Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.Feldvermessung und da nahm man den Bauern alles gute Land."') Unser Können wir schon, die wir der Sache fern stehen, nicht ohne lebhaftes *) Die Sache bezieht sich wohl auf die Regulirung der Bodenverhältnisse nach der Aufhebung der Leibeigenschaft. (3. Marz 1S61.) Es ist Kijew gemeint.
Feldvermessung und da nahm man den Bauern alles gute Land."') Unser Können wir schon, die wir der Sache fern stehen, nicht ohne lebhaftes *) Die Sache bezieht sich wohl auf die Regulirung der Bodenverhältnisse nach der Aufhebung der Leibeigenschaft. (3. Marz 1S61.) Es ist Kijew gemeint.
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Feldvermessung und da nahm man den Bauern alles gute Land."') Unser
Verein stritt sich anfangs mit dem Edelmann und dem Feldmesser herum, aber
sie gaben nicht nach und ließen uns nur die öden Striche. Da brachten wir
beim Friedensrichter (Mirowoj possrednik) die Klage vor, doch zur Autwort
kam der Kreishauptmann (Jssprawnik) und ließ das ganze Dorf durchpeitschen.
Darauf entschlossen wir uns, die Beschwerde an den Generalgouvemeur selbst
zu senden. Wir wählten aus unserem Verein drei zuverlässige Leute und
schickten sie mit der Bittschrift ab. Lange blieben die Abgesandten in der Gou¬
vernementsstadt, **) endlich kehrten sie zurück. Sie sagten: „„Wir sind beim
Generalgouvemeur und beim Gouverneur gewesen, wir haben bei allen ge¬
beten, haben allen unsere Sache auseinandergesetzt und überall haben wir eine
abschlägige Antwort erhalten."" Wir dachten: was jetzt thun? Wir ent¬
schlossen uns, unsere ganze Genossenschaft, bis zum letzten Bauern, solle zum
Generalgouvemeur gehen. Wir waren unsrer 200 Menschen. Wir gingen.
Wir kommeu in die Gouvernementsstadt. Kaum sind wir über die große
Dujeprbrücke, als von allen Seiten Soldaten uns umringen und uns in die
Stadt führen. Was haben wir nicht gesagt, was haben wir nicht versucht!
Wir zeigten die Bittschrift an den Generalgouvemeur vor — man läßt uns
nicht los. Man sagt: er selber hat befohlen so mit Euch zu verfahren! Uns
alle schleppten sie auf die Polizei. Gegen Abend kam der Bescheid: sechs von
uns nach Sibirien zu schicken und von den übrigen den zehnten Mann aus¬
zupeitschen. Nun und da peitschten sie uns! Drei Bauern kamen nicht nach
Hause zurück, sie starben unterwegs. Nachher erfuhren wir, daß als wir ans
dem Dorfe gezogen, der Kreishauptmann eine Stafette an den Generalgou¬
vemeur geschickt habe mit der Nachricht, die Bauern seien im Aufstande; des¬
halb begegnete man uns so. — Nach diesem Vorkommniß plagte man uns
sehr, mau riß die besten Höfe nieder, so daß die wohlhabendsten Leute unter
die Tagelöhner gingen. Jetzt sind nur noch drei übrig, welche zu allem bereit
siud; von den andern hat sich der versöhnt, jener ist auf Arbeit gegangen."
Können wir schon, die wir der Sache fern stehen, nicht ohne lebhaftes
Mitgefühl diese schlichte Erzählung lesen, deren Kern zu bezweifeln uns der
Charakter der russischen Büreaukratie leider keinen Grund gibt, wie mußte
vollends ein nihilistisches Gemüth aufflammen bei dieser Schilderung grausamer
Härte und vollendeter Rechtlosigkeit! Zwar sagt der Gewährsmann unsrer Bericht¬
erstatterin zu ihr: „Mit einem Dorfe wirst Du nichts ausrichte«. Man muß
eine Schrift schreiben und sie durch das ganze Land schicken, damit das ganze
*) Die Sache bezieht sich wohl auf die Regulirung der Bodenverhältnisse nach der
Aufhebung der Leibeigenschaft. (3. Marz 1S61.)
Es ist Kijew gemeint.
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