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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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weitläufig angelegt, so daß zu seiner Vertheidigung große Truppenmassen er¬
forderlich gewesen wären. Es war denn auch gleich nach Beginn des Auf¬
standes alle Verbindung zwischen der Zitadelle, dem Lager, wo der Botschafter
sich aufhielt, und den Magazinen abgeschnitten. Die Engländer ließen sich so
zu sagen durch den Hunger überrumpeln. Es war als wenn Elphinstone
völlig den Kopf verloren hätte; und dazu gesellten sich noch körperliche Leiden.
Wenn er nun auch eines nicht unrühmlichen Todes gestorben ist, und seine
Landsleute sein Andenken in Ehren halten, so steht doch soviel fest, daß wenn
die Belagerten sofort mit Entschlossenheit und Energie aufgetreten wären, sie
noch Wege zur Rettung offen gefunden hätten. Die Vorrathshäuser fast ohne
Widerstand preiszugeben, war der erste und schwerste Fehler. Dann wurden
gleichzeitig die in Forts liegenden Truppen nach dem Lager zusammengezogen.
Major Pottiuger sah sich genöthigt, Kohiswn aufzugeben; auch schlug er sich
nur mit Mühe bis zum Hauptquartier durch. Jetzt hatten die also auf einem
Punkt vereinigten Truppen nur noch für zwei Tage Lebensmittel! Da General
Elphinstone durch die Gicht ein's Bett gefesselt war, theilte er das Kommando
mit dem Generalmajor Sheldon. Dieser erkannte die Unmöglichkeit, sich den
Winter über zu halten, und rieth, den Rückzug uach Jellabad ohne Verzug
anzutreten; aber Mac-Naghten war nicht dazu zu bewegen. Das Wort Rück¬
zug war gefallen und verfehlte seine entmuthigende Wirkung bei den Sol¬
daten nicht.

Am 29. November traf Mohamed Mbar in Cabul ein, und von da an
wurde unter seiner intelligenten Leitung die Empörung immer furchtbarer.
Die Engländer durften vor Anbruch des Frühjahrs keine Hilfe von Indien
her erwarten und sahen einer unvermeidlichen Hungersnoth entgegen; denn
die geringen, von gelegentlichen Ausfällen mit eingebrachten Mundvorräthe
konnten nicht lange vorhalten. Im Kriegsrathe trug man sich mit dem Plane,
sich nach dem zwei Meilen von Cabul entfernt gelegenen Baka-Hissar durchzu¬
schlagen, wo man sich allenfalls den Winter über hätte behaupten können; aber
abgesehen von den Schwierigkeiten des Marsches hätte das ganze schwere Ge¬
schütz und vielleicht auch die Kranken und Verwundeten zurückgelassen werden
müssen. Dieser Vorschlag wurde also verworfen. Und den Rückzug auf
Jellabad bekämpfte Mac-Naghten als unverträglich mit der englischen Waffen¬
ehre ! Unterdessen lockerte sich die Disziplin im Lager von Tage zu Tage, die
Soldaten verloren Angesichts der Unschlüssigkeit ihrer Führer den Muth. Endlich
trafen die ersten Anträge der Afghanen behufs Kapitulation ein. Mac-Naghten
und Elphinstone gingen darauf ein, und am folgenden Morgen erschienen zwei
vornehme Afghanen im Lager. Was bei der Unterredung zur Sprache kam,
ist nicht mehr zu ermitteln, jedenfalls scheinen die Bedingungen unannehmbar


Grenzboten IV, 1873. 48

weitläufig angelegt, so daß zu seiner Vertheidigung große Truppenmassen er¬
forderlich gewesen wären. Es war denn auch gleich nach Beginn des Auf¬
standes alle Verbindung zwischen der Zitadelle, dem Lager, wo der Botschafter
sich aufhielt, und den Magazinen abgeschnitten. Die Engländer ließen sich so
zu sagen durch den Hunger überrumpeln. Es war als wenn Elphinstone
völlig den Kopf verloren hätte; und dazu gesellten sich noch körperliche Leiden.
Wenn er nun auch eines nicht unrühmlichen Todes gestorben ist, und seine
Landsleute sein Andenken in Ehren halten, so steht doch soviel fest, daß wenn
die Belagerten sofort mit Entschlossenheit und Energie aufgetreten wären, sie
noch Wege zur Rettung offen gefunden hätten. Die Vorrathshäuser fast ohne
Widerstand preiszugeben, war der erste und schwerste Fehler. Dann wurden
gleichzeitig die in Forts liegenden Truppen nach dem Lager zusammengezogen.
Major Pottiuger sah sich genöthigt, Kohiswn aufzugeben; auch schlug er sich
nur mit Mühe bis zum Hauptquartier durch. Jetzt hatten die also auf einem
Punkt vereinigten Truppen nur noch für zwei Tage Lebensmittel! Da General
Elphinstone durch die Gicht ein's Bett gefesselt war, theilte er das Kommando
mit dem Generalmajor Sheldon. Dieser erkannte die Unmöglichkeit, sich den
Winter über zu halten, und rieth, den Rückzug uach Jellabad ohne Verzug
anzutreten; aber Mac-Naghten war nicht dazu zu bewegen. Das Wort Rück¬
zug war gefallen und verfehlte seine entmuthigende Wirkung bei den Sol¬
daten nicht.

