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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Naturen in ihren Wirbel zieht, und in dieser Atmosphäre haben Hotel und
Nobiling lange Jahre, ehe sie ihre verbrecherischen Thaten begingen, geathmet
und gelebt.

Nach den bisherigen Ausführungen bedarf es keines besondern Nachweises
mehr, daß die beiden Attentate als solche der Tendenz der kommunistischen De¬
magogie schnurstracks zuwiderliefen. Insofern haben die sozialdemokratischen
Führer Recht, wenn sie jeden Zusammenhang mit diesen modernen Herostraten
ablehnen. Aber sie haben Unrecht, wenn sie über "Verleumdung" schreien,
sobald ihrem demagogischen Treiben die moralische Verantwortlichkeit für die
scheußlichen Verbrechen aufgebürdet wird. Dieser Zusammenhang läßt sich mit
fast mathematischer Schärfe beweisen. Denn untersucht man, was die beiden
Hochverräther mit so faseinirender Gewalt an das sozialdemokratische Treiben
fesselte, so findet man, daß alle irgend denkbaren sachlichen Erklärungsmomente:
eine politisch-wissenschaftliche Ueberzeugung oder ein reges Mitgefühl mit den
Armen und Elenden oder anch nur eigene drückende Noth, vollkommen fehlen.
Hotel war so unwissend in den ersten Elementen der Zukunftsmusik, daß er
uicht einmal wußte, ob er dem Wühlerthum Z. 1a Bakunin oder Marx oder
Stöcker angehöre, und von Nobiling bezeugen kompetente Urtheiler, daß er sich
ebenso gern in sozialistischen Vorstellungen berauscht habe, wie daß diese Vor¬
stellungen durch und dnrch konfuser Natur gewesen seien. Ebenso wenig kann
bei ihnen davon die Rede sein, daß sie aus einem Uebermaße sentimentaler
Menschenliebe sich den Weltverbesserern in die Arme geworfen habe". Beide
waren nach einstimmigem Urtheile eigen- und habsüchtige Menschen, nur auf
ihren Genuß und Vortheil bedacht; Hödel bestahl die eigenen Eltern, um sich
Näschereien und Spielzeug zu kaufen, und Nobiling verweigert es, aus seinem
Vermögen für wohlthätige Zwecke zu spenden, mit der bekannten und bequemen
Ausrede aller reichen oder wohlhabenden Sozialdemokraten, daß die Opfer des
Einzelnen nichts nützