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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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sehen, was eigentlich dargestellt sei, als auch um den vollkommenen Wuchs der
sehr schönen Jungfrauen genauer zu betrachten. "Ich, so sagte er wörtlich,
habe mich, weil ich ein Maler bin, ein wenig unverschämter umgesehn."

An diese Darstellung hat sich nun Makart in keiner Weise gehalten. Er
hat irgendwo in einem Geschichtswerk gelesen, daß es im fünfzehnten Jahr¬
hundert hie und da in England und Frankreich Sitte gewesen, den feierlichen
Einzug von Königen und Fürsten dadurch zu verherrlichen, daß man sie durch
edle Jungfrauen in unverhüllter Schönheit bewillkommnen ließ. Diese Notiz
hat er sich für seinen "Einzug Karl's V. in Antwerpen" zu Nutze gemacht, offen¬
bar weil er mi-t den kurzen Notizen Dürer's nichts anzufangen wußte.

Den Vordergrund seines Bildes nehmen, wie gesagt, die fünf Jungfrauen
ein> die ihm die Hauptsache gewesen sind, während alles übrige, der Kaiser und
seine Ritter, die guten Antwerpener und Albrecht Dürer als Hintergrund, als
Dekoration herhalten müssen. In diesen Jungfrauen hat Makart etwas ge¬
leistet, was ihm nach seinen bisherigen Schöpfungen Niemand zugetraut hatte.
Er hat nicht jene plumpen, widrigen Fleischkolosse hingestellt, wie wir sie aus
den Abundantiabildern, aus "der Erde und des Meeres Gaben" kennen, nicht
verzerrte, leichenfarbene Gesichter geschaffen, sondern wonnige mädchenhafte
Gestalten mit bezaubernd schönen Köpfen, die trotz ihres mangelhaften Kostüms
merkwürdig keusch und unbefangen dreinschauen. Ein dünner Flor deckt wohl
diesen oder jenen Körpertheil, eine der Damen ist sogar mit einem vollstän¬
digen Schleierhemde bekleidet, aber diese Schleier sind so durchsichtig, daß die
schönen Formen in vollster Klarheit hervortreten.

Als das Bild in Wien zum ersten Male ausgestellt wurde, flüsterte man
sich die Namen der Damen in's Ohr, welche so gefällig gewesen waren, dem
Maler ihre Reize zu bieten, wie es einst die Mädchen von Croton gethan,
als dort Zeuxis seine Helena malte. Es lief also ein gut Theil Lokalinteresse
in den Kunstenthusiasmus der Wiener mit unter. Für Paris hatte das Bild
diesen intimen Reiz allerdings eingebüßt. Es blieben ihm aber noch so viele
andere Reize, daß man den Maler des Ehrenpreises sür ebenso würdig erachtete
wie Munkacsy.

Die übrigen Personen des Makart'schen Bildes verhalten sich den mannig¬
fachen Schönheiten gegenüber, welche der Maler ausgebreitet hat, auffallend
gleichgiltig. Nur einer oder der andere der Landsknechte, die mit flatternden
Bannern und Hellebarden dem jungen Fürsten voraufschreiten, wagt einen
verstohlenen Blick auf das seltene Schauspiel zu werfen. Dürer, der sich doch
nach seinen eigenen Worten "etwas unverschämter" umgesehen hat, steht ganz
abseits. Makart hat den großen Meister so wiedergegeben, wie er sich selbst
auf dem allbekannten Münchner Bilde portraitirt hat. Das war aber hier


sehen, was eigentlich dargestellt sei, als auch um den vollkommenen Wuchs der
sehr schönen Jungfrauen genauer zu betrachten. „Ich, so sagte er wörtlich,
habe mich, weil ich ein Maler bin, ein wenig unverschämter umgesehn."

An diese Darstellung hat sich nun Makart in keiner Weise gehalten. Er
hat irgendwo in einem Geschichtswerk gelesen, daß es im fünfzehnten Jahr¬
hundert hie und da in England und Frankreich Sitte gewesen, den feierlichen
Einzug von Königen und Fürsten dadurch zu verherrlichen, daß man sie durch
edle Jungfrauen in unverhüllter Schönheit bewillkommnen ließ. Diese Notiz
hat er sich für seinen „Einzug Karl's V. in Antwerpen" zu Nutze gemacht, offen¬
bar weil er mi-t den kurzen Notizen Dürer's nichts anzufangen wußte.

Den Vordergrund seines Bildes nehmen, wie gesagt, die fünf Jungfrauen
ein> die ihm die Hauptsache gewesen sind, während alles übrige, der Kaiser und
seine Ritter, die guten Antwerpener und Albrecht Dürer als Hintergrund, als
Dekoration herhalten müssen. In diesen Jungfrauen hat Makart etwas ge¬
leistet, was ihm nach seinen bisherigen Schöpfungen Niemand zugetraut hatte.
Er hat nicht jene plumpen, widrigen Fleischkolosse hingestellt, wie wir sie aus
den Abundantiabildern, aus „der Erde und des Meeres Gaben" kennen, nicht
verzerrte, leichenfarbene Gesichter geschaffen, sondern wonnige mädchenhafte
Gestalten mit bezaubernd schönen Köpfen, die trotz ihres mangelhaften Kostüms
merkwürdig keusch und unbefangen dreinschauen. Ein dünner Flor deckt wohl
diesen oder jenen Körpertheil, eine der Damen ist sogar mit einem vollstän¬
digen Schleierhemde bekleidet, aber diese Schleier sind so durchsichtig, daß die
schönen Formen in vollster Klarheit hervortreten.

