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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Bedeckungsmannschaft mit sich genommen, während in der Ebene starke af¬
ghanische Truppenabtheilungen sichtbar wurden, die offenbar von den Führern
nur mit großer Mühe vom Angriffe zurückgehalten werden konnten. Es folgte
denn auch bald das entsetzliche Blutbad, in welchem auch der Botschafter das
Leben ließ. Welche furchtbare Bestürzung die Nachricht in England verursachte,
ist gewiß noch Manchem in lebendiger Erinnerung. Eyre's Bericht hat unter
Anderm auch die Thatsache leider unwiderleglich festgestellt, daß auch die Eng¬
länder nichtnnbedingt vom Vorwurfe der Wortbrüchigkeit freizusprechen sind.
Es ist nicht unmöglich, daß Mac-Nagthen von der Verrätherischen Gesinnung
Akbar's völlig überzeugt war, und ebenso, daß er Barbaren gegenüber sich nicht
um die abendländischen Vorstellungen von Treu und Glauben kümmern zu
brauchen wähnte. Diese durch nichts zu rechtfertigende laxe Auffassung und
entsprechende Ausführung der Vertragsparagraphen verfehlte natürlich nicht,
die Afghanen bis auf's Aeußerste zu reizen.

Der Schah Soudja wurde vom Inhalte des Vertrags sofort in Kenntniß
gesetzt und sah sich also bereits zum vierten oder fünften Male zum Exile
verurtheilt. Indessen erschien noch am nämlichen Tage und zur Ueberraschung
der Engländer eine afghanische Deputation vor ihm und schlug ihm vor, er
möge in Cabul bleiben, dafür aber seine Töchter mit Söhnen aus den vor¬
nehmen Geschlechtern des Landes verheirathen, Dazu noch die ernsthaft ge¬
meinte Klausel, daß er für die Zukunft von seiner Gewohnheit, die Vornehmen
stundenlang antichambriren zu lassen, abzulassen habe. Dieser letzte Etiquetten-
Punkt erschien übrigens dem kuriosen Herrscher so gewichtig, daß es nicht ge¬
ringe Mühe kostete, ihn zur Annahme zu bereden, obwohl er thatsächlich vor
der Alternative stand, sich zu fügen oder abzudanken. Auch zog er schon zwei
Tage später sein gegebenes Wort zurück, da er wohl Ursache haben mochte,
seinen loyalen Unterthanen nicht viel zu trauen. Es war am 13. Dezember.
Der Abzug der Engländer mußte bei der Saumseligkeit, mit der sich die Af¬
ghanen zur Verproviantirung anschickten, noch aufgeschoben werden. Offenbar
wollte Akbar Zeit gewinnen, um die Besatzung auszuhungern. Im Lager
mangelte es dermaßen an allem Nothwendigen, daß Pferde und Rinder sich
mit Baumrinde und elenden Abfällen zu begnügen hatten, während die Diener¬
schaft, welche die Hauptziffer im Heere ausmachte, vom Fleische der vor Hunger
und Kälte umgekommenen Thiere lebte. Am 17. Dezember war nur für zwei¬
mal vierundzwanzig Stunden Getreide vorräthig, und am 18. trat eine neue
Plage auf, der Schnee! Er bedeckte bald Alles mehrere Zoll hoch und sollte
sich namentlich deu indischen Eingeborenen als ein schlimmer und hartnäckiger
Feind erweisen.

Die Offiziere schlugen Elphinstone vor, sich dem Glücke anzuvertrauen


Bedeckungsmannschaft mit sich genommen, während in der Ebene starke af¬
ghanische Truppenabtheilungen sichtbar wurden, die offenbar von den Führern
nur mit großer Mühe vom Angriffe zurückgehalten werden konnten. Es folgte
denn auch bald das entsetzliche Blutbad, in welchem auch der Botschafter das
Leben ließ. Welche furchtbare Bestürzung die Nachricht in England verursachte,
ist gewiß noch Manchem in lebendiger Erinnerung. Eyre's Bericht hat unter
Anderm auch die Thatsache leider unwiderleglich festgestellt, daß auch die Eng¬
länder nichtnnbedingt vom Vorwurfe der Wortbrüchigkeit freizusprechen sind.
Es ist nicht unmöglich, daß Mac-Nagthen von der Verrätherischen Gesinnung
Akbar's völlig überzeugt war, und ebenso, daß er Barbaren gegenüber sich nicht
um die abendländischen Vorstellungen von Treu und Glauben kümmern zu
brauchen wähnte. Diese durch nichts zu rechtfertigende laxe Auffassung und
entsprechende Ausführung der Vertragsparagraphen verfehlte natürlich nicht,
die Afghanen bis auf's Aeußerste zu reizen.

Der Schah Soudja wurde vom Inhalte des Vertrags sofort in Kenntniß
gesetzt und sah sich also bereits zum vierten oder fünften Male zum Exile
verurtheilt. Indessen erschien noch am nämlichen Tage und zur Ueberraschung
der Engländer eine afghanische Deputation vor ihm und schlug ihm vor, er
möge in Cabul bleiben, dafür aber seine Töchter mit Söhnen aus den vor¬
nehmen Geschlechtern des Landes verheirathen, Dazu noch die ernsthaft ge¬
meinte Klausel, daß er für die Zukunft von seiner Gewohnheit, die Vornehmen
stundenlang antichambriren zu lassen, abzulassen habe. Dieser letzte Etiquetten-
Punkt erschien übrigens dem kuriosen Herrscher so gewichtig, daß es nicht ge¬
ringe Mühe kostete, ihn zur Annahme zu bereden, obwohl er thatsächlich vor
der Alternative stand, sich zu fügen oder abzudanken. Auch zog er schon zwei
Tage später sein gegebenes Wort zurück, da er wohl Ursache haben mochte,
seinen loyalen Unterthanen nicht viel zu trauen. Es war am 13. Dezember.
Der Abzug der Engländer mußte bei der Saumseligkeit, mit der sich die Af¬
ghanen zur Verproviantirung anschickten, noch aufgeschoben werden. Offenbar
wollte Akbar Zeit gewinnen, um die Besatzung auszuhungern. Im Lager
mangelte es dermaßen an allem Nothwendigen, daß Pferde und Rinder sich
mit Baumrinde und elenden Abfällen zu begnügen hatten, während die Diener¬
schaft, welche die Hauptziffer im Heere ausmachte, vom Fleische der vor Hunger
und Kälte umgekommenen Thiere lebte. Am 17. Dezember war nur für zwei¬
mal vierundzwanzig Stunden Getreide vorräthig, und am 18. trat eine neue
Plage auf, der Schnee! Er bedeckte bald Alles mehrere Zoll hoch und sollte
sich namentlich deu indischen Eingeborenen als ein schlimmer und hartnäckiger
Feind erweisen.

Die Offiziere schlugen Elphinstone vor, sich dem Glücke anzuvertrauen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/383>, abgerufen am 05.02.2025.