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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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und sich gegen Jellabad hin durchzuschlagen; aber er konnte zu keinem Ent¬
schlüsse kommen. -- Am 22. Dezember ließ sich der Botschafter auf die jammer¬
vollste Weise von den hinterlistigen Afghanen in's Verderben locken. Die
Hauptleute Mackenzie und Lawrence haben über den Hergang ausführliche Be¬
richte hinterlassen. Hiernach erschienen zwei afghanische Vornehme in Begleitung
des Hauptmanns Skinner, der sich seit dem Ausbruche der Empörung in Cabul
verborgen gehalten hatte, im englischen Lager und ersuchten Mac-Naghten im
Namen Mohamed-Akbar's, sich zu einer letzten Zusammenkunft auf das freie
Feld heranszuvegeben und inzwischen eine Truppenabtheilung für einen Aus¬
fall in Bereitschaft zu halten, welche dann ans ein gegebenes Zeichen sich den
Leuten Akbar's anschließen und Amenoulcih Khan, den wüthendsten Feind der
Briten, überrumpeln und gefangen nehmen sollte. Einer der beiden Abgesandten
erbot sich außerdem, gegen eine gewisse Belohnung dem englischen Befehlshaber
den Kopf Amenvulah's zu überbringen, ein Anerbieten, welches übrigens sofort
mit Entrüstung zurückgewiesen wurde. Akbar sagte seinen Beistand uuter der
Bedingung zu, daß er selbst zum Vizier des Schah ernannt und ihm ein Jahres¬
gehalt von vier Lak Rupien zugesichert, und außerdem die Summe von dreißig
Lack sofort entrichtet würde. Ferner solle ihm das britische Heer bei der
Unterwerfung der übrigen Stammeshäupter behilflich sein und erst acht Monate
nach vollzogener Pazisikation Afghanistan's das Land verlassen. Das Ganze
war natürlich eine im afghanischen Kriegsrathe beschlossene Kriegslist, obwohl
in demselben nicht Wenige auf schleunige und gewissenhafte Erfüllung der Ver¬
träge gedrungen hatten, die sie auf immer von der britischen Okkupation be¬
freien sollte.

Der Botschafter ging mit einer Kurzsichtigkeit und Verblendung, um nicht
zu sagen mit sträflichen Leichtsinne in die Falle, die noch heute ebenso unbe¬
greiflich wie damals erscheinen müssen. Nicht damit zufrieden, daß er die
Vorschläge ohne Bedenkzeit cckzeptirte, händigte er auch noch deu Abgesandten
des Sirdars ein in persischer Sprache verfaßtes Schriftstück als Unterpfand für
die gewissenhafte Ausführung des Vertrages ein. Erst am folgenden Morgen
machte er deu Hauptleuten Trevvr, Lawrence und Mackenzie vou diesem ver-
hängnißvollen Schritte Mittheilung und ersuchte sie, ihn zu begleiten. Der
zuletzt Genannte durchschallte sogleich die verräterischen Absichten des Afghanen
und warnte Mac-Naghten, aber ohne Erfolg. Dann erhielt Lawrence den
Befehl, nach der Zitadelle zu reiten und dem Soudja vom Geschehenen Mit¬
theilung zu machen. Auf alle noch so dringenden Vorstellungen erfolgte die
Antwort: "Es mag Gefahr im Anzüge sein, aber ich muß es riskiren. Lieber
möchte ich zehnmal den Tod erleiden, als noch einmal sechs Wochen wie die
verflossenen durchmachen." Er hatte den General Elphinstone gebeten, zwei


und sich gegen Jellabad hin durchzuschlagen; aber er konnte zu keinem Ent¬
schlüsse kommen. — Am 22. Dezember ließ sich der Botschafter auf die jammer¬
vollste Weise von den hinterlistigen Afghanen in's Verderben locken. Die
Hauptleute Mackenzie und Lawrence haben über den Hergang ausführliche Be¬
richte hinterlassen. Hiernach erschienen zwei afghanische Vornehme in Begleitung
des Hauptmanns Skinner, der sich seit dem Ausbruche der Empörung in Cabul
verborgen gehalten hatte, im englischen Lager und ersuchten Mac-Naghten im
Namen Mohamed-Akbar's, sich zu einer letzten Zusammenkunft auf das freie
Feld heranszuvegeben und inzwischen eine Truppenabtheilung für einen Aus¬
fall in Bereitschaft zu halten, welche dann ans ein gegebenes Zeichen sich den
Leuten Akbar's anschließen und Amenoulcih Khan, den wüthendsten Feind der
Briten, überrumpeln und gefangen nehmen sollte. Einer der beiden Abgesandten
erbot sich außerdem, gegen eine gewisse Belohnung dem englischen Befehlshaber
den Kopf Amenvulah's zu überbringen, ein Anerbieten, welches übrigens sofort
mit Entrüstung zurückgewiesen wurde. Akbar sagte seinen Beistand uuter der
Bedingung zu, daß er selbst zum Vizier des Schah ernannt und ihm ein Jahres¬
gehalt von vier Lak Rupien zugesichert, und außerdem die Summe von dreißig
Lack sofort entrichtet würde. Ferner solle ihm das britische Heer bei der
Unterwerfung der übrigen Stammeshäupter behilflich sein und erst acht Monate
nach vollzogener Pazisikation Afghanistan's das Land verlassen. Das Ganze
war natürlich eine im afghanischen Kriegsrathe beschlossene Kriegslist, obwohl
in demselben nicht Wenige auf schleunige und gewissenhafte Erfüllung der Ver¬
träge gedrungen hatten, die sie auf immer von der britischen Okkupation be¬
freien sollte.

Der Botschafter ging mit einer Kurzsichtigkeit und Verblendung, um nicht
zu sagen mit sträflichen Leichtsinne in die Falle, die noch heute ebenso unbe¬
greiflich wie damals erscheinen müssen. Nicht damit zufrieden, daß er die
Vorschläge ohne Bedenkzeit cckzeptirte, händigte er auch noch deu Abgesandten
des Sirdars ein in persischer Sprache verfaßtes Schriftstück als Unterpfand für
die gewissenhafte Ausführung des Vertrages ein. Erst am folgenden Morgen
machte er deu Hauptleuten Trevvr, Lawrence und Mackenzie vou diesem ver-
hängnißvollen Schritte Mittheilung und ersuchte sie, ihn zu begleiten. Der
zuletzt Genannte durchschallte sogleich die verräterischen Absichten des Afghanen
und warnte Mac-Naghten, aber ohne Erfolg. Dann erhielt Lawrence den
Befehl, nach der Zitadelle zu reiten und dem Soudja vom Geschehenen Mit¬
theilung zu machen. Auf alle noch so dringenden Vorstellungen erfolgte die
Antwort: „Es mag Gefahr im Anzüge sein, aber ich muß es riskiren. Lieber
möchte ich zehnmal den Tod erleiden, als noch einmal sechs Wochen wie die
verflossenen durchmachen." Er hatte den General Elphinstone gebeten, zwei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/384>, abgerufen am 05.02.2025.