verwundeten zu bestehen. Unter den Letzteren flehten
viele, die hilflos und in ihrem Blute schwimmend dalagen, als sie ihre Waffen¬
gefährten vorüberziehen sahen, unter Klagegeschrei, ihnen Beistand zu leisten
oder ihren Leiden ein Ende zu machen. Sie mußten, wenn auch mit blutendem
Herzen, die Aermsten ihrem Schicksal überlassen.

Als der Zug nach viertägigem Marsche bei einem afghanischen Fort an¬
langte, wurden sie mit Brod und Hammelfleisch bewirthet; ja zum ersten Male
wieder nach langer Zeit gab es Thee, den der englische Soldat so ungern
entbehrt, wie der französische seine Suppe und der deutsche die Pfeife oder die
Cigarre. Am folgenden Tag mußte über einen fehr reißenden Strom gesetzt
werden, wobei die Damen von afghanischen Reitern hinter sich aufs Pferd
genommen wurden. Sowohl gegen diese wie gegen ihre Ehemänner und die


eine furchtbare Weise zusammengepfercht, von etwa 20,000 Afghanen umlagert
wurden. Erst nachdem die indischen Soldaten, auf welche die Eingeborenen
hauptsächlich wüthend waren, nächtlicher Weile abgezogen und auf freiem Felde
theils zusammengehauen, theils lebendig gefangen genommen waren, verbrannten
sie die Fahnen des Regiments und streckten die Waffen. Welche Leiden sie in
der nun folgenden mehrmonatlichen Gefangenschaft zu erdulden hatten, schildert
Crawford in ergreifender Weise. Er selbst war mit neun anderen zusammen
in eine Kammer von etwa zwölf Fuß Länge gepackt worden, in der sie sich
kaum bewegen konnten. Bei dem Mangel an frischer Wäsche nahm das Un¬
geziefer in grauenerregendem Maße überHand, und die Luft war, da Thür und
Fenster verrammelt blieben, so schlecht und verpestet, daß das Athmen beträcht¬
lich erschwert wurde. Da die Afghanen wähnten, daß die Engländer ihr Geld
vergraben hätten, so wurde Oberst Palmer, um ein Geständniß von ihm zu
erpressen, gefoltert und die Offiziere mit demselben Loose bedroht. Erst gegen
Ende Mai führte man sie nach Cabnl, wo ihnen Mohamed War mit auf¬
fallender Freundlichkeit und allen Zeichen des Wohlwollens entgegen kam. Wir
lassen sie einstweilen hier, um zunächst zu Lieutenant Eure und seinen Leidens¬
gefährten zurückzukehren, die, wie oben erzählt, der Sirdar unter seinen Schutz
genommen hatte. Im Lager desselben angelangt, trafen sie mit Major Pottinger
und den übrigen Geiseln zusammen und erfuhren von den afghanischen Vor¬
nehmen eine erträgliche Behandlung. Freilich mußten sie mit drei elenden, mit
Rauch angefüllten Hütten vorlieb nehmen und auf dem Boden kauernd nach
Orientalenweise mit den Fingern in die gemeinsame Schüssel greifen; aber was
wollte dieses kleine Ungemach bedeuten gegen die namenlosen Leiden ihrer
Landsleute, deren blutige Leichen jetzt auf den Schneefeldern und in den
Schluchten des Gebirges lagen! Wohl die schwerste Prüfung hatten sie beim
Anblicke der auf dem ganzen Marsche auf dem Wege und zur Seite desselben
hingestreckten Leichen und Verwundeten zu bestehen. Unter den Letzteren flehten
viele, die hilflos und in ihrem Blute schwimmend dalagen, als sie ihre Waffen¬
gefährten vorüberziehen sahen, unter Klagegeschrei, ihnen Beistand zu leisten
oder ihren Leiden ein Ende zu machen. Sie mußten, wenn auch mit blutendem
Herzen, die Aermsten ihrem Schicksal überlassen.

