Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.daß der Hermes ein Werk des Praxiteles, des Sohnes von Kephisodot ans Es sind zwingende Gründe vorhanden, die uns nöthigen, die schöne Illusion, Der Wiener Archäologe Benudorf hat in einer Kritik der Treu'schen daß der Hermes ein Werk des Praxiteles, des Sohnes von Kephisodot ans Es sind zwingende Gründe vorhanden, die uns nöthigen, die schöne Illusion, Der Wiener Archäologe Benudorf hat in einer Kritik der Treu'schen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141149"/> <p xml:id="ID_954" prev="#ID_953"> daß der Hermes ein Werk des Praxiteles, des Sohnes von Kephisodot ans<lb/> Athen, war. Aber es folgt daraus noch nicht, daß dieser Praxiteles mit dem<lb/> Schöpfer der Kindischen Venus und des Eros von Thespiae identisch ist. Wir<lb/> wissen, daß in der Familie des großen Bildhauers, in welcher die plastische<lb/> Kunst sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbte, die beiden Namen Kephisodot<lb/> und Praxiteles lange Zeit hindurch mit einander wechselten. Wir wissen<lb/> speziell, daß um 300 v. Chr. ein gleichnamiger Enkel des Praxiteles als Bild¬<lb/> hauer thätig war.</p><lb/> <p xml:id="ID_955"> Es sind zwingende Gründe vorhanden, die uns nöthigen, die schöne Illusion,<lb/> ein Originalwerk des großen Praxiteles gefunden zu haben, nach allen Rich¬<lb/> tungen hin auf's Schärfste zu untersuchen, wenn nicht gar zu zerstören. Schon<lb/> der erste Archäologe, der die Statue alsbald nach ihrer Entdeckung sah, Dr.<lb/> Hirschfeld, zweifelte an der Urheberschaft des Praxiteles. Er wies mit Recht<lb/> darauf hin, daß unter dem Namen keines andern großen Künstlers im Alter¬<lb/> thume so viele Werke gegangen sind, wie unter dem des Praxiteles, und warf<lb/> dann schüchtern die Frage auf: „Ist dieser Hermes nicht etwa blos ein Werk<lb/> aus der Schule, in der Kunstart des Praxiteles?" Dieser Zweifel hat den<lb/> Unmuth eines andern Archäologen, des Dr. Treu, seines Nachfolgers in der<lb/> wissenschaftlichen Leitung der Ausgrabungen, erregt. Dr. Treu hat den Hermes,<lb/> noch bevor ein Gipsabguß nach Deutschland gelangte, nach einer Photographie<lb/> in Steindruck publizirt und in dieser Publikation (erschienen bei Ernst Wasmuth<lb/> in Berlin) zugleich mit bewunderungswürdigem Scharfsinn eine stilistische<lb/> Untersuchung der Statue gegeben. Trotzdem er von der Autorschaft des Praxi¬<lb/> teles überzeugt ist, hat er Unbefangenheit genug besessen, um das Werk ganz<lb/> Vorurtheilslos zu prüfen. Immer und immer wieder drängt sich ihm im Laufe<lb/> seiner Untersuchung die Wahrnehmung auf, daß gewisse stilistische Eigenthüm¬<lb/> lichkeiten ans den Kunstcharakter des Sikyonischen Bildhauers Lysippos hinweisen,<lb/> der ein Menschenalter nach Praxiteles auftrat und sich der Ueberlieferung<lb/> zufolge durch eine große Selbständigkeit und Unabhängigkeit vor seinen Vor¬<lb/> gängern auszeichnete. Die Behandlung gewisser Theile der Brust und des<lb/> Halses, „der Einschnitt, welcher die Stirn in der Mitte theilt, die Buckel über<lb/> dem Ansatz der Nase, die bewegte Bildung der Augenknochen, der Umriß der<lb/> Wangen und die Oeffnung des Mundes — alles kehrt beim Apoxyomenos<lb/> wieder," der bekannten Athletenstatue im Vatikan, die auf ein Original des<lb/> Lysippos zurückgeht. Treu findet die Uebereinstimmung in der Bildung der<lb/> meisten Theile zwischen dem Hermes und dem Apoxyomenos geradezu „frappant".</p><lb/> <p xml:id="ID_956" next="#ID_957"> Der Wiener Archäologe Benudorf hat in einer Kritik der Treu'schen<lb/> Publikation (Kunstchronik 1878, Ur. 49) die von Hirschfeld aufgeworfene Frage<lb/> weiter ventilirt und ist nach einer Reihe scharfsinniger Kombinationen zu dem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0270]
daß der Hermes ein Werk des Praxiteles, des Sohnes von Kephisodot ans
Athen, war. Aber es folgt daraus noch nicht, daß dieser Praxiteles mit dem
Schöpfer der Kindischen Venus und des Eros von Thespiae identisch ist. Wir
wissen, daß in der Familie des großen Bildhauers, in welcher die plastische
Kunst sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbte, die beiden Namen Kephisodot
und Praxiteles lange Zeit hindurch mit einander wechselten. Wir wissen
speziell, daß um 300 v. Chr. ein gleichnamiger Enkel des Praxiteles als Bild¬
hauer thätig war.