Als das Bild in Wien zum ersten Male ausgestellt wurde, flüsterte man
sich die Namen der Damen in's Ohr, welche so gefällig gewesen waren, dem
Maler ihre Reize zu bieten, wie es einst die Mädchen von Croton gethan,
als dort Zeuxis seine Helena malte. Es lief also ein gut Theil Lokalinteresse
in den Kunstenthusiasmus der Wiener mit unter. Für Paris hatte das Bild
diesen intimen Reiz allerdings eingebüßt. Es blieben ihm aber noch so viele
andere Reize, daß man den Maler des Ehrenpreises sür ebenso würdig erachtete
wie Munkacsy.

Die übrigen Personen des Makart'schen Bildes verhalten sich den mannig¬
fachen Schönheiten gegenüber, welche der Maler ausgebreitet hat, auffallend
gleichgiltig. Nur einer oder der andere der Landsknechte, die mit flatternden
Bannern und Hellebarden dem jungen Fürsten voraufschreiten, wagt einen
verstohlenen Blick auf das seltene Schauspiel zu werfen. Dürer, der sich doch
nach seinen eigenen Worten „etwas unverschämter" umgesehen hat, steht ganz
abseits. Makart hat den großen Meister so wiedergegeben, wie er sich selbst
auf dem allbekannten Münchner Bilde portraitirt hat. Das war aber hier


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[0510] sehen, was eigentlich dargestellt sei, als auch um den vollkommenen Wuchs der sehr schönen Jungfrauen genauer zu betrachten. „Ich, so sagte er wörtlich, habe mich, weil ich ein Maler bin, ein wenig unverschämter umgesehn." An diese Darstellung hat sich nun Makart in keiner Weise gehalten. Er hat irgendwo in einem Geschichtswerk gelesen, daß es im fünfzehnten Jahr¬ hundert hie und da in England und Frankreich Sitte gewesen, den feierlichen Einzug von Königen und Fürsten dadurch zu verherrlichen, daß man sie durch edle Jungfrauen in unverhüllter Schönheit bewillkommnen ließ. Diese Notiz hat er sich für seinen „Einzug Karl's V. in Antwerpen" zu Nutze gemacht, offen¬ bar weil er mi-t den kurzen Notizen Dürer's nichts anzufangen wußte. Den Vordergrund seines Bildes nehmen, wie gesagt, die fünf Jungfrauen ein> die ihm die Hauptsache gewesen sind, während alles übrige, der Kaiser und seine Ritter, die guten Antwerpener und Albrecht Dürer als Hintergrund, als Dekoration herhalten müssen. In diesen Jungfrauen hat Makart etwas ge¬ leistet, was ihm nach seinen bisherigen Schöpfungen Niemand zugetraut hatte. Er hat nicht jene plumpen, widrigen Fleischkolosse hingestellt, wie wir sie aus den Abundantiabildern, aus „der Erde und des Meeres Gaben" kennen, nicht verzerrte, leichenfarbene Gesichter geschaffen, sondern wonnige mädchenhafte Gestalten mit bezaubernd schönen Köpfen, die trotz ihres mangelhaften Kostüms merkwürdig keusch und unbefangen dreinschauen. Ein dünner Flor deckt wohl diesen oder jenen Körpertheil, eine der Damen ist sogar mit einem vollstän¬ digen Schleierhemde bekleidet, aber diese Schleier sind so durchsichtig, daß die schönen Formen in vollster Klarheit hervortreten. Als das Bild in Wien zum ersten Male ausgestellt wurde, flüsterte man sich die Namen der Damen in's Ohr, welche so gefällig gewesen waren, dem Maler ihre Reize zu bieten, wie es einst die Mädchen von Croton gethan, als dort Zeuxis seine Helena malte. Es lief also ein gut Theil Lokalinteresse in den Kunstenthusiasmus der Wiener mit unter. Für Paris hatte das Bild diesen intimen Reiz allerdings eingebüßt. Es blieben ihm aber noch so viele andere Reize, daß man den Maler des Ehrenpreises sür ebenso würdig erachtete wie Munkacsy. Die übrigen Personen des Makart'schen Bildes verhalten sich den mannig¬ fachen Schönheiten gegenüber, welche der Maler ausgebreitet hat, auffallend gleichgiltig. Nur einer oder der andere der Landsknechte, die mit flatternden Bannern und Hellebarden dem jungen Fürsten voraufschreiten, wagt einen verstohlenen Blick auf das seltene Schauspiel zu werfen. Dürer, der sich doch nach seinen eigenen Worten „etwas unverschämter" umgesehen hat, steht ganz abseits. Makart hat den großen Meister so wiedergegeben, wie er sich selbst auf dem allbekannten Münchner Bilde portraitirt hat. Das war aber hier

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/510>, abgerufen am 22.07.2024.