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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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und der tiefsten Stelle im Hanhai beträgt nahezu 8000 Meter oder 24500 Fuß.
Dieses genannte Meer könnte man nicht unpassend das asiatische Mittelmeer
nennen, denn dem europäischen kommt es vermöge seiner Länge von 1800 geogr,
Meilen gleich, auch zerfällt es in zwei Hauptbecken, von denen das westliche
Tarymbecken, das östliche Shamobecken heißt, in der Mitte schließt sich an das
Hauptbecken ein Nebenarm an, die dsungarische Mulde, welche in der Richtung
nach Nord-West durch eine Lücke zwischen den Ketten des Tienshan- und Altai Ab¬
fluß fand und sich etwa mit dem Boden des Adriatischen Meeres vergleiche"
ließe. Nur an Breite stand das asiatische Binnenmeer dem europäischen Mittel¬
meer nach.

Dieser ehemalige Meeresboden, das Hanhai, hat nun den größten Anspruch
auf den Namen "Zentralasien" -- einen Namen, der bisher in vager Weise
von sehr verschiedenen Ländern gebraucht wurde, aber sich keineswegs fest ab¬
grenzen ließ --, insofern man den zentralen Gebieten eines Landes oder Erd¬
theils die peripherischen gegenüberstellen kann. Peripherisch sind alle diejenigen,
deren Gewässer in ein offenes Weltmeer oder in einen größeren Binnensee Ab¬
fluß finden, zentrale diejenigen, welche keines Abflusses in eine von beiden
Meeresarten theilhaftig sind, sondern deren Gewässer in abgeschnürte Becken
münden und hier in Folge des trockenen Klimas verdunsten. Die zentralen
Gebiete werden in der Regel abflußlos, die peripherischen abfließend sein.

Der Schluß liegt nahe, daß die zentralen oder abflußlosen Gebiete zu
gleicher Zeit auch steppenartig beschaffen sind, da sie durch den Mangel jeglicher
Hochvegetation charakterisirt werden, dagegen nicht selten eine krautartige Be¬
deckung der Oberfläche ihnen eigenthümlich ist, die zu deu Salzpflanzen gehört.
Veranlaßt wird dieser einförmige physiognomische Charakter der Steppeuvege-
tation durch den Salzgehalt und die große klimatische Trockenheit der betreffen¬
den Gebiete. Daß aber in früherer Zeit die zentralen Gebiete eine viel
größere Ausdehnung hatten als jetzt, ist mit Gewißheit anzunehmen, jedenfalls
gehörte das Gebiet des Hoangho oder Gelben Flusses, jetzt die Kornkammer
China's und der Ausgangspunkt der chinesischen Macht und Herrschaft, zu
ihnen. Da also zentrale und peripherische Gebiete einen bestimmenden Einfluß
auf die Geschicke und die Kulturentfaltnug der sie bewohnenden Völker ausübten,
denn die einen duldeten blos Nomaden, die anderen gaben Gelegenheit zu der
mannigfaltigsten und reichsten Entwickelung, so ist es von höchstem Interesse, zu
erfahren, welche Vorgänge diese Aenderung von zentralen in peripherische Gebiete
möglich machten. Als Hauptfaktoren bei diesem Prozesse müssen bezeichnet werden:
die Bildung des Löß, die Veränderung des trocknen Klimas in feuchtes und
die Entsalzung des Bodens.

Soweit die Chinnreisenden, außer Freiherrn von Richthvfen, dem Löß ihre


und der tiefsten Stelle im Hanhai beträgt nahezu 8000 Meter oder 24500 Fuß.
Dieses genannte Meer könnte man nicht unpassend das asiatische Mittelmeer
nennen, denn dem europäischen kommt es vermöge seiner Länge von 1800 geogr,
Meilen gleich, auch zerfällt es in zwei Hauptbecken, von denen das westliche
Tarymbecken, das östliche Shamobecken heißt, in der Mitte schließt sich an das
Hauptbecken ein Nebenarm an, die dsungarische Mulde, welche in der Richtung
nach Nord-West durch eine Lücke zwischen den Ketten des Tienshan- und Altai Ab¬
fluß fand und sich etwa mit dem Boden des Adriatischen Meeres vergleiche»
ließe. Nur an Breite stand das asiatische Binnenmeer dem europäischen Mittel¬
meer nach.

Dieser ehemalige Meeresboden, das Hanhai, hat nun den größten Anspruch
auf den Namen „Zentralasien" — einen Namen, der bisher in vager Weise
von sehr verschiedenen Ländern gebraucht wurde, aber sich keineswegs fest ab¬
grenzen ließ —, insofern man den zentralen Gebieten eines Landes oder Erd¬
theils die peripherischen gegenüberstellen kann. Peripherisch sind alle diejenigen,
deren Gewässer in ein offenes Weltmeer oder in einen größeren Binnensee Ab¬
fluß finden, zentrale diejenigen, welche keines Abflusses in eine von beiden
Meeresarten theilhaftig sind, sondern deren Gewässer in abgeschnürte Becken
münden und hier in Folge des trockenen Klimas verdunsten. Die zentralen
Gebiete werden in der Regel abflußlos, die peripherischen abfließend sein.

Der Schluß liegt nahe, daß die zentralen oder abflußlosen Gebiete zu
gleicher Zeit auch steppenartig beschaffen sind, da sie durch den Mangel jeglicher
Hochvegetation charakterisirt werden, dagegen nicht selten eine krautartige Be¬
deckung der Oberfläche ihnen eigenthümlich ist, die zu deu Salzpflanzen gehört.
Veranlaßt wird dieser einförmige physiognomische Charakter der Steppeuvege-
tation durch den Salzgehalt und die große klimatische Trockenheit der betreffen¬
den Gebiete. Daß aber in früherer Zeit die zentralen Gebiete eine viel
größere Ausdehnung hatten als jetzt, ist mit Gewißheit anzunehmen, jedenfalls
gehörte das Gebiet des Hoangho oder Gelben Flusses, jetzt die Kornkammer
China's und der Ausgangspunkt der chinesischen Macht und Herrschaft, zu
ihnen. Da also zentrale und peripherische Gebiete einen bestimmenden Einfluß
auf die Geschicke und die Kulturentfaltnug der sie bewohnenden Völker ausübten,
denn die einen duldeten blos Nomaden, die anderen gaben Gelegenheit zu der
mannigfaltigsten und reichsten Entwickelung, so ist es von höchstem Interesse, zu
erfahren, welche Vorgänge diese Aenderung von zentralen in peripherische Gebiete
möglich machten. Als Hauptfaktoren bei diesem Prozesse müssen bezeichnet werden:
die Bildung des Löß, die Veränderung des trocknen Klimas in feuchtes und
die Entsalzung des Bodens.

Soweit die Chinnreisenden, außer Freiherrn von Richthvfen, dem Löß ihre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/458>, abgerufen am 22.07.2024.