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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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den Antrieben der Lust oder Unlust gemäß der Selbstgesetzgebung des freien
Willens.

Die Gefühle werden nach dem sie begleitenden Urtheil unterschieden, als
Gefühle der Lust, welche das Leben der Seele fördern, und als Gefühle der
Unlust, die dasselbe hemmen. Maßgebend ist das Gefühlsvermögen nnr in
Beziehung auf das Schöne, welches der Gegenstand eines freien und uuiuter-
essirten Wohlgefallens an den Objekten der Vorstellung ist.

Bei Kant hat der Wille den Primat, er ist gegenüber dem vorhergehenden
Naturalismus der Erneuerer einer ethischen Weltansicht in der deutschen
Philosophie.

Schleiermacher's Psychologie ist eigenthümlich und abweichend von den
überlieferten Formen. Sie sieht in den Vermögen die das Leben der Seele
kvnstituirendeu Faktoren und sucht aus der verschiedenen Kombination der¬
selben die Differenzen in dem geistigen Leben der Einzelwesen zu begreifen.

, Die Psychologie als Lehre von dem Leben der Seele in der Verwirklichung
ihrer Bestimmung, als Konstruktion der Geschichte des Bewußtseins aus seinem
Begriffe beginnt mit Fichte. Seinen Grundgedanken finden wir darin, daß
der Geist wesentlich Energie, ein Handeln, Thun und Wirken in sich selber ist,
und daß das Bewußtsein nicht gegeben, sondern nur erworben werben kann
durch die eigene That und Handlung des Geistes. Was er empfangen kann
durch die Sinne oder durch die Vernunft, er hat es nnr durch sein Sichselber-
setzen. Allem Wissen, Vorstellen, Denken, Bewußtsein liegt zu Grunde als
seine Bedingung eine spontane, freie That und Handlung, eine von sich selber
anfangende produktive Thätigkeit.

Schelling sucht das Wesen der Seele und des Geistes aus einer Kon¬
struktion der ganzen Natur zu erkennen. Ans der Natur entsteht der Geist
durch ihre fortschreitende Produktivität, sie stellt sich in ihm als Ganzes, als
Welt im Kleinen dar.

Von der Seele, die alles dnrch ihr Sein ist, unterscheidet er den Geist,
der alles durch eigne That wird. Wie aber die Seele zum Geist wird, kann
er nicht erklären, er sieht diesen Vorgang als einen Abfall an, der wieder
zurückgenommen werden muß. Der Zweck der Geschichte ist, daß der Geist
wieder zur Seele werde.

Hegel erkennt in der gesammten Wirklichkeit ein unendliches Werde", in
welchem mit innerer Nothwendigkeit die niedere Stufe der Entwicklung in die
höhere übergeht. Denn alles ist nur dem Grade nach verschieden. Dies un¬
endliche Werden ist aber weder ein physisches noch ein ethisches Geschehen,
sondern nur ein logisches Werden in der Aufeinanderfolge der Begriffe.

Die Aufgabe der Psychologie ist es, zu zeigen, wie die Natur Seele, die


den Antrieben der Lust oder Unlust gemäß der Selbstgesetzgebung des freien
Willens.

Die Gefühle werden nach dem sie begleitenden Urtheil unterschieden, als
Gefühle der Lust, welche das Leben der Seele fördern, und als Gefühle der
Unlust, die dasselbe hemmen. Maßgebend ist das Gefühlsvermögen nnr in
Beziehung auf das Schöne, welches der Gegenstand eines freien und uuiuter-
essirten Wohlgefallens an den Objekten der Vorstellung ist.

Bei Kant hat der Wille den Primat, er ist gegenüber dem vorhergehenden
Naturalismus der Erneuerer einer ethischen Weltansicht in der deutschen
Philosophie.

Schleiermacher's Psychologie ist eigenthümlich und abweichend von den
überlieferten Formen. Sie sieht in den Vermögen die das Leben der Seele
kvnstituirendeu Faktoren und sucht aus der verschiedenen Kombination der¬
selben die Differenzen in dem geistigen Leben der Einzelwesen zu begreifen.

, Die Psychologie als Lehre von dem Leben der Seele in der Verwirklichung
ihrer Bestimmung, als Konstruktion der Geschichte des Bewußtseins aus seinem
Begriffe beginnt mit Fichte. Seinen Grundgedanken finden wir darin, daß
der Geist wesentlich Energie, ein Handeln, Thun und Wirken in sich selber ist,
und daß das Bewußtsein nicht gegeben, sondern nur erworben werben kann
durch die eigene That und Handlung des Geistes. Was er empfangen kann
durch die Sinne oder durch die Vernunft, er hat es nnr durch sein Sichselber-
setzen. Allem Wissen, Vorstellen, Denken, Bewußtsein liegt zu Grunde als
seine Bedingung eine spontane, freie That und Handlung, eine von sich selber
anfangende produktive Thätigkeit.

