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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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gewöhnlichen Zuschauer aus der großen Masse mit unentrinnbarer Gewalt
wenigstens eine Ahnung von ihrer kultur- und literargeschichtlichen Bedeutung
zu geben. Daß aber den Meiningern das gelingt, darin vor allem liegt
die Glanzseite ihrer Bühnenleistnngen.

Schon bei der Aufführung der "Räuber" habe ich es hervorgehoben, daß
eine solche Darstellung, wie die Meininger sie geben, mehr wirke als eine ganzes
Kapitel Kulturgeschichte. Bei dem "Kranken in der Einbildung" hatte man
vollkommen wieder diesen Eindruck. Wer französische Kupferstiche aus dem
Ende des 17. Jahrhunderts gesehen, der hätte glauben können, daß solche
Kupferstiche hier lebendig geworden wären. Eine solche Wirkuug wird aber
mit aller Treue der Dekorationen, Kostüme und sonstiger Requisiten nicht
erreicht, worin die Verkleinerer der Meininger so gern deren einzigen Vorzug
sehen möchten, wenn nicht das ganze Spiel mit diesen Aeußerlichkeiten harmonirt.
Es ist das eine ungemein schwierige Aufgabe, die selbst den Meiningern nicht
immer und überall, aber doch meistentheils gelingt. So wie das Moliere'sche
Lustspiel gespielt wurde -- ich sage gespielt, uicht ausgestattet -- so, könnte mau
meinen, sei es vor zwei Jahrhunderten ans der französischen Bühne zu sehen
gewesen. Aehnliches aber gilt von der Aufführung des "Wintermärchens".
Hier überragte der Glanz der Jnszenirung natürlich um das zehnfache das, was
die altenglische Bühne darin geleistet haben mag. Aber das ist eine Aeußer-
lichkeit. Daß uns aber in der Aufführung namentlich in den letzten beiden
Akte" ein echter Ton aus des Dichters Zeit herüberzuklingen schien, daß das
Pfingstfest der böhmischen Schäfer z. B. mit so entzückender Frische und
Natur vorgeführt und von allem widerlichen Balletparfüm der modernen
Bühne rein gehalten wurde, das ist es, was wir den Meiningern vor allem
hoch anrechnen.

Was wir von den ersten drei Vorstellungen der Meininger gerühmt, ist
fast allenthalben durch die späteren Aufführungen bestätigt worden. Dieselbe
Korrektheit, Sicherheit und Abrundung des Spiels, wie sie nur durch anhal¬
tendes, gewissenhaftes Studium erreicht werden kann, dieselbe subtile Aus¬
arbeitung im Detail, dieselbe Echtheit und Treue in den Dekorationen und
im Kostüm, dieselbe lebensvolle Aktion der Massen, wie alles dies vom ersten
Tage an uns entgegengetreten, so war es in jeder folgenden Aufführung von
neuem zu bewundern. Dekorationen wie das Zimmer im dritten Akte des
"Fiesco" mit dem Allsblick ans Genua in der wechselvollen Beleuchtung des
anbrechenden Tages, im "Tell" die Nachtszene auf dem Rutil wiederum mit
dem Sonnenaufgange auf den Bergen, vor allem aber der mit größter archä¬
ologischer Treue hergestellte assyrische Königspalast in der "Esther" und das
in seiner Totalwirknng unvergleichlich schöne Arrangement der Schlußszene


gewöhnlichen Zuschauer aus der großen Masse mit unentrinnbarer Gewalt
wenigstens eine Ahnung von ihrer kultur- und literargeschichtlichen Bedeutung
zu geben. Daß aber den Meiningern das gelingt, darin vor allem liegt
die Glanzseite ihrer Bühnenleistnngen.

Schon bei der Aufführung der „Räuber" habe ich es hervorgehoben, daß
eine solche Darstellung, wie die Meininger sie geben, mehr wirke als eine ganzes
Kapitel Kulturgeschichte. Bei dem „Kranken in der Einbildung" hatte man
vollkommen wieder diesen Eindruck. Wer französische Kupferstiche aus dem
Ende des 17. Jahrhunderts gesehen, der hätte glauben können, daß solche
Kupferstiche hier lebendig geworden wären. Eine solche Wirkuug wird aber
mit aller Treue der Dekorationen, Kostüme und sonstiger Requisiten nicht
erreicht, worin die Verkleinerer der Meininger so gern deren einzigen Vorzug
sehen möchten, wenn nicht das ganze Spiel mit diesen Aeußerlichkeiten harmonirt.
Es ist das eine ungemein schwierige Aufgabe, die selbst den Meiningern nicht
immer und überall, aber doch meistentheils gelingt. So wie das Moliere'sche
Lustspiel gespielt wurde — ich sage gespielt, uicht ausgestattet — so, könnte mau
meinen, sei es vor zwei Jahrhunderten ans der französischen Bühne zu sehen
gewesen. Aehnliches aber gilt von der Aufführung des „Wintermärchens".
Hier überragte der Glanz der Jnszenirung natürlich um das zehnfache das, was
die altenglische Bühne darin geleistet haben mag. Aber das ist eine Aeußer-
lichkeit. Daß uns aber in der Aufführung namentlich in den letzten beiden
Akte» ein echter Ton aus des Dichters Zeit herüberzuklingen schien, daß das
Pfingstfest der böhmischen Schäfer z. B. mit so entzückender Frische und
Natur vorgeführt und von allem widerlichen Balletparfüm der modernen
Bühne rein gehalten wurde, das ist es, was wir den Meiningern vor allem
hoch anrechnen.

