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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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liebe Tiefe z. B. des nördlichen atlantischen Ozeans, die 15000' erreicht, so
muß man die Tiefe der Nordsee und Ostsee für eine verhältnißmäßig sehr un¬
beträchtliche erklären. Sowohl dieser Umstand, als noch andere wichtige
Momente, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, berechtigen zu
der Annahme, daß auch ihr Areal durch Ueberfluthung Europa abwendig ge¬
macht ist. Höbe sich Nordeuropa nur um 100 Faden (600 Fuß), so würde
es nach Norden zu ganz beträchtlich wachsen: der britische und dänische Archipel,
sowie Skandinavien würde in direkte Landverbindung mit der Norddeutschen
Küste treten; als Nordgrenze des so gewonnenen Landes würden die Gebirge
Irland's, Schottland's und Norwegen's gelten, die man sich aus denselben
Gründen wie die Alpen höher und massenhafter denken müßte, damit sie die
Einwirkung des Golfstromes, dem Europa so viel verdankt, herabsetzen könnten.
Und daß dies möglich ist, beweisen noch jetzt die Verhältnisse Schweden's, ver¬
glichen mit denen Norwegen's: die Küsten des letzteren, welche vom Golfstrome
gewissermaßen geheizt werden, erfreuen sich unter gleichen Breiten eines viel
milderen Klimas als die entsprechenden Landstriche Schweden's, so daß hier
nnter 64° nördlicher Breite noch Obst gedeiht, während dort unter gleicher
Breite jeglicher Anbau aufgehört hat. Auch nach Westen zu war das Zentral¬
gebiet durch die englischen und französischen Gebirge ziemlich abgeschlossen und
der Einwirkung der westlichen Winde beraubt; nach Osten schloß sich ein ge¬
waltiges Zentralgebiet an, dessen Luftströmungen mit erdrückender Macht auf¬
treten konnten. Dazu kommt noch, daß in jener Zeit Europa ein kälteres
Klima besaß als jetzt, wie es auch von denjenigen Gelehrten angenommen
wird, welche die jetzt noch giltige Theorie von der europäischen Eiszeit aufge¬
stellt haben. Es ist das derselbe geologische Zeitraum, in welchem der behaarte
Mammuth-Elephant, das wollhaarige Rhinozeros und der Riesenhirsch in
Europa nördlich von den Alpen lebten und in welchem in Europa ein kaltes
Klima herrschte, wie es etwa einer jetzigen Meereshöhe von 5000--7000 Fuß
in den Alpen entspricht. Ferner ist es durch die Forschungen der englischen
Gelehrten Forbes, Rcnnsay und Lyell wahrscheinlich gemacht worden, daß
Gletscherbedeckung nicht nur wie jetzt auf den Alpen und skandinavischen Ge¬
birgen, sondern auch auf den britischen Inseln stattfand.

Was war nun die Folge dieser Verhältnisse? Die vergletscherten Ge¬
birge im Norden und Süden des Zentralbeckens wirkten in weit höherem
Maße koudeusirend als jetzt, die Südwinde erreichten den Nordfuß in
ausgetrockneten Zustande, die auf ihnen entstehenden Gletscherbäche flössen
in Landstriche mit trockenem, kontinentalem Klima, die Extreme der Jahres¬
zeiten waren größer, die Quantität der Niederschläge weit geringer als
jetzt. Im Winter schwellte der spärlich fallende Schnee des Volumen der


liebe Tiefe z. B. des nördlichen atlantischen Ozeans, die 15000' erreicht, so
muß man die Tiefe der Nordsee und Ostsee für eine verhältnißmäßig sehr un¬
beträchtliche erklären. Sowohl dieser Umstand, als noch andere wichtige
Momente, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, berechtigen zu
der Annahme, daß auch ihr Areal durch Ueberfluthung Europa abwendig ge¬
macht ist. Höbe sich Nordeuropa nur um 100 Faden (600 Fuß), so würde
es nach Norden zu ganz beträchtlich wachsen: der britische und dänische Archipel,
sowie Skandinavien würde in direkte Landverbindung mit der Norddeutschen
Küste treten; als Nordgrenze des so gewonnenen Landes würden die Gebirge
Irland's, Schottland's und Norwegen's gelten, die man sich aus denselben
Gründen wie die Alpen höher und massenhafter denken müßte, damit sie die
Einwirkung des Golfstromes, dem Europa so viel verdankt, herabsetzen könnten.
Und daß dies möglich ist, beweisen noch jetzt die Verhältnisse Schweden's, ver¬
glichen mit denen Norwegen's: die Küsten des letzteren, welche vom Golfstrome
gewissermaßen geheizt werden, erfreuen sich unter gleichen Breiten eines viel
milderen Klimas als die entsprechenden Landstriche Schweden's, so daß hier
nnter 64° nördlicher Breite noch Obst gedeiht, während dort unter gleicher
Breite jeglicher Anbau aufgehört hat. Auch nach Westen zu war das Zentral¬
gebiet durch die englischen und französischen Gebirge ziemlich abgeschlossen und
der Einwirkung der westlichen Winde beraubt; nach Osten schloß sich ein ge¬
waltiges Zentralgebiet an, dessen Luftströmungen mit erdrückender Macht auf¬
treten konnten. Dazu kommt noch, daß in jener Zeit Europa ein kälteres
Klima besaß als jetzt, wie es auch von denjenigen Gelehrten angenommen
wird, welche die jetzt noch giltige Theorie von der europäischen Eiszeit aufge¬
stellt haben. Es ist das derselbe geologische Zeitraum, in welchem der behaarte
Mammuth-Elephant, das wollhaarige Rhinozeros und der Riesenhirsch in
Europa nördlich von den Alpen lebten und in welchem in Europa ein kaltes
Klima herrschte, wie es etwa einer jetzigen Meereshöhe von 5000—7000 Fuß
in den Alpen entspricht. Ferner ist es durch die Forschungen der englischen
Gelehrten Forbes, Rcnnsay und Lyell wahrscheinlich gemacht worden, daß
Gletscherbedeckung nicht nur wie jetzt auf den Alpen und skandinavischen Ge¬
birgen, sondern auch auf den britischen Inseln stattfand.