Schelling sucht das Wesen der Seele und des Geistes aus einer Kon¬
struktion der ganzen Natur zu erkennen. Ans der Natur entsteht der Geist
durch ihre fortschreitende Produktivität, sie stellt sich in ihm als Ganzes, als
Welt im Kleinen dar.

Von der Seele, die alles dnrch ihr Sein ist, unterscheidet er den Geist,
der alles durch eigne That wird. Wie aber die Seele zum Geist wird, kann
er nicht erklären, er sieht diesen Vorgang als einen Abfall an, der wieder
zurückgenommen werden muß. Der Zweck der Geschichte ist, daß der Geist
wieder zur Seele werde.

Hegel erkennt in der gesammten Wirklichkeit ein unendliches Werde», in
welchem mit innerer Nothwendigkeit die niedere Stufe der Entwicklung in die
höhere übergeht. Denn alles ist nur dem Grade nach verschieden. Dies un¬
endliche Werden ist aber weder ein physisches noch ein ethisches Geschehen,
sondern nur ein logisches Werden in der Aufeinanderfolge der Begriffe.

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[0177] den Antrieben der Lust oder Unlust gemäß der Selbstgesetzgebung des freien Willens. Die Gefühle werden nach dem sie begleitenden Urtheil unterschieden, als Gefühle der Lust, welche das Leben der Seele fördern, und als Gefühle der Unlust, die dasselbe hemmen. Maßgebend ist das Gefühlsvermögen nnr in Beziehung auf das Schöne, welches der Gegenstand eines freien und uuiuter- essirten Wohlgefallens an den Objekten der Vorstellung ist. Bei Kant hat der Wille den Primat, er ist gegenüber dem vorhergehenden Naturalismus der Erneuerer einer ethischen Weltansicht in der deutschen Philosophie. Schleiermacher's Psychologie ist eigenthümlich und abweichend von den überlieferten Formen. Sie sieht in den Vermögen die das Leben der Seele kvnstituirendeu Faktoren und sucht aus der verschiedenen Kombination der¬ selben die Differenzen in dem geistigen Leben der Einzelwesen zu begreifen. , Die Psychologie als Lehre von dem Leben der Seele in der Verwirklichung ihrer Bestimmung, als Konstruktion der Geschichte des Bewußtseins aus seinem Begriffe beginnt mit Fichte. Seinen Grundgedanken finden wir darin, daß der Geist wesentlich Energie, ein Handeln, Thun und Wirken in sich selber ist, und daß das Bewußtsein nicht gegeben, sondern nur erworben werben kann durch die eigene That und Handlung des Geistes. Was er empfangen kann durch die Sinne oder durch die Vernunft, er hat es nnr durch sein Sichselber- setzen. Allem Wissen, Vorstellen, Denken, Bewußtsein liegt zu Grunde als seine Bedingung eine spontane, freie That und Handlung, eine von sich selber anfangende produktive Thätigkeit. Schelling sucht das Wesen der Seele und des Geistes aus einer Kon¬ struktion der ganzen Natur zu erkennen. Ans der Natur entsteht der Geist durch ihre fortschreitende Produktivität, sie stellt sich in ihm als Ganzes, als Welt im Kleinen dar. Von der Seele, die alles dnrch ihr Sein ist, unterscheidet er den Geist, der alles durch eigne That wird. Wie aber die Seele zum Geist wird, kann er nicht erklären, er sieht diesen Vorgang als einen Abfall an, der wieder zurückgenommen werden muß. Der Zweck der Geschichte ist, daß der Geist wieder zur Seele werde. Hegel erkennt in der gesammten Wirklichkeit ein unendliches Werde», in welchem mit innerer Nothwendigkeit die niedere Stufe der Entwicklung in die höhere übergeht. Denn alles ist nur dem Grade nach verschieden. Dies un¬ endliche Werden ist aber weder ein physisches noch ein ethisches Geschehen, sondern nur ein logisches Werden in der Aufeinanderfolge der Begriffe. Die Aufgabe der Psychologie ist es, zu zeigen, wie die Natur Seele, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/177>, abgerufen am 05.02.2025.