Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Grade kommen, was hier auf einem niedern zurückhält, dort zu einem höhern
fördert.

Die Seele bringt dnrch ihre eignen Thätigkeiten ihre Erkenntnisse hervor,
zuerst in den dunklen Vorstellungen der Sinne, dann in den klaren Begriffen
des Verstandes.

Die Seele repräsentirt in sich die Welt, sie ist ein Spiegel des Universums
und sieht daher alle Dinge in sich. Die Seele hat alles a priori in sich in
unbewußter Weise. Da, aber nach Leibnitz die Monaden schlechthin selbständig
sind, keine Wechselwirkung auf einander ausüben, so ist wohl der Begriff einer
Summe von Monaden, aber nicht der Begriff eines Universums denkbar, und
ebenso wenig zu begreifen, wie die Vielheit der Monaden, die in keinem Kau¬
salitätsverhältniß zu einander stehen, sich in der einzelnen spiegeln, auf die
Sinne Eindrücke hervorbringen soll.

Es ist ein Verdienst von Leibnitz, daß er das Werden des Bewußtseins
durch den Willen vermittelt denkt, ihn als Kausalität desselben begreift. Nichts
desto weniger verfällt er einem psychologischen Determinismus, indem er das
Handeln als das nothwendige Ergebniß des Erkennens ansieht.

Zwischen den einzelnen Monaden besteht nur eine ideale Harmonie, ver¬
möge welcher die Veränderung der einen eine entsprechende Modifikation in der
andern zur Folge hat. Und diese Harmonie ist prästabilirt, da jede Monade
ihre Natur in Uebereinstimmung mit der Natur aller übrigen empfangen hat,
die Totalität der Monaden in einem und demselben Plane erschaffen ist. Hier
berührt sich Leibnitz mit dem Okkcisionalismus.

Die Einseitigkeiten des Rationalismus will der Empirismus ergänzen,
und er ist in seinem Recht, wenn er es betont, daß die Sinne eine Quelle des
geistigen Lebens und die Organisation der Materie eine Bedingung für dasselbe
seien. Er verliert aber sein Recht, sowie er sich als Universal-Methode der
Wissenschaften betrachtet.

Geschichtlich beginnt der moderne Empirismus mit Bacon und schon am
Schluß des ersten Abschnittes seiner Entwicklung gestaltet er sich bei Thomas
Hobbes zum Materialismus, der die geistigen Thätigkeiten in Bewegungen
der kleinsten Theile des Körpers auflöst. Die Freiheit besteht nur in der
Abwesenheit von Hindernissen der Bewegung. Da alles in der Körperwelt
nach Selbsterhaltung strebt, ist jeder Mensch nothwendig ein Egoist. Das
Allgemeine vertritt nur die Gesetzgebung und Zwangsgewalt des Staates.'

Die zweite Periode des Empirismus leitet der Sensualismus Locke's
ein. Alle Erkenntnisse, Begriffe, Vorstellungen und Gedanken werden in
Empfindungen ausgelöst und daraus zusammengesetzt. Das Denken ist formale
Thätigkeit, das Material liefern die Sinne. Der Verstand selbst bringt in-


Grade kommen, was hier auf einem niedern zurückhält, dort zu einem höhern
fördert.

Die Seele bringt dnrch ihre eignen Thätigkeiten ihre Erkenntnisse hervor,
zuerst in den dunklen Vorstellungen der Sinne, dann in den klaren Begriffen
des Verstandes.

Die Seele repräsentirt in sich die Welt, sie ist ein Spiegel des Universums
und sieht daher alle Dinge in sich. Die Seele hat alles a priori in sich in
unbewußter Weise. Da, aber nach Leibnitz die Monaden schlechthin selbständig
sind, keine Wechselwirkung auf einander ausüben, so ist wohl der Begriff einer
Summe von Monaden, aber nicht der Begriff eines Universums denkbar, und
ebenso wenig zu begreifen, wie die Vielheit der Monaden, die in keinem Kau¬
salitätsverhältniß zu einander stehen, sich in der einzelnen spiegeln, auf die
Sinne Eindrücke hervorbringen soll.

Es ist ein Verdienst von Leibnitz, daß er das Werden des Bewußtseins
durch den Willen vermittelt denkt, ihn als Kausalität desselben begreift. Nichts
desto weniger verfällt er einem psychologischen Determinismus, indem er das
Handeln als das nothwendige Ergebniß des Erkennens ansieht.