Es sind zwingende Gründe vorhanden, die uns nöthigen, die schöne Illusion,
ein Originalwerk des großen Praxiteles gefunden zu haben, nach allen Rich¬
tungen hin auf's Schärfste zu untersuchen, wenn nicht gar zu zerstören. Schon
der erste Archäologe, der die Statue alsbald nach ihrer Entdeckung sah, Dr.
Hirschfeld, zweifelte an der Urheberschaft des Praxiteles. Er wies mit Recht
darauf hin, daß unter dem Namen keines andern großen Künstlers im Alter¬
thume so viele Werke gegangen sind, wie unter dem des Praxiteles, und warf
dann schüchtern die Frage auf: „Ist dieser Hermes nicht etwa blos ein Werk
aus der Schule, in der Kunstart des Praxiteles?" Dieser Zweifel hat den
Unmuth eines andern Archäologen, des Dr. Treu, seines Nachfolgers in der
wissenschaftlichen Leitung der Ausgrabungen, erregt. Dr. Treu hat den Hermes,
noch bevor ein Gipsabguß nach Deutschland gelangte, nach einer Photographie
in Steindruck publizirt und in dieser Publikation (erschienen bei Ernst Wasmuth
in Berlin) zugleich mit bewunderungswürdigem Scharfsinn eine stilistische
Untersuchung der Statue gegeben. Trotzdem er von der Autorschaft des Praxi¬
teles überzeugt ist, hat er Unbefangenheit genug besessen, um das Werk ganz
Vorurtheilslos zu prüfen. Immer und immer wieder drängt sich ihm im Laufe
seiner Untersuchung die Wahrnehmung auf, daß gewisse stilistische Eigenthüm¬
lichkeiten ans den Kunstcharakter des Sikyonischen Bildhauers Lysippos hinweisen,
der ein Menschenalter nach Praxiteles auftrat und sich der Ueberlieferung
zufolge durch eine große Selbständigkeit und Unabhängigkeit vor seinen Vor¬
gängern auszeichnete. Die Behandlung gewisser Theile der Brust und des
Halses, „der Einschnitt, welcher die Stirn in der Mitte theilt, die Buckel über
dem Ansatz der Nase, die bewegte Bildung der Augenknochen, der Umriß der
Wangen und die Oeffnung des Mundes — alles kehrt beim Apoxyomenos
wieder," der bekannten Athletenstatue im Vatikan, die auf ein Original des
Lysippos zurückgeht. Treu findet die Uebereinstimmung in der Bildung der
meisten Theile zwischen dem Hermes und dem Apoxyomenos geradezu „frappant".
Der Wiener Archäologe Benudorf hat in einer Kritik der Treu'schen
Publikation (Kunstchronik 1878, Ur. 49) die von Hirschfeld aufgeworfene Frage
weiter ventilirt und ist nach einer Reihe scharfsinniger Kombinationen zu dem
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