Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

In noch höherem Grade gilt das von seinem "Einzug Karl's V. in Antwerpen",
der bekanntlich bei seinem ersten Erscheinen im Wiener Künstlerhause von
Seiten der gesammten Kritik der österreichischen Hauptstadt eine entschiedene
Verurteilung erfahren hat. Freilich konnte man einen Fortschritt konstatiren.
Makart hat sich bemüht, die angeblich geniale Liederlichkeit in Zeichnung und
Modellirung, mit welcher er zuletzt förmlich kokettirte, abzulegen. Man be¬
merkt auf dem Bilde eine ganze Anzahl vortrefflich gezeichneter Figuren,
und die berühmten nackten Mädchen, die vor dem Rosse des jugendlichen
Kaisers einherschreiten, sind sogar mit einer Feinheit und Zartheit modellirt,
die nur noch bei den Franzosen ihr Seitenstück findet.

Die nackten oder nur mit einem dünnen Flor bekleideten Jungfrauen sind
-- darüber kann kein Zweifel herrschen -- die Hauptsache auf dem großen
Bilde. Um ihretwillen das ganze Aufgebot von Kaiser, Rittern und Lands¬
knechten, um ihretwillen die Fahnen und Banner, die geschmückten Bürger und
Bürgerfrauen und der ehrwürdige Meister Dürer, der im Vordergründe steht
und auf den Trubel blickt! Allerdings hat sich Makart das Air gegeben, als
Hütte er, um den Stoff seines Bildes zu finden, besonders tiefe historische
Studien gemacht. Wenn man aber genauer auf seine Quellen blickt, wird man
gewahr, daß er sie gröblich mißverstanden hat.

Dürer erzählt in dem Tagebuche, das er über seine niederländische Reise
geführt hat, er sei (im August 1520) von seinem Wirth in die Werkstätte der
Maler im Zeughaus zu Antwerpen geführt worden, "wo sie deu Triumphbau
Herrichten, dnrch welchen man den König Karl einführen soll. Dieses Werk ist
einhundert Bögen lang und ein jeder vierzig Schuh weit und wird auf beiden
Seiten der Gasse aufgestellt, hübsch geordnet, zwei Stockwerke hoch; darauf
wird man die Schauspiele aufführen." Später erzählt er mit Bezug auf das¬
selbe Ereigniß: "Ich habe einen Stüber gegeben für das gedruckte "Einreiten
zu Antwerpen", wie der König mit einem köstlichen Triumph empfangen wurde
-- da waren die Pforten gar kostbar verziert -- mit Schauspielen, großer
Freudigkeit und so schönen Mädchengestalten, dergleichen ich wenig gesehen
habe." Man würde aus diese flüchtigen Notizen kaum entnehmen, ob er
wirklich in Person diesem "Einreiten" beigewohnt oder ob er nur nach den
Abbildungen geurtheilt, wenn wir nicht in einer Schrift Melanchthon's eine
ausdrückliche Bestätigung dafür erhielten. Dürer habe ihm, so berichtet
Melanchthon, erzählt, daß er den Einzug mit König Karl mitgemacht. In
den augenscheinlich mythologischen Gruppen seien die schönsten Jungfrauen aus¬
gestellt gewesen, fast ganz nackt und blos mit einem ganz dünnen und durch¬
sichtigen Schleier umhüllt. Der junge Kaiser habe zwar die Mädchen keines
Blickes gewürdigt, er aber sei ganz gern näher herangegangen, sowohl um zu


In noch höherem Grade gilt das von seinem „Einzug Karl's V. in Antwerpen",
der bekanntlich bei seinem ersten Erscheinen im Wiener Künstlerhause von
Seiten der gesammten Kritik der österreichischen Hauptstadt eine entschiedene
Verurteilung erfahren hat. Freilich konnte man einen Fortschritt konstatiren.
Makart hat sich bemüht, die angeblich geniale Liederlichkeit in Zeichnung und
Modellirung, mit welcher er zuletzt förmlich kokettirte, abzulegen. Man be¬
merkt auf dem Bilde eine ganze Anzahl vortrefflich gezeichneter Figuren,
und die berühmten nackten Mädchen, die vor dem Rosse des jugendlichen
Kaisers einherschreiten, sind sogar mit einer Feinheit und Zartheit modellirt,
die nur noch bei den Franzosen ihr Seitenstück findet.

Die nackten oder nur mit einem dünnen Flor bekleideten Jungfrauen sind
— darüber kann kein Zweifel herrschen — die Hauptsache auf dem großen
Bilde. Um ihretwillen das ganze Aufgebot von Kaiser, Rittern und Lands¬
knechten, um ihretwillen die Fahnen und Banner, die geschmückten Bürger und
Bürgerfrauen und der ehrwürdige Meister Dürer, der im Vordergründe steht
und auf den Trubel blickt! Allerdings hat sich Makart das Air gegeben, als
Hütte er, um den Stoff seines Bildes zu finden, besonders tiefe historische
Studien gemacht. Wenn man aber genauer auf seine Quellen blickt, wird man
gewahr, daß er sie gröblich mißverstanden hat.