Was war nun die Folge dieser Verhältnisse? Die vergletscherten Ge¬
birge im Norden und Süden des Zentralbeckens wirkten in weit höherem
Maße koudeusirend als jetzt, die Südwinde erreichten den Nordfuß in
ausgetrockneten Zustande, die auf ihnen entstehenden Gletscherbäche flössen
in Landstriche mit trockenem, kontinentalem Klima, die Extreme der Jahres¬
zeiten waren größer, die Quantität der Niederschläge weit geringer als
jetzt. Im Winter schwellte der spärlich fallende Schnee des Volumen der


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[0466] liebe Tiefe z. B. des nördlichen atlantischen Ozeans, die 15000' erreicht, so muß man die Tiefe der Nordsee und Ostsee für eine verhältnißmäßig sehr un¬ beträchtliche erklären. Sowohl dieser Umstand, als noch andere wichtige Momente, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, berechtigen zu der Annahme, daß auch ihr Areal durch Ueberfluthung Europa abwendig ge¬ macht ist. Höbe sich Nordeuropa nur um 100 Faden (600 Fuß), so würde es nach Norden zu ganz beträchtlich wachsen: der britische und dänische Archipel, sowie Skandinavien würde in direkte Landverbindung mit der Norddeutschen Küste treten; als Nordgrenze des so gewonnenen Landes würden die Gebirge Irland's, Schottland's und Norwegen's gelten, die man sich aus denselben Gründen wie die Alpen höher und massenhafter denken müßte, damit sie die Einwirkung des Golfstromes, dem Europa so viel verdankt, herabsetzen könnten. Und daß dies möglich ist, beweisen noch jetzt die Verhältnisse Schweden's, ver¬ glichen mit denen Norwegen's: die Küsten des letzteren, welche vom Golfstrome gewissermaßen geheizt werden, erfreuen sich unter gleichen Breiten eines viel milderen Klimas als die entsprechenden Landstriche Schweden's, so daß hier nnter 64° nördlicher Breite noch Obst gedeiht, während dort unter gleicher Breite jeglicher Anbau aufgehört hat. Auch nach Westen zu war das Zentral¬ gebiet durch die englischen und französischen Gebirge ziemlich abgeschlossen und der Einwirkung der westlichen Winde beraubt; nach Osten schloß sich ein ge¬ waltiges Zentralgebiet an, dessen Luftströmungen mit erdrückender Macht auf¬ treten konnten. Dazu kommt noch, daß in jener Zeit Europa ein kälteres Klima besaß als jetzt, wie es auch von denjenigen Gelehrten angenommen wird, welche die jetzt noch giltige Theorie von der europäischen Eiszeit aufge¬ stellt haben. Es ist das derselbe geologische Zeitraum, in welchem der behaarte Mammuth-Elephant, das wollhaarige Rhinozeros und der Riesenhirsch in Europa nördlich von den Alpen lebten und in welchem in Europa ein kaltes Klima herrschte, wie es etwa einer jetzigen Meereshöhe von 5000—7000 Fuß in den Alpen entspricht. Ferner ist es durch die Forschungen der englischen Gelehrten Forbes, Rcnnsay und Lyell wahrscheinlich gemacht worden, daß Gletscherbedeckung nicht nur wie jetzt auf den Alpen und skandinavischen Ge¬ birgen, sondern auch auf den britischen Inseln stattfand. Was war nun die Folge dieser Verhältnisse? Die vergletscherten Ge¬ birge im Norden und Süden des Zentralbeckens wirkten in weit höherem Maße koudeusirend als jetzt, die Südwinde erreichten den Nordfuß in ausgetrockneten Zustande, die auf ihnen entstehenden Gletscherbäche flössen in Landstriche mit trockenem, kontinentalem Klima, die Extreme der Jahres¬ zeiten waren größer, die Quantität der Niederschläge weit geringer als jetzt. Im Winter schwellte der spärlich fallende Schnee des Volumen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/466>, abgerufen am 22.07.2024.