Was wir von den ersten drei Vorstellungen der Meininger gerühmt, ist
fast allenthalben durch die späteren Aufführungen bestätigt worden. Dieselbe
Korrektheit, Sicherheit und Abrundung des Spiels, wie sie nur durch anhal¬
tendes, gewissenhaftes Studium erreicht werden kann, dieselbe subtile Aus¬
arbeitung im Detail, dieselbe Echtheit und Treue in den Dekorationen und
im Kostüm, dieselbe lebensvolle Aktion der Massen, wie alles dies vom ersten
Tage an uns entgegengetreten, so war es in jeder folgenden Aufführung von
neuem zu bewundern. Dekorationen wie das Zimmer im dritten Akte des
„Fiesco" mit dem Allsblick ans Genua in der wechselvollen Beleuchtung des
anbrechenden Tages, im „Tell" die Nachtszene auf dem Rutil wiederum mit
dem Sonnenaufgange auf den Bergen, vor allem aber der mit größter archä¬
ologischer Treue hergestellte assyrische Königspalast in der „Esther" und das
in seiner Totalwirknng unvergleichlich schöne Arrangement der Schlußszene


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[0316] gewöhnlichen Zuschauer aus der großen Masse mit unentrinnbarer Gewalt wenigstens eine Ahnung von ihrer kultur- und literargeschichtlichen Bedeutung zu geben. Daß aber den Meiningern das gelingt, darin vor allem liegt die Glanzseite ihrer Bühnenleistnngen. Schon bei der Aufführung der „Räuber" habe ich es hervorgehoben, daß eine solche Darstellung, wie die Meininger sie geben, mehr wirke als eine ganzes Kapitel Kulturgeschichte. Bei dem „Kranken in der Einbildung" hatte man vollkommen wieder diesen Eindruck. Wer französische Kupferstiche aus dem Ende des 17. Jahrhunderts gesehen, der hätte glauben können, daß solche Kupferstiche hier lebendig geworden wären. Eine solche Wirkuug wird aber mit aller Treue der Dekorationen, Kostüme und sonstiger Requisiten nicht erreicht, worin die Verkleinerer der Meininger so gern deren einzigen Vorzug sehen möchten, wenn nicht das ganze Spiel mit diesen Aeußerlichkeiten harmonirt. Es ist das eine ungemein schwierige Aufgabe, die selbst den Meiningern nicht immer und überall, aber doch meistentheils gelingt. So wie das Moliere'sche Lustspiel gespielt wurde — ich sage gespielt, uicht ausgestattet — so, könnte mau meinen, sei es vor zwei Jahrhunderten ans der französischen Bühne zu sehen gewesen. Aehnliches aber gilt von der Aufführung des „Wintermärchens". Hier überragte der Glanz der Jnszenirung natürlich um das zehnfache das, was die altenglische Bühne darin geleistet haben mag. Aber das ist eine Aeußer- lichkeit. Daß uns aber in der Aufführung namentlich in den letzten beiden Akte» ein echter Ton aus des Dichters Zeit herüberzuklingen schien, daß das Pfingstfest der böhmischen Schäfer z. B. mit so entzückender Frische und Natur vorgeführt und von allem widerlichen Balletparfüm der modernen Bühne rein gehalten wurde, das ist es, was wir den Meiningern vor allem hoch anrechnen. Was wir von den ersten drei Vorstellungen der Meininger gerühmt, ist fast allenthalben durch die späteren Aufführungen bestätigt worden. Dieselbe Korrektheit, Sicherheit und Abrundung des Spiels, wie sie nur durch anhal¬ tendes, gewissenhaftes Studium erreicht werden kann, dieselbe subtile Aus¬ arbeitung im Detail, dieselbe Echtheit und Treue in den Dekorationen und im Kostüm, dieselbe lebensvolle Aktion der Massen, wie alles dies vom ersten Tage an uns entgegengetreten, so war es in jeder folgenden Aufführung von neuem zu bewundern. Dekorationen wie das Zimmer im dritten Akte des „Fiesco" mit dem Allsblick ans Genua in der wechselvollen Beleuchtung des anbrechenden Tages, im „Tell" die Nachtszene auf dem Rutil wiederum mit dem Sonnenaufgange auf den Bergen, vor allem aber der mit größter archä¬ ologischer Treue hergestellte assyrische Königspalast in der „Esther" und das in seiner Totalwirknng unvergleichlich schöne Arrangement der Schlußszene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/316>, abgerufen am 05.02.2025.