Dürer erzählt in dem Tagebuche, das er über seine niederländische Reise
geführt hat, er sei (im August 1520) von seinem Wirth in die Werkstätte der
Maler im Zeughaus zu Antwerpen geführt worden, „wo sie deu Triumphbau
Herrichten, dnrch welchen man den König Karl einführen soll. Dieses Werk ist
einhundert Bögen lang und ein jeder vierzig Schuh weit und wird auf beiden
Seiten der Gasse aufgestellt, hübsch geordnet, zwei Stockwerke hoch; darauf
wird man die Schauspiele aufführen." Später erzählt er mit Bezug auf das¬
selbe Ereigniß: „Ich habe einen Stüber gegeben für das gedruckte „Einreiten
zu Antwerpen", wie der König mit einem köstlichen Triumph empfangen wurde
— da waren die Pforten gar kostbar verziert — mit Schauspielen, großer
Freudigkeit und so schönen Mädchengestalten, dergleichen ich wenig gesehen
habe." Man würde aus diese flüchtigen Notizen kaum entnehmen, ob er
wirklich in Person diesem „Einreiten" beigewohnt oder ob er nur nach den
Abbildungen geurtheilt, wenn wir nicht in einer Schrift Melanchthon's eine
ausdrückliche Bestätigung dafür erhielten. Dürer habe ihm, so berichtet
Melanchthon, erzählt, daß er den Einzug mit König Karl mitgemacht. In
den augenscheinlich mythologischen Gruppen seien die schönsten Jungfrauen aus¬
gestellt gewesen, fast ganz nackt und blos mit einem ganz dünnen und durch¬
sichtigen Schleier umhüllt. Der junge Kaiser habe zwar die Mädchen keines
Blickes gewürdigt, er aber sei ganz gern näher herangegangen, sowohl um zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0509" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140860"/>
          <p xml:id="ID_1552" prev="#ID_1551"> In noch höherem Grade gilt das von seinem &#x201E;Einzug Karl's V. in Antwerpen",<lb/>
der bekanntlich bei seinem ersten Erscheinen im Wiener Künstlerhause von<lb/>
Seiten der gesammten Kritik der österreichischen Hauptstadt eine entschiedene<lb/>
Verurteilung erfahren hat. Freilich konnte man einen Fortschritt konstatiren.<lb/>
Makart hat sich bemüht, die angeblich geniale Liederlichkeit in Zeichnung und<lb/>
Modellirung, mit welcher er zuletzt förmlich kokettirte, abzulegen. Man be¬<lb/>
merkt auf dem Bilde eine ganze Anzahl vortrefflich gezeichneter Figuren,<lb/>
und die berühmten nackten Mädchen, die vor dem Rosse des jugendlichen<lb/>
Kaisers einherschreiten, sind sogar mit einer Feinheit und Zartheit modellirt,<lb/>
die nur noch bei den Franzosen ihr Seitenstück findet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1553"> Die nackten oder nur mit einem dünnen Flor bekleideten Jungfrauen sind<lb/>
&#x2014; darüber kann kein Zweifel herrschen &#x2014; die Hauptsache auf dem großen<lb/>
Bilde. Um ihretwillen das ganze Aufgebot von Kaiser, Rittern und Lands¬<lb/>
knechten, um ihretwillen die Fahnen und Banner, die geschmückten Bürger und<lb/>
Bürgerfrauen und der ehrwürdige Meister Dürer, der im Vordergründe steht<lb/>
und auf den Trubel blickt! Allerdings hat sich Makart das Air gegeben, als<lb/>
Hütte er, um den Stoff seines Bildes zu finden, besonders tiefe historische<lb/>
Studien gemacht. Wenn man aber genauer auf seine Quellen blickt, wird man<lb/>
gewahr, daß er sie gröblich mißverstanden hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1554" next="#ID_1555"> Dürer erzählt in dem Tagebuche, das er über seine niederländische Reise<lb/>
geführt hat, er sei (im August 1520) von seinem Wirth in die Werkstätte der<lb/>
Maler im Zeughaus zu Antwerpen geführt worden, &#x201E;wo sie deu Triumphbau<lb/>
Herrichten, dnrch welchen man den König Karl einführen soll. Dieses Werk ist<lb/>
einhundert Bögen lang und ein jeder vierzig Schuh weit und wird auf beiden<lb/>
Seiten der Gasse aufgestellt, hübsch geordnet, zwei Stockwerke hoch; darauf<lb/>
wird man die Schauspiele aufführen." Später erzählt er mit Bezug auf das¬<lb/>
selbe Ereigniß: &#x201E;Ich habe einen Stüber gegeben für das gedruckte &#x201E;Einreiten<lb/>
zu Antwerpen", wie der König mit einem köstlichen Triumph empfangen wurde<lb/>