Als der Zug nach viertägigem Marsche bei einem afghanischen Fort an¬
langte, wurden sie mit Brod und Hammelfleisch bewirthet; ja zum ersten Male
wieder nach langer Zeit gab es Thee, den der englische Soldat so ungern
entbehrt, wie der französische seine Suppe und der deutsche die Pfeife oder die
Cigarre. Am folgenden Tag mußte über einen fehr reißenden Strom gesetzt
werden, wobei die Damen von afghanischen Reitern hinter sich aufs Pferd
genommen wurden. Sowohl gegen diese wie gegen ihre Ehemänner und die


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[0424] eine furchtbare Weise zusammengepfercht, von etwa 20,000 Afghanen umlagert wurden. Erst nachdem die indischen Soldaten, auf welche die Eingeborenen hauptsächlich wüthend waren, nächtlicher Weile abgezogen und auf freiem Felde theils zusammengehauen, theils lebendig gefangen genommen waren, verbrannten sie die Fahnen des Regiments und streckten die Waffen. Welche Leiden sie in der nun folgenden mehrmonatlichen Gefangenschaft zu erdulden hatten, schildert Crawford in ergreifender Weise. Er selbst war mit neun anderen zusammen in eine Kammer von etwa zwölf Fuß Länge gepackt worden, in der sie sich kaum bewegen konnten. Bei dem Mangel an frischer Wäsche nahm das Un¬ geziefer in grauenerregendem Maße überHand, und die Luft war, da Thür und Fenster verrammelt blieben, so schlecht und verpestet, daß das Athmen beträcht¬ lich erschwert wurde. Da die Afghanen wähnten, daß die Engländer ihr Geld vergraben hätten, so wurde Oberst Palmer, um ein Geständniß von ihm zu erpressen, gefoltert und die Offiziere mit demselben Loose bedroht. Erst gegen Ende Mai führte man sie nach Cabnl, wo ihnen Mohamed War mit auf¬ fallender Freundlichkeit und allen Zeichen des Wohlwollens entgegen kam. Wir lassen sie einstweilen hier, um zunächst zu Lieutenant Eure und seinen Leidens¬ gefährten zurückzukehren, die, wie oben erzählt, der Sirdar unter seinen Schutz genommen hatte. Im Lager desselben angelangt, trafen sie mit Major Pottinger und den übrigen Geiseln zusammen und erfuhren von den afghanischen Vor¬ nehmen eine erträgliche Behandlung. Freilich mußten sie mit drei elenden, mit Rauch angefüllten Hütten vorlieb nehmen und auf dem Boden kauernd nach Orientalenweise mit den Fingern in die gemeinsame Schüssel greifen; aber was wollte dieses kleine Ungemach bedeuten gegen die namenlosen Leiden ihrer Landsleute, deren blutige Leichen jetzt auf den Schneefeldern und in den Schluchten des Gebirges lagen! Wohl die schwerste Prüfung hatten sie beim Anblicke der auf dem ganzen Marsche auf dem Wege und zur Seite desselben hingestreckten Leichen und Verwundeten zu bestehen. Unter den Letzteren flehten viele, die hilflos und in ihrem Blute schwimmend dalagen, als sie ihre Waffen¬ gefährten vorüberziehen sahen, unter Klagegeschrei, ihnen Beistand zu leisten oder ihren Leiden ein Ende zu machen. Sie mußten, wenn auch mit blutendem Herzen, die Aermsten ihrem Schicksal überlassen. Als der Zug nach viertägigem Marsche bei einem afghanischen Fort an¬ langte, wurden sie mit Brod und Hammelfleisch bewirthet; ja zum ersten Male wieder nach langer Zeit gab es Thee, den der englische Soldat so ungern entbehrt, wie der französische seine Suppe und der deutsche die Pfeife oder die Cigarre. Am folgenden Tag mußte über einen fehr reißenden Strom gesetzt werden, wobei die Damen von afghanischen Reitern hinter sich aufs Pferd genommen wurden. Sowohl gegen diese wie gegen ihre Ehemänner und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/424>, abgerufen am 05.02.2025.