Zwischen den einzelnen Monaden besteht nur eine ideale Harmonie, ver¬
möge welcher die Veränderung der einen eine entsprechende Modifikation in der
andern zur Folge hat. Und diese Harmonie ist prästabilirt, da jede Monade
ihre Natur in Uebereinstimmung mit der Natur aller übrigen empfangen hat,
die Totalität der Monaden in einem und demselben Plane erschaffen ist. Hier
berührt sich Leibnitz mit dem Okkcisionalismus.

Die Einseitigkeiten des Rationalismus will der Empirismus ergänzen,
und er ist in seinem Recht, wenn er es betont, daß die Sinne eine Quelle des
geistigen Lebens und die Organisation der Materie eine Bedingung für dasselbe
seien. Er verliert aber sein Recht, sowie er sich als Universal-Methode der
Wissenschaften betrachtet.

Geschichtlich beginnt der moderne Empirismus mit Bacon und schon am
Schluß des ersten Abschnittes seiner Entwicklung gestaltet er sich bei Thomas
Hobbes zum Materialismus, der die geistigen Thätigkeiten in Bewegungen
der kleinsten Theile des Körpers auflöst. Die Freiheit besteht nur in der
Abwesenheit von Hindernissen der Bewegung. Da alles in der Körperwelt
nach Selbsterhaltung strebt, ist jeder Mensch nothwendig ein Egoist. Das
Allgemeine vertritt nur die Gesetzgebung und Zwangsgewalt des Staates.'

