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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Taugenichtse waren, und Niemand bestreitet es ihr, allein gerade das ist für
sie das Kompromittirende, daß diese Taugenichtse und wie viele ähnliche Na-
turen mit ihnen! mit magnetischer Gewalt in ihre Wirbel gerissen werden.
Taugenichtse hat es auf deutschem Boden immer gegeben und wird es immer
geben, so lange wir eben Menschen und keine Engel sind, allein in den ehr¬
baren Tagen, in denen es noch keine sozialdemokratische Agitation gab, mußten
die Tagenichtse sich so oder so mit ihres Nichts durchbohrendem Gefühle ab¬
finden, während sie jetzt sich nicht nnr für die unschuldigen Opfer, sondern auch
sür die erlesenen Heilande der sündigen Welt halten, und da sie unfähig zum
Bauen und Schaffen sind, zum Vernichten nud Zerstören greifen, und zwar um
so gieriger, je großer die Verwüstung ist, welche sie damit anrichten.

In diesem Sinne darf man sagen, daß die beiden Attentate und was
ihnen folgte, auch abgesehen von allen äußeren Eingriffen, einen einschneidenden
Wendepunkt in der Entwickelung der deutschen Sozialdemokratie bilden. Der
große Rechenfehler ihrer revolutionären Methode liegt offen da, und wären die
leitenden Köpfe in ihrem demagogischen Handwerk nicht aller Besonnenheit und
Umsicht bar geworden, sie müßten vor dem schwindelnden Abgrunde erschrecken,
der sich urplötzlich vor ihren Füßen aufgethan. Sie haben die mißleiteten
Massen nicht mehr völlig in ihrer Gewalt; es geht eben nicht an, Zehntausende
und Hunderttausende mit allem Raffinement die Gott-, Menschen- und Welt-
verachtung zu lehren und dann von ihnen, die systematisch aller Selbstbeherr¬
schung entwöhnt worden, zu erwarten, daß sie nicht ans eigene Faust aus¬
schwärmeil, sondern geduldig harren, bis die Führer im sichern Hinterhalte
den richtigen Moment gekommen glauben und das Signal zum Losschlagen
geben. Es ist lange genug, sogar wunderbar lauge gegangen; unbemerkt haben
sich die faulen Gase entwickeln können, aber nun genügte auch solches Nichts,
wie irgend ein wahnsinniger Gedanke, der dnrch das Hirn eines so verlotterten
Buben wie Hödel phosphorescirte, um eine Explosion hervorzurufen, die Ge¬
sellschaft und Staat in ihren Grundvesten erzittern ließ.

Denn in der That -- der Schuß vom elften Mai war schon das Signal,
welches das ganze Pandämonium entfesselte und seinerseits erst deu Schuß
vom zweiten Juni mit seineu größeren und traurigeren Folgen hervorrief. Was
in Hödel's Seele den zündenden Funken gerade zu dieser That warf, wird
wohl niemals aufgeklärt werden und konnte wohl auch niemals aufgeklärt
werden, da seiue verthierte Natur schwerlich mehr eines klaren, zielbewußter
Wollens fähig war. Er hatte zu den Füßen der sozialdemokratischen Pro¬
pheten gesessen und dann die ersten Staffeln der Führerlanfbahn selbst be¬
treten; es wird der Partei immer als ein unauslöschlicher Fleck anhaften, daß
ein derartiges Subjekt nicht etwa in einem entlegenen Winkel des Reichs, sou-


Taugenichtse waren, und Niemand bestreitet es ihr, allein gerade das ist für
sie das Kompromittirende, daß diese Taugenichtse und wie viele ähnliche Na-
turen mit ihnen! mit magnetischer Gewalt in ihre Wirbel gerissen werden.
Taugenichtse hat es auf deutschem Boden immer gegeben und wird es immer
geben, so lange wir eben Menschen und keine Engel sind, allein in den ehr¬
baren Tagen, in denen es noch keine sozialdemokratische Agitation gab, mußten
die Tagenichtse sich so oder so mit ihres Nichts durchbohrendem Gefühle ab¬
finden, während sie jetzt sich nicht nnr für die unschuldigen Opfer, sondern auch
sür die erlesenen Heilande der sündigen Welt halten, und da sie unfähig zum
Bauen und Schaffen sind, zum Vernichten nud Zerstören greifen, und zwar um
so gieriger, je großer die Verwüstung ist, welche sie damit anrichten.

In diesem Sinne darf man sagen, daß die beiden Attentate und was
ihnen folgte, auch abgesehen von allen äußeren Eingriffen, einen einschneidenden
Wendepunkt in der Entwickelung der deutschen Sozialdemokratie bilden. Der
große Rechenfehler ihrer revolutionären Methode liegt offen da, und wären die
leitenden Köpfe in ihrem demagogischen Handwerk nicht aller Besonnenheit und
Umsicht bar geworden, sie müßten vor dem schwindelnden Abgrunde erschrecken,
der sich urplötzlich vor ihren Füßen aufgethan. Sie haben die mißleiteten
Massen nicht mehr völlig in ihrer Gewalt; es geht eben nicht an, Zehntausende
und Hunderttausende mit allem Raffinement die Gott-, Menschen- und Welt-
verachtung zu lehren und dann von ihnen, die systematisch aller Selbstbeherr¬
schung entwöhnt worden, zu erwarten, daß sie nicht ans eigene Faust aus¬
schwärmeil, sondern geduldig harren, bis die Führer im sichern Hinterhalte
den richtigen Moment gekommen glauben und das Signal zum Losschlagen
geben. Es ist lange genug, sogar wunderbar lauge gegangen; unbemerkt haben
sich die faulen Gase entwickeln können, aber nun genügte auch solches Nichts,
wie irgend ein wahnsinniger Gedanke, der dnrch das Hirn eines so verlotterten
Buben wie Hödel phosphorescirte, um eine Explosion hervorzurufen, die Ge¬
sellschaft und Staat in ihren Grundvesten erzittern ließ.

Denn in der That — der Schuß vom elften Mai war schon das Signal,
welches das ganze Pandämonium entfesselte und seinerseits erst deu Schuß
vom zweiten Juni mit seineu größeren und traurigeren Folgen hervorrief. Was
in Hödel's Seele den zündenden Funken gerade zu dieser That warf, wird
wohl niemals aufgeklärt werden und konnte wohl auch niemals aufgeklärt
werden, da seiue verthierte Natur schwerlich mehr eines klaren, zielbewußter
Wollens fähig war. Er hatte zu den Füßen der sozialdemokratischen Pro¬
pheten gesessen und dann die ersten Staffeln der Führerlanfbahn selbst be¬
treten; es wird der Partei immer als ein unauslöschlicher Fleck anhaften, daß
ein derartiges Subjekt nicht etwa in einem entlegenen Winkel des Reichs, sou-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/440>, abgerufen am 22.07.2024.