Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.dern vor den Thoren von Leipzig eine jener Volksversammlungen berufen und Das böse Vorbild zündete in der tödtlichen Stickluft jener verdorbenen Grenzboten III. 1873. 65
dern vor den Thoren von Leipzig eine jener Volksversammlungen berufen und Das böse Vorbild zündete in der tödtlichen Stickluft jener verdorbenen Grenzboten III. 1873. 65
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0441" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140792"/> <p xml:id="ID_1369" prev="#ID_1368"> dern vor den Thoren von Leipzig eine jener Volksversammlungen berufen und<lb/> leiten kounte, die nach Liebknecht's prahlerischer Ankündigung an ein Londoner<lb/> Toryblatt der Orientpvlitik des deutschen Reichskanzlers vernichtende Mi߬<lb/> trauensvota spenden sollten. Wieviel Hödel von alledem verstanden hat, muß<lb/> dahingestellt bleiben; sicherlich hat er die in ihrer summarischen Kritik ver¬<lb/> blüffende Lehre richtig aufgefaßt, daß alle bestehende Ordnung nichtsnutzig und<lb/> nichtswürdig und demgemäß zu vernichten sei, aber schwerlich hat er die weitere<lb/> Nutzanwendung kapirt, daß dies erstrebenswerthe Ziel niemals durch den Mord<lb/> en äst^it, sondern nur durch das Massacre ^roh zu erreichen sei. Auch<lb/> sind schließlich von einem armseligen Klempnergesellen so feine Unterscheidungen<lb/> nicht zu verlangen, wenn selbst das offizielle, von „wissenschaftlichem Geiste"<lb/> triefende Zentralorgan der Partei nicht einmal so viel Kaltblütigkeit und Selbst¬<lb/> beherrschung besitzt, sie zu machen; wenn es trotz seines Abscheus gegen den<lb/> Politischen Mord noch jeden glücklichen Attentäter des Auslandes dithyrambisch<lb/> gefeiert hat und eben in jenen Tagen den Schuß der Wjera Sassulitsch ganz<lb/> allgemein als den „ersten Schuß" gegen die Ausbeuter und Unterdrücker pries.<lb/> Vielleicht wollte Hödel den zweiten Schritt auf dieser in Prosa und Versen<lb/> verherrlichten Bahn thun. Vielleicht war auch ein anarchistisches Stichwort in<lb/> seine Ohren gefallen, denn in den letzten Monaten seines vagabondirenden<lb/> Lebens war er bekanntlich mit einem Agitator dieser Sekte zusammengetroffen;<lb/> auch vor dem Staatsgerichtshöfe prahlte er mit seinem Anarchismus, und das<lb/> „Propaganda machen per That", von dem er noch in seinen letzten Stunden<lb/> delirirt hat, ist ein technischer Lieblingsausdruck des Bakunismns. In jedem<lb/> Falle wollte er sich einer staunenden Welt als radikaler Welterstürmer zeige»,<lb/> und wenn sein moralisch scheußliches, politisch albern-wahnsinniges Beginnen<lb/> kennzeichnend sür die Gattung ist, so ist es verhältnißmäßig gleichgiltig, welcher<lb/> konkrete Anlaß den meuchelmörderischen Arm des Individuums auf das gefeite<lb/> Haupt des Kaisers lenkte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1370" next="#ID_1371"> Das böse Vorbild zündete in der tödtlichen Stickluft jener verdorbenen<lb/> Atmosphäre, die sich aus dem Treiben der kviumunistisch-revolutionären Dema¬<lb/> gogie entwickelt hat. Ohne Hödel kein Nobiling, und anch die Thatsache ist<lb/> bezeichnend für diese verkehrte Welt, daß der gebildete Mörder schließlich nur<lb/> in den Fußtapfen seines ungebildeten Vorgängers wandeln konnte. Nobiling,<lb/> ein ebenso eitler, als unfähiger Mensch hatte sich vergebens in Literatur und<lb/> Wissenschaft eine Position zu schaffen gesucht: er sah an den sozialdemokratischen<lb/> Agitatoren, wie man ohne Arbeit und Wissen ein gewisses Piedestal des öffent¬<lb/> lichen Wirkens erklimmen und seinen Namen der tausendzttngigen Fama über¬<lb/> liefern könne. Dies Beispiel reizte ihn mit dämonischer Gewalt. Als er ein¬<lb/> mal in einer sozialdemokratischen Versammlung gesprochen hatte und seine</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1873. 65</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0441]
dern vor den Thoren von Leipzig eine jener Volksversammlungen berufen und
leiten kounte, die nach Liebknecht's prahlerischer Ankündigung an ein Londoner
Toryblatt der Orientpvlitik des deutschen Reichskanzlers vernichtende Mi߬
trauensvota spenden sollten. Wieviel Hödel von alledem verstanden hat, muß
dahingestellt bleiben; sicherlich hat er die in ihrer summarischen Kritik ver¬
blüffende Lehre richtig aufgefaßt, daß alle bestehende Ordnung nichtsnutzig und
nichtswürdig und demgemäß zu vernichten sei, aber schwerlich hat er die weitere
Nutzanwendung kapirt, daß dies erstrebenswerthe Ziel niemals durch den Mord
en äst^it, sondern nur durch das Massacre ^roh zu erreichen sei. Auch
sind schließlich von einem armseligen Klempnergesellen so feine Unterscheidungen
nicht zu verlangen, wenn selbst das offizielle, von „wissenschaftlichem Geiste"
triefende Zentralorgan der Partei nicht einmal so viel Kaltblütigkeit und Selbst¬
beherrschung besitzt, sie zu machen; wenn es trotz seines Abscheus gegen den
Politischen Mord noch jeden glücklichen Attentäter des Auslandes dithyrambisch
gefeiert hat und eben in jenen Tagen den Schuß der Wjera Sassulitsch ganz
allgemein als den „ersten Schuß" gegen die Ausbeuter und Unterdrücker pries.
Vielleicht wollte Hödel den zweiten Schritt auf dieser in Prosa und Versen
verherrlichten Bahn thun. Vielleicht war auch ein anarchistisches Stichwort in
seine Ohren gefallen, denn in den letzten Monaten seines vagabondirenden
Lebens war er bekanntlich mit einem Agitator dieser Sekte zusammengetroffen;
auch vor dem Staatsgerichtshöfe prahlte er mit seinem Anarchismus, und das
„Propaganda machen per That", von dem er noch in seinen letzten Stunden
delirirt hat, ist ein technischer Lieblingsausdruck des Bakunismns. In jedem
Falle wollte er sich einer staunenden Welt als radikaler Welterstürmer zeige»,
und wenn sein moralisch scheußliches, politisch albern-wahnsinniges Beginnen
kennzeichnend sür die Gattung ist, so ist es verhältnißmäßig gleichgiltig, welcher
konkrete Anlaß den meuchelmörderischen Arm des Individuums auf das gefeite
Haupt des Kaisers lenkte.
Das böse Vorbild zündete in der tödtlichen Stickluft jener verdorbenen
Atmosphäre, die sich aus dem Treiben der kviumunistisch-revolutionären Dema¬
gogie entwickelt hat. Ohne Hödel kein Nobiling, und anch die Thatsache ist
bezeichnend für diese verkehrte Welt, daß der gebildete Mörder schließlich nur
in den Fußtapfen seines ungebildeten Vorgängers wandeln konnte. Nobiling,
ein ebenso eitler, als unfähiger Mensch hatte sich vergebens in Literatur und
Wissenschaft eine Position zu schaffen gesucht: er sah an den sozialdemokratischen
Agitatoren, wie man ohne Arbeit und Wissen ein gewisses Piedestal des öffent¬
lichen Wirkens erklimmen und seinen Namen der tausendzttngigen Fama über¬
liefern könne. Dies Beispiel reizte ihn mit dämonischer Gewalt. Als er ein¬
mal in einer sozialdemokratischen Versammlung gesprochen hatte und seine
Grenzboten III. 1873. 65
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