Am 29. November traf Mohamed Mbar in Cabul ein, und von da an
wurde unter seiner intelligenten Leitung die Empörung immer furchtbarer.
Die Engländer durften vor Anbruch des Frühjahrs keine Hilfe von Indien
her erwarten und sahen einer unvermeidlichen Hungersnoth entgegen; denn
die geringen, von gelegentlichen Ausfällen mit eingebrachten Mundvorräthe
konnten nicht lange vorhalten. Im Kriegsrathe trug man sich mit dem Plane,
sich nach dem zwei Meilen von Cabul entfernt gelegenen Baka-Hissar durchzu¬
schlagen, wo man sich allenfalls den Winter über hätte behaupten können; aber
abgesehen von den Schwierigkeiten des Marsches hätte das ganze schwere Ge¬
schütz und vielleicht auch die Kranken und Verwundeten zurückgelassen werden
müssen. Dieser Vorschlag wurde also verworfen. Und den Rückzug auf
Jellabad bekämpfte Mac-Naghten als unverträglich mit der englischen Waffen¬
ehre ! Unterdessen lockerte sich die Disziplin im Lager von Tage zu Tage, die
Soldaten verloren Angesichts der Unschlüssigkeit ihrer Führer den Muth. Endlich
trafen die ersten Anträge der Afghanen behufs Kapitulation ein. Mac-Naghten
und Elphinstone gingen darauf ein, und am folgenden Morgen erschienen zwei
vornehme Afghanen im Lager. Was bei der Unterredung zur Sprache kam,
ist nicht mehr zu ermitteln, jedenfalls scheinen die Bedingungen unannehmbar


Grenzboten IV, 1873. 48
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[0381] weitläufig angelegt, so daß zu seiner Vertheidigung große Truppenmassen er¬ forderlich gewesen wären. Es war denn auch gleich nach Beginn des Auf¬ standes alle Verbindung zwischen der Zitadelle, dem Lager, wo der Botschafter sich aufhielt, und den Magazinen abgeschnitten. Die Engländer ließen sich so zu sagen durch den Hunger überrumpeln. Es war als wenn Elphinstone völlig den Kopf verloren hätte; und dazu gesellten sich noch körperliche Leiden. Wenn er nun auch eines nicht unrühmlichen Todes gestorben ist, und seine Landsleute sein Andenken in Ehren halten, so steht doch soviel fest, daß wenn die Belagerten sofort mit Entschlossenheit und Energie aufgetreten wären, sie noch Wege zur Rettung offen gefunden hätten. Die Vorrathshäuser fast ohne Widerstand preiszugeben, war der erste und schwerste Fehler. Dann wurden gleichzeitig die in Forts liegenden Truppen nach dem Lager zusammengezogen. Major Pottiuger sah sich genöthigt, Kohiswn aufzugeben; auch schlug er sich nur mit Mühe bis zum Hauptquartier durch. Jetzt hatten die also auf einem Punkt vereinigten Truppen nur noch für zwei Tage Lebensmittel! Da General Elphinstone durch die Gicht ein's Bett gefesselt war, theilte er das Kommando mit dem Generalmajor Sheldon. Dieser erkannte die Unmöglichkeit, sich den Winter über zu halten, und rieth, den Rückzug uach Jellabad ohne Verzug anzutreten; aber Mac-Naghten war nicht dazu zu bewegen. Das Wort Rück¬ zug war gefallen und verfehlte seine entmuthigende Wirkung bei den Sol¬ daten nicht. Am 29. November traf Mohamed Mbar in Cabul ein, und von da an wurde unter seiner intelligenten Leitung die Empörung immer furchtbarer. Die Engländer durften vor Anbruch des Frühjahrs keine Hilfe von Indien her erwarten und sahen einer unvermeidlichen Hungersnoth entgegen; denn die geringen, von gelegentlichen Ausfällen mit eingebrachten Mundvorräthe konnten nicht lange vorhalten. Im Kriegsrathe trug man sich mit dem Plane, sich nach dem zwei Meilen von Cabul entfernt gelegenen Baka-Hissar durchzu¬ schlagen, wo man sich allenfalls den Winter über hätte behaupten können; aber abgesehen von den Schwierigkeiten des Marsches hätte das ganze schwere Ge¬ schütz und vielleicht auch die Kranken und Verwundeten zurückgelassen werden müssen. Dieser Vorschlag wurde also verworfen. Und den Rückzug auf Jellabad bekämpfte Mac-Naghten als unverträglich mit der englischen Waffen¬ ehre ! Unterdessen lockerte sich die Disziplin im Lager von Tage zu Tage, die Soldaten verloren Angesichts der Unschlüssigkeit ihrer Führer den Muth. Endlich trafen die ersten Anträge der Afghanen behufs Kapitulation ein. Mac-Naghten und Elphinstone gingen darauf ein, und am folgenden Morgen erschienen zwei vornehme Afghanen im Lager. Was bei der Unterredung zur Sprache kam, ist nicht mehr zu ermitteln, jedenfalls scheinen die Bedingungen unannehmbar Grenzboten IV, 1873. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/381>, abgerufen am 10.02.2025.