&#x2014; da waren die Pforten gar kostbar verziert &#x2014; mit Schauspielen, großer<lb/>
Freudigkeit und so schönen Mädchengestalten, dergleichen ich wenig gesehen<lb/>
habe." Man würde aus diese flüchtigen Notizen kaum entnehmen, ob er<lb/>
wirklich in Person diesem &#x201E;Einreiten" beigewohnt oder ob er nur nach den<lb/>
Abbildungen geurtheilt, wenn wir nicht in einer Schrift Melanchthon's eine<lb/>
ausdrückliche Bestätigung dafür erhielten. Dürer habe ihm, so berichtet<lb/>
Melanchthon, erzählt, daß er den Einzug mit König Karl mitgemacht. In<lb/>
den augenscheinlich mythologischen Gruppen seien die schönsten Jungfrauen aus¬<lb/>
gestellt gewesen, fast ganz nackt und blos mit einem ganz dünnen und durch¬<lb/>
sichtigen Schleier umhüllt. Der junge Kaiser habe zwar die Mädchen keines<lb/>
Blickes gewürdigt, er aber sei ganz gern näher herangegangen, sowohl um zu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0509] In noch höherem Grade gilt das von seinem „Einzug Karl's V. in Antwerpen", der bekanntlich bei seinem ersten Erscheinen im Wiener Künstlerhause von Seiten der gesammten Kritik der österreichischen Hauptstadt eine entschiedene Verurteilung erfahren hat. Freilich konnte man einen Fortschritt konstatiren. Makart hat sich bemüht, die angeblich geniale Liederlichkeit in Zeichnung und Modellirung, mit welcher er zuletzt förmlich kokettirte, abzulegen. Man be¬ merkt auf dem Bilde eine ganze Anzahl vortrefflich gezeichneter Figuren, und die berühmten nackten Mädchen, die vor dem Rosse des jugendlichen Kaisers einherschreiten, sind sogar mit einer Feinheit und Zartheit modellirt, die nur noch bei den Franzosen ihr Seitenstück findet. Die nackten oder nur mit einem dünnen Flor bekleideten Jungfrauen sind — darüber kann kein Zweifel herrschen — die Hauptsache auf dem großen Bilde. Um ihretwillen das ganze Aufgebot von Kaiser, Rittern und Lands¬ knechten, um ihretwillen die Fahnen und Banner, die geschmückten Bürger und Bürgerfrauen und der ehrwürdige Meister Dürer, der im Vordergründe steht und auf den Trubel blickt! Allerdings hat sich Makart das Air gegeben, als Hütte er, um den Stoff seines Bildes zu finden, besonders tiefe historische Studien gemacht. Wenn man aber genauer auf seine Quellen blickt, wird man gewahr, daß er sie gröblich mißverstanden hat. Dürer erzählt in dem Tagebuche, das er über seine niederländische Reise geführt hat, er sei (im August 1520) von seinem Wirth in die Werkstätte der Maler im Zeughaus zu Antwerpen geführt worden, „wo sie deu Triumphbau Herrichten, dnrch welchen man den König Karl einführen soll. Dieses Werk ist einhundert Bögen lang und ein jeder vierzig Schuh weit und wird auf beiden Seiten der Gasse aufgestellt, hübsch geordnet, zwei Stockwerke hoch; darauf wird man die Schauspiele aufführen." Später erzählt er mit Bezug auf das¬ selbe Ereigniß: „Ich habe einen Stüber gegeben für das gedruckte „Einreiten zu Antwerpen", wie der König mit einem köstlichen Triumph empfangen wurde — da waren die Pforten gar kostbar verziert — mit Schauspielen, großer Freudigkeit und so schönen Mädchengestalten, dergleichen ich wenig gesehen habe." Man würde aus diese flüchtigen Notizen kaum entnehmen, ob er wirklich in Person diesem „Einreiten" beigewohnt oder ob er nur nach den Abbildungen geurtheilt, wenn wir nicht in einer Schrift Melanchthon's eine ausdrückliche Bestätigung dafür erhielten. Dürer habe ihm, so berichtet Melanchthon, erzählt, daß er den Einzug mit König Karl mitgemacht. In den augenscheinlich mythologischen Gruppen seien die schönsten Jungfrauen aus¬ gestellt gewesen, fast ganz nackt und blos mit einem ganz dünnen und durch¬ sichtigen Schleier umhüllt. Der junge Kaiser habe zwar die Mädchen keines Blickes gewürdigt, er aber sei ganz gern näher herangegangen, sowohl um zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/509
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/509>, abgerufen am 22.07.2024.