Die zweite Periode des Empirismus leitet der Sensualismus Locke's
ein. Alle Erkenntnisse, Begriffe, Vorstellungen und Gedanken werden in
Empfindungen ausgelöst und daraus zusammengesetzt. Das Denken ist formale
Thätigkeit, das Material liefern die Sinne. Der Verstand selbst bringt in-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0175" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141054"/>
          <p xml:id="ID_591" prev="#ID_590"> Grade kommen, was hier auf einem niedern zurückhält, dort zu einem höhern<lb/>
fördert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_592"> Die Seele bringt dnrch ihre eignen Thätigkeiten ihre Erkenntnisse hervor,<lb/>
zuerst in den dunklen Vorstellungen der Sinne, dann in den klaren Begriffen<lb/>
des Verstandes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_593"> Die Seele repräsentirt in sich die Welt, sie ist ein Spiegel des Universums<lb/>
und sieht daher alle Dinge in sich. Die Seele hat alles a priori in sich in<lb/>
unbewußter Weise. Da, aber nach Leibnitz die Monaden schlechthin selbständig<lb/>
sind, keine Wechselwirkung auf einander ausüben, so ist wohl der Begriff einer<lb/>
Summe von Monaden, aber nicht der Begriff eines Universums denkbar, und<lb/>
ebenso wenig zu begreifen, wie die Vielheit der Monaden, die in keinem Kau¬<lb/>
salitätsverhältniß zu einander stehen, sich in der einzelnen spiegeln, auf die<lb/>
Sinne Eindrücke hervorbringen soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_594"> Es ist ein Verdienst von Leibnitz, daß er das Werden des Bewußtseins<lb/>
durch den Willen vermittelt denkt, ihn als Kausalität desselben begreift. Nichts<lb/>
desto weniger verfällt er einem psychologischen Determinismus, indem er das<lb/>
Handeln als das nothwendige Ergebniß des Erkennens ansieht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_595"> Zwischen den einzelnen Monaden besteht nur eine ideale Harmonie, ver¬<lb/>
möge welcher die Veränderung der einen eine entsprechende Modifikation in der<lb/>
andern zur Folge hat. Und diese Harmonie ist prästabilirt, da jede Monade<lb/>
ihre Natur in Uebereinstimmung mit der Natur aller übrigen empfangen hat,<lb/>
die Totalität der Monaden in einem und demselben Plane erschaffen ist. Hier<lb/>
berührt sich Leibnitz mit dem Okkcisionalismus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_596"> Die Einseitigkeiten des Rationalismus will der Empirismus ergänzen,<lb/>
und er ist in seinem Recht, wenn er es betont, daß die Sinne eine Quelle des<lb/>
geistigen Lebens und die Organisation der Materie eine Bedingung für dasselbe<lb/>
seien. Er verliert aber sein Recht, sowie er sich als Universal-Methode der<lb/>
Wissenschaften betrachtet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_597"> Geschichtlich beginnt der moderne Empirismus mit Bacon und schon am<lb/>
Schluß des ersten Abschnittes seiner Entwicklung gestaltet er sich bei Thomas<lb/>
Hobbes zum Materialismus, der die geistigen Thätigkeiten in Bewegungen<lb/>
der kleinsten Theile des Körpers auflöst. Die Freiheit besteht nur in der<lb/>
Abwesenheit von Hindernissen der Bewegung. Da alles in der Körperwelt<lb/>
nach Selbsterhaltung strebt, ist jeder Mensch nothwendig ein Egoist. Das<lb/>
Allgemeine vertritt nur die Gesetzgebung und Zwangsgewalt des Staates.'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_598" next="#ID_599"> Die zweite Periode des Empirismus leitet der Sensualismus Locke's<lb/>
ein.  Alle Erkenntnisse, Begriffe, Vorstellungen und Gedanken werden in<lb/>
Empfindungen ausgelöst und daraus zusammengesetzt. Das Denken ist formale<lb/>
Thätigkeit, das Material liefern die Sinne. Der Verstand selbst bringt in-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0175] Grade kommen, was hier auf einem niedern zurückhält, dort zu einem höhern fördert. Die Seele bringt dnrch ihre eignen Thätigkeiten ihre Erkenntnisse hervor, zuerst in den dunklen Vorstellungen der Sinne, dann in den klaren Begriffen des Verstandes. Die Seele repräsentirt in sich die Welt, sie ist ein Spiegel des Universums und sieht daher alle Dinge in sich. Die Seele hat alles a priori in sich in unbewußter Weise. Da, aber nach Leibnitz die Monaden schlechthin selbständig sind, keine Wechselwirkung auf einander ausüben, so ist wohl der Begriff einer Summe von Monaden, aber nicht der Begriff eines Universums denkbar, und ebenso wenig zu begreifen, wie die Vielheit der Monaden, die in keinem Kau¬ salitätsverhältniß zu einander stehen, sich in der einzelnen spiegeln, auf die Sinne Eindrücke hervorbringen soll. Es ist ein Verdienst von Leibnitz, daß er das Werden des Bewußtseins durch den Willen vermittelt denkt, ihn als Kausalität desselben begreift. Nichts desto weniger verfällt er einem psychologischen Determinismus, indem er das Handeln als das nothwendige Ergebniß des Erkennens ansieht. Zwischen den einzelnen Monaden besteht nur eine ideale Harmonie, ver¬ möge welcher die Veränderung der einen eine entsprechende Modifikation in der andern zur Folge hat. Und diese Harmonie ist prästabilirt, da jede Monade ihre Natur in Uebereinstimmung mit der Natur aller übrigen empfangen hat, die Totalität der Monaden in einem und demselben Plane erschaffen ist. Hier berührt sich Leibnitz mit dem Okkcisionalismus. Die Einseitigkeiten des Rationalismus will der Empirismus ergänzen, und er ist in seinem Recht, wenn er es betont, daß die Sinne eine Quelle des geistigen Lebens und die Organisation der Materie eine Bedingung für dasselbe seien. Er verliert aber sein Recht, sowie er sich als Universal-Methode der Wissenschaften betrachtet. Geschichtlich beginnt der moderne Empirismus mit Bacon und schon am Schluß des ersten Abschnittes seiner Entwicklung gestaltet er sich bei Thomas Hobbes zum Materialismus, der die geistigen Thätigkeiten in Bewegungen der kleinsten Theile des Körpers auflöst. Die Freiheit besteht nur in der Abwesenheit von Hindernissen der Bewegung. Da alles in der Körperwelt nach Selbsterhaltung strebt, ist jeder Mensch nothwendig ein Egoist. Das Allgemeine vertritt nur die Gesetzgebung und Zwangsgewalt des Staates.' Die zweite Periode des Empirismus leitet der Sensualismus Locke's ein. Alle Erkenntnisse, Begriffe, Vorstellungen und Gedanken werden in Empfindungen ausgelöst und daraus zusammengesetzt. Das Denken ist formale Thätigkeit, das Material liefern die Sinne. Der Verstand selbst bringt in-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/175
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/175>, abgerufen am 05.02.2025.