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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Wohl wurde eine große Zahl alter Gobelins ein Raub der Flammen, ein
unersetzlicher Verlust, wenn mau bedenkt, daß in den Ausstellungsräumen der
Manufaktur die besten Exemplare jeder Epoche als Musterbilder für die
Lernenden aufbewahrt wurden, wenn man bedenkt, daß die Gobelinweberei so
zu sagen das Echo der französischen Malerei war. Aber die künstlerische Tra¬
dition wurde durch den Brand des 25. Mai nicht unterbrochen. Wenn wir
die unerschütterliche Lebenskraft Frankreichs an einem Beispiel so recht er¬
kennen wollen, so bieten es die modernsten Gobelins, die nicht blos das Höchste
darstellen, was bis jetzt in dieser Kunst erreicht worden ist, sondern die zu¬
gleich die Grenze dessen repräsentiren, was nach menschlicher Einsicht erreicht
werden kann.

Es scheint nicht glaublich, daß die Gobeliumalerei noch feiner und weiter
ausgebildet werden kann als es hier geschehen ist. Ist es möglich, den vier¬
undzwanzig Nüancen, welche die Manufaktur in jeder einzelnen Farbe besitzt,
noch fernere hinzuzufügen? Ist es möglich, die Täuschung noch weiter zu
treiben als es hier geschehen ist? Das sind keine Gewebe mehr, das sind
Gemälde, die mit den Oelbildern in Farbenglanz, Ton und Gesammteffekt er¬
folgreich wetteifern. Die Farben sind von einer Intensität, einer Leuchtkraft,
wie sie die Gobeliuweberei der klassischen Zeit, deren Erzeugnisse auf den Ver¬
steigerungen im Hotel Drouot mit 40--80,000 Franes bezahlt werden, niemals
erreicht hat. Und diese Leuchtkraft ist, soweit sich koutroliren läßt, ohne Zu¬
hülfenahme des verderblichen Anilin erzielt worden.

Die Farbenabstufungen sind so fein, daß man noch auf einer Entfernung
von drei Schritten glaubt, ein zarter Pinsel hätte diese glühenden Farben auf
die Leinwand getragen. Zeichnung und Modelliruug sind, frei von jeder Härte,
zart und weich wie ein Hauch. Die berühmtesten Gemälde des Louvre und
auswärtiger Galerien haben als Vorlagen gedient. Man sieht Correggio's lieb¬
liches Gemälde "die Madonna des heiligen Hieronymus", das sich in der
Kunstakademie zu Parma befindet, und Domenico Ghirlandajos klassisches
Meisterwerk "der Besuch der heiligen Jungfrau bei der heiligen Elisabeth"
neben ausgezeichneten Imitationen der reizvollen Grotesken, mit denen Naffael
und seine Schüler die Loggien des Vatikan schmückten. Eine Anzahl moderner
Maler ist fast ausschließlich für die Gobelinmanufaktnr thätig. In den oberen
Räumen des Etablissements befinden sich Ateliers, in welchen Gemälde ans
Cartons übertragen werden, die dann in Stücke zerschnitten und den Webern
als Vorlagen eingehändigt werden. In der französischen Knnstabtheilung sieht
man eine entzückende, in Wasserfarben ausgeführte Komposition, das Feenkind,
dem die Feen nach seiner Geburt die köstlichsten Gaben bringen, von Mazervlle,
eine Komposition, die als Muster für die Gvbelinmauufaktnr dienen soll.


Wohl wurde eine große Zahl alter Gobelins ein Raub der Flammen, ein
unersetzlicher Verlust, wenn mau bedenkt, daß in den Ausstellungsräumen der
Manufaktur die besten Exemplare jeder Epoche als Musterbilder für die
Lernenden aufbewahrt wurden, wenn man bedenkt, daß die Gobelinweberei so
zu sagen das Echo der französischen Malerei war. Aber die künstlerische Tra¬
dition wurde durch den Brand des 25. Mai nicht unterbrochen. Wenn wir
die unerschütterliche Lebenskraft Frankreichs an einem Beispiel so recht er¬
kennen wollen, so bieten es die modernsten Gobelins, die nicht blos das Höchste
darstellen, was bis jetzt in dieser Kunst erreicht worden ist, sondern die zu¬
gleich die Grenze dessen repräsentiren, was nach menschlicher Einsicht erreicht
werden kann.

Es scheint nicht glaublich, daß die Gobeliumalerei noch feiner und weiter
ausgebildet werden kann als es hier geschehen ist. Ist es möglich, den vier¬
undzwanzig Nüancen, welche die Manufaktur in jeder einzelnen Farbe besitzt,
noch fernere hinzuzufügen? Ist es möglich, die Täuschung noch weiter zu
treiben als es hier geschehen ist? Das sind keine Gewebe mehr, das sind
Gemälde, die mit den Oelbildern in Farbenglanz, Ton und Gesammteffekt er¬
folgreich wetteifern. Die Farben sind von einer Intensität, einer Leuchtkraft,
wie sie die Gobeliuweberei der klassischen Zeit, deren Erzeugnisse auf den Ver¬
steigerungen im Hotel Drouot mit 40—80,000 Franes bezahlt werden, niemals
erreicht hat. Und diese Leuchtkraft ist, soweit sich koutroliren läßt, ohne Zu¬
hülfenahme des verderblichen Anilin erzielt worden.

Die Farbenabstufungen sind so fein, daß man noch auf einer Entfernung
von drei Schritten glaubt, ein zarter Pinsel hätte diese glühenden Farben auf
die Leinwand getragen. Zeichnung und Modelliruug sind, frei von jeder Härte,
zart und weich wie ein Hauch. Die berühmtesten Gemälde des Louvre und
auswärtiger Galerien haben als Vorlagen gedient. Man sieht Correggio's lieb¬
liches Gemälde „die Madonna des heiligen Hieronymus", das sich in der
Kunstakademie zu Parma befindet, und Domenico Ghirlandajos klassisches
Meisterwerk „der Besuch der heiligen Jungfrau bei der heiligen Elisabeth"
neben ausgezeichneten Imitationen der reizvollen Grotesken, mit denen Naffael
und seine Schüler die Loggien des Vatikan schmückten. Eine Anzahl moderner
Maler ist fast ausschließlich für die Gobelinmanufaktnr thätig. In den oberen
Räumen des Etablissements befinden sich Ateliers, in welchen Gemälde ans
Cartons übertragen werden, die dann in Stücke zerschnitten und den Webern
als Vorlagen eingehändigt werden. In der französischen Knnstabtheilung sieht
man eine entzückende, in Wasserfarben ausgeführte Komposition, das Feenkind,
dem die Feen nach seiner Geburt die köstlichsten Gaben bringen, von Mazervlle,
eine Komposition, die als Muster für die Gvbelinmauufaktnr dienen soll.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/76>, abgerufen am 22.07.2024.