Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.bauschenden Gewandung heraus. Man merkt an der Bewegung des Beins, Der schwungvolle Faltenwurf, die herrliche Anordnung des Gewandes, Das Räthsel, von dem wir oben gesprochen haben, gibt uns erst der Ob nun dieser Hermes in der That von der Hand des großen Praxiteles, Grenzboten IV. 1878. 34
bauschenden Gewandung heraus. Man merkt an der Bewegung des Beins, Der schwungvolle Faltenwurf, die herrliche Anordnung des Gewandes, Das Räthsel, von dem wir oben gesprochen haben, gibt uns erst der Ob nun dieser Hermes in der That von der Hand des großen Praxiteles, Grenzboten IV. 1878. 34
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bauschenden Gewandung heraus. Man merkt an der Bewegung des Beins,
daß er frei in der Luft schwebte. Da überdies an der Basis noch ein Vogel
sichtbar ist, hat man angenommen, daß sich Paionios die Nike überhaupt noch
in der Luft schwebend dachte, und die Farbe wird dann hinzugetreten sein,
um an dem Marmor der Basis das Element anzudeuten.
Der schwungvolle Faltenwurf, die herrliche Anordnung des Gewandes,
die sich nirgends in kleine knitterige Brüche verliert, sondern sich stets in gro߬
artigen Partien bewegt, zeigt uns den Schüler des Phidias, der an den maje¬
stätischen Giebelfiguren des Parthenon, namentlich an der wundervollen Gruppe
der sogenannten Thauschwestern, studirt hat. In einer Partie scheint der
Marmorarbeiter aber auch dieses Werk in seiner Gesammtwirkung beeinträchtigt
zu haben. Der Unterleib ist nämlich so übertrieben stark gebildet, daß die
Annahme, der Gürtel presse diesen Körpertheil so stark heraus, oder der Bild¬
hauer sei der Individualität seines Modells zu sehr gefolgt, nicht ausreicht,
um diese Abnormität zu erklären. Vielleicht mag sie aber durch den hohen
Standort, durch die Einwirkung des Lichts, durch den Glanz des metallenen
Gürtels u. s. w. beträchtlich gemildert worden sein.
Das Räthsel, von dem wir oben gesprochen haben, gibt uns erst der
Hermes des Praxiteles auf, der in der Zella des Heratempels gefunden
wurde, welcher sich nördlich vom Zeustempel an den Fuß des Kronionhügels
lehnt. Pausanias sagt bei der Aufzählung der Kunstwerke, die er im Heraion
sah: „Geweiht ist auch ein Hermes von Marmor. Er tragt den kleinen
Dionysos und ist ein Werk des Praxiteles." Daß der aufgefundene Hermes
mit dem von Pausanias erwähnten identisch ist, unterliegt keinem Zweifel. Man
fand nicht blos den bis auf die Kniee vollständig erhaltenen Körper des Hermes,
sondern auch den Rumpf des kleinen Dionysos, welchen der Gott auf dem
Arme trug. Der Kopf des Hermes ist so vortrefflich erhalten, wie kaum ein
zweiter in unserem antiken Denkmälervorrath. Nicht einmal die Nasenspitze
war verletzt.
Ob nun dieser Hermes in der That von der Hand des großen Praxiteles,
des Schöpfers der Kindischen Venus, herrührt, ist eine Frage, die sich auf
Grund der Autorität des Pausanias nicht ohne Weiteres bejahen läßt. Wir
haben oben gesehen, wie oft sich Angesichts der Funde der Bericht des Pau¬
sanias als irrthümlich erwies. Er hat Knaben für Männer und Madchen für
Knaben gehalten, er schreibt ferner, daß die Nike des Paionios auf einer Säule
stand, während das Postament dreieckig ist u. tgi. in. Warum sollen die Ciceroni
in Olympia, die dem wißbegierigen, etwas beschränkten Fremdling imponiren
wollten, ihm nicht den berühmten Namen angegeben haben, den er in seine
Schreibtafel eingrub? Vielleicht hat in der That auch an der Basis gestanden,
Grenzboten IV. 1878. 34
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