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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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gibt, aber nicht ein Subjekt, das Träger derselben wäre. Denn die Seele
gilt ja nur als Modus der göttlichen Substanz. Es findet sich aber bei
Spinoza auch eine andere Auffassungsweise, nach welcher die Seele ein Selbst¬
bewußtsein des Geistes besitzt, eine Idee der Idee, einen Begriff dcwvn, daß
sie ein ewiger Begriff in dem unendlichen Denken Gottes ist. Die Seele, so
gedacht, hat aber kein Analogon im Leiblichen, es gibt keinen Körper des
Körpers, wohl aber eine Idee der Idee.

Leibnitz erweitert den Begriff der Seele, sie ist ihm Monade, d. h. eine
einfache Substanz, welche aus sich selber thätig ist und in ihrer Einheit ein
Mannichfaches umfaßt. Die einfachen Substanzen begreifen wir nach Analogie
unsrer Seele, welche die einzige Substanz ist, die wir unmittelbar erkennen.
So ist die Seele das wahre Sein und Wesen aller Dinge und die körperliche
Materie eine Erscheinung der an sich geistigen Substanzen. Diese unterscheiden
sich vou einander qualitativ. Es ist ein großes Verdienst von Leibnitz, daß er
das Prinzip der Individualität zur Geltung gebracht hat. Dagegen ist es
fehlerhaft, daß er, gestützt auf die Zustände des Unbewußten in der menschlichen
Seele, nach ihrer Analogie ein Seelenleben in die Natur hineininterpretirt hat,
d. h. in Zufälligkeiten der Seele ihr innerstes Wesen gesehen und das, was selbst
der Erklärung bedarf, als erklärendes Prinzip benutzt hat. Denn die Zustünde
des Unbewußten haben uur da Platz, wo das Bewußtsein das Wesen des
innern Lebens bildet. Negationen setzen eine Position voraus. Wilh uicht
Träger eines Bewußtseins ist, kann auch nicht Zustände des Unbewußten erfahren.
Das Unbewußte ist nur als Verdunkelung des Bewußtseins zu begreifen.

Leibnitz sieht im Körper ein Aggregat von Monaden, die auf der nied¬
rigsten Stufe der Entwicklung, der völligen Bewußtlosigkeit sich befinden.
Unbegreiflich freilich bleibt, wie ein solches Aggregat entstehen kann, da die
Monaden nicht auf einander zu wirken vermögen. Wenn nun in einem
Monaden-Aggregat eine Monate das herrschende Zentrum wird, und die
übrigen Monaden sich in den Dienst derselben als Werkzeuge stellen, so bildet
sich der Gegensatz von Seele und Leib und damit organisches Leben. Dagegen
ist nur zu sagen, daß nicht die örtliche Lage, sondern nur die innere Entwicklung
die Dignität einer Monate bestimmen kann. Die Entwicklungen und Ver¬
änderungen von Leib und Seele gehen parallel, stimmen mit einander überein,
aber keine ist Ursache und Wirkung der andern.

Jede Seele ist unsterblich, denn die Monaden sind einfache unvergängliche
Substanzen. Was nicht zu leben angefangen hat, kann auch uicht zu leben
aufhören,

Leibnitz betrachtet alles in der Natur als eine stetige Entwicklung, welche
zu immer höhern Stufen führt; aber er erklärt nicht, woher diese verschiedenen


gibt, aber nicht ein Subjekt, das Träger derselben wäre. Denn die Seele
gilt ja nur als Modus der göttlichen Substanz. Es findet sich aber bei
Spinoza auch eine andere Auffassungsweise, nach welcher die Seele ein Selbst¬
bewußtsein des Geistes besitzt, eine Idee der Idee, einen Begriff dcwvn, daß
sie ein ewiger Begriff in dem unendlichen Denken Gottes ist. Die Seele, so
gedacht, hat aber kein Analogon im Leiblichen, es gibt keinen Körper des
Körpers, wohl aber eine Idee der Idee.

Leibnitz erweitert den Begriff der Seele, sie ist ihm Monade, d. h. eine
einfache Substanz, welche aus sich selber thätig ist und in ihrer Einheit ein
Mannichfaches umfaßt. Die einfachen Substanzen begreifen wir nach Analogie
unsrer Seele, welche die einzige Substanz ist, die wir unmittelbar erkennen.
So ist die Seele das wahre Sein und Wesen aller Dinge und die körperliche
Materie eine Erscheinung der an sich geistigen Substanzen. Diese unterscheiden
sich vou einander qualitativ. Es ist ein großes Verdienst von Leibnitz, daß er
das Prinzip der Individualität zur Geltung gebracht hat. Dagegen ist es
fehlerhaft, daß er, gestützt auf die Zustände des Unbewußten in der menschlichen
Seele, nach ihrer Analogie ein Seelenleben in die Natur hineininterpretirt hat,
d. h. in Zufälligkeiten der Seele ihr innerstes Wesen gesehen und das, was selbst
der Erklärung bedarf, als erklärendes Prinzip benutzt hat. Denn die Zustünde
des Unbewußten haben uur da Platz, wo das Bewußtsein das Wesen des
innern Lebens bildet. Negationen setzen eine Position voraus. Wilh uicht
Träger eines Bewußtseins ist, kann auch nicht Zustände des Unbewußten erfahren.
Das Unbewußte ist nur als Verdunkelung des Bewußtseins zu begreifen.

