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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Rede in einer ovsknren Zeitung der Partei erwähnt war, wies er das Blatt
seinen Freunden mit dem triumphirenden Hinweise, daß er nun glücklich die Pforten,
die zur Unsterblichkeit führen, gesprengt habe! Aber sei es, daß ein letzter Rest
von Einsicht ihn an der Echtheit des Ruhms von Most und Konsorten zweifeln
ließ, sei es, daß er sich in jenem akademischen Dünkel, der in solchen unfrucht¬
baren Naturen am stärksten zu sein pflegt, als zu gut für die Gemeinschaft
des landesüblichen Demagogenthnms hielt --- genug, er wandte die letzten
Reste seines Vermögens dazu an, nach der Schweiz, nach Frankreich und
England zu reisen, um mit den Führern des internationalen Kommunismus
Beziehungen anzuknüpfen. Diese Absicht scheint gescheitert zu sein, gleichviel
woran- Nobiling kehrte in die Heimat zurück, in seinen ehrgeizigen Plänen
getäuscht und fertig mit seiner bürgerlichen Existenz. Ihm blieb nichts als
die Arbeit, allein selbst wenn er noch hätte arbeiten können und wollen, so
hatte das bescheidene und dürftige Leben, das sich ihm dadurch bestenfalls bot,
keinen Reiz für seinen von zügelloser Großmannssucht zerfressenen Geist. In
dieser verzweifelten Situation überraschte ihn das Attentat Hödel's. Wieder
taucht ein hingeworfenes Wort fein ganzes Innere wie in unheimliches Licht:
der sei ein Narr, meinte er, der, wenn er einmal sterben müsse, nicht einen
Großen mit sich gehen hieße. Dies war die Wendung, die Hödel's That den
Selbstmordsgedanken gegeben hatte, mit denen sich Nobiling getragen haben
mochte. Er sah die furchtbare Aufregung des Volkes, und blitzschnell tauchte
ihm der Gedanke ans, daß er ein so wie so verlorenes Dasein noch mit un¬
auslöschlichen Zügen in dem Buche der Weltgeschichte verewigen könne. Aber
er sah auch den schandernd-verächtlichen Abscheu, der Hödel's Kalibanuatur in
alleu patriotischen Kreisen traf, und seine bewunderten Sozialdemokraten hörte
er gar an dem blutigen Ernste des Verbrechens zweifeln. Seine Eitelkeit
bäumte gegen diese Rolle ans; er wollte ein historischer Verbrecher in großem
Stile sein. So erklärt es sich, daß dieser haltlose, schwache Mensch, der alles
andere eher war als ein politischer Fanatiker, den grauenvollsten Mord mit
einer Grausamkeit und Kaltblütigkeit rüstete, wie ihrer die verhärtetsten Fanatiker
kaum fähig sein können; so erklärt es sich, daß er sich mit einem Arsenale
von Waffen umgab, um nach vollbrachter That des Selbstmords sicher zu sein
und seinen Namen als das unheimlichste Räthsel der Epoche den kommenden
Geschlechtern zu überliefern.

Auf Nobiling's Attentat folgten die Majestätsbeleidigungen. Man spricht
heute nicht gern von ihnen; radikale Stimmen tadeln ihre gar zu harte und
strenge Verfolgung, und das widrige Deuuuziantenthum, welches sich an sie
knüpfte, muß die brandmarkende Verachtung jedes anständigen Menschen er¬
regen. Aber von allen diesen Erwägungen abgesehen, so müssen sie als syn-


Rede in einer ovsknren Zeitung der Partei erwähnt war, wies er das Blatt
seinen Freunden mit dem triumphirenden Hinweise, daß er nun glücklich die Pforten,
die zur Unsterblichkeit führen, gesprengt habe! Aber sei es, daß ein letzter Rest
von Einsicht ihn an der Echtheit des Ruhms von Most und Konsorten zweifeln
ließ, sei es, daß er sich in jenem akademischen Dünkel, der in solchen unfrucht¬
baren Naturen am stärksten zu sein pflegt, als zu gut für die Gemeinschaft
des landesüblichen Demagogenthnms hielt —- genug, er wandte die letzten
Reste seines Vermögens dazu an, nach der Schweiz, nach Frankreich und
England zu reisen, um mit den Führern des internationalen Kommunismus
Beziehungen anzuknüpfen. Diese Absicht scheint gescheitert zu sein, gleichviel
woran- Nobiling kehrte in die Heimat zurück, in seinen ehrgeizigen Plänen
getäuscht und fertig mit seiner bürgerlichen Existenz. Ihm blieb nichts als
die Arbeit, allein selbst wenn er noch hätte arbeiten können und wollen, so
hatte das bescheidene und dürftige Leben, das sich ihm dadurch bestenfalls bot,
keinen Reiz für seinen von zügelloser Großmannssucht zerfressenen Geist. In
dieser verzweifelten Situation überraschte ihn das Attentat Hödel's. Wieder
taucht ein hingeworfenes Wort fein ganzes Innere wie in unheimliches Licht:
der sei ein Narr, meinte er, der, wenn er einmal sterben müsse, nicht einen
Großen mit sich gehen hieße. Dies war die Wendung, die Hödel's That den
Selbstmordsgedanken gegeben hatte, mit denen sich Nobiling getragen haben
mochte. Er sah die furchtbare Aufregung des Volkes, und blitzschnell tauchte
ihm der Gedanke ans, daß er ein so wie so verlorenes Dasein noch mit un¬
auslöschlichen Zügen in dem Buche der Weltgeschichte verewigen könne. Aber
er sah auch den schandernd-verächtlichen Abscheu, der Hödel's Kalibanuatur in
alleu patriotischen Kreisen traf, und seine bewunderten Sozialdemokraten hörte
er gar an dem blutigen Ernste des Verbrechens zweifeln. Seine Eitelkeit
bäumte gegen diese Rolle ans; er wollte ein historischer Verbrecher in großem
Stile sein. So erklärt es sich, daß dieser haltlose, schwache Mensch, der alles
andere eher war als ein politischer Fanatiker, den grauenvollsten Mord mit
einer Grausamkeit und Kaltblütigkeit rüstete, wie ihrer die verhärtetsten Fanatiker
kaum fähig sein können; so erklärt es sich, daß er sich mit einem Arsenale
von Waffen umgab, um nach vollbrachter That des Selbstmords sicher zu sein
und seinen Namen als das unheimlichste Räthsel der Epoche den kommenden
Geschlechtern zu überliefern.

Auf Nobiling's Attentat folgten die Majestätsbeleidigungen. Man spricht
heute nicht gern von ihnen; radikale Stimmen tadeln ihre gar zu harte und
strenge Verfolgung, und das widrige Deuuuziantenthum, welches sich an sie
knüpfte, muß die brandmarkende Verachtung jedes anständigen Menschen er¬
regen. Aber von allen diesen Erwägungen abgesehen, so müssen sie als syn-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/442>, abgerufen am 22.07.2024.