Leibnitz sieht im Körper ein Aggregat von Monaden, die auf der nied¬
rigsten Stufe der Entwicklung, der völligen Bewußtlosigkeit sich befinden.
Unbegreiflich freilich bleibt, wie ein solches Aggregat entstehen kann, da die
Monaden nicht auf einander zu wirken vermögen. Wenn nun in einem
Monaden-Aggregat eine Monate das herrschende Zentrum wird, und die
übrigen Monaden sich in den Dienst derselben als Werkzeuge stellen, so bildet
sich der Gegensatz von Seele und Leib und damit organisches Leben. Dagegen
ist nur zu sagen, daß nicht die örtliche Lage, sondern nur die innere Entwicklung
die Dignität einer Monate bestimmen kann. Die Entwicklungen und Ver¬
änderungen von Leib und Seele gehen parallel, stimmen mit einander überein,
aber keine ist Ursache und Wirkung der andern.

Jede Seele ist unsterblich, denn die Monaden sind einfache unvergängliche
Substanzen. Was nicht zu leben angefangen hat, kann auch uicht zu leben
aufhören,

Leibnitz betrachtet alles in der Natur als eine stetige Entwicklung, welche
zu immer höhern Stufen führt; aber er erklärt nicht, woher diese verschiedenen


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[0174] gibt, aber nicht ein Subjekt, das Träger derselben wäre. Denn die Seele gilt ja nur als Modus der göttlichen Substanz. Es findet sich aber bei Spinoza auch eine andere Auffassungsweise, nach welcher die Seele ein Selbst¬ bewußtsein des Geistes besitzt, eine Idee der Idee, einen Begriff dcwvn, daß sie ein ewiger Begriff in dem unendlichen Denken Gottes ist. Die Seele, so gedacht, hat aber kein Analogon im Leiblichen, es gibt keinen Körper des Körpers, wohl aber eine Idee der Idee. Leibnitz erweitert den Begriff der Seele, sie ist ihm Monade, d. h. eine einfache Substanz, welche aus sich selber thätig ist und in ihrer Einheit ein Mannichfaches umfaßt. Die einfachen Substanzen begreifen wir nach Analogie unsrer Seele, welche die einzige Substanz ist, die wir unmittelbar erkennen. So ist die Seele das wahre Sein und Wesen aller Dinge und die körperliche Materie eine Erscheinung der an sich geistigen Substanzen. Diese unterscheiden sich vou einander qualitativ. Es ist ein großes Verdienst von Leibnitz, daß er das Prinzip der Individualität zur Geltung gebracht hat. Dagegen ist es fehlerhaft, daß er, gestützt auf die Zustände des Unbewußten in der menschlichen Seele, nach ihrer Analogie ein Seelenleben in die Natur hineininterpretirt hat, d. h. in Zufälligkeiten der Seele ihr innerstes Wesen gesehen und das, was selbst der Erklärung bedarf, als erklärendes Prinzip benutzt hat. Denn die Zustünde des Unbewußten haben uur da Platz, wo das Bewußtsein das Wesen des innern Lebens bildet. Negationen setzen eine Position voraus. Wilh uicht Träger eines Bewußtseins ist, kann auch nicht Zustände des Unbewußten erfahren. Das Unbewußte ist nur als Verdunkelung des Bewußtseins zu begreifen. Leibnitz sieht im Körper ein Aggregat von Monaden, die auf der nied¬ rigsten Stufe der Entwicklung, der völligen Bewußtlosigkeit sich befinden. Unbegreiflich freilich bleibt, wie ein solches Aggregat entstehen kann, da die Monaden nicht auf einander zu wirken vermögen. Wenn nun in einem Monaden-Aggregat eine Monate das herrschende Zentrum wird, und die übrigen Monaden sich in den Dienst derselben als Werkzeuge stellen, so bildet sich der Gegensatz von Seele und Leib und damit organisches Leben. Dagegen ist nur zu sagen, daß nicht die örtliche Lage, sondern nur die innere Entwicklung die Dignität einer Monate bestimmen kann. Die Entwicklungen und Ver¬ änderungen von Leib und Seele gehen parallel, stimmen mit einander überein, aber keine ist Ursache und Wirkung der andern. Jede Seele ist unsterblich, denn die Monaden sind einfache unvergängliche Substanzen. Was nicht zu leben angefangen hat, kann auch uicht zu leben aufhören, Leibnitz betrachtet alles in der Natur als eine stetige Entwicklung, welche zu immer höhern Stufen führt; aber er erklärt nicht, woher diese verschiedenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/174>, abgerufen am 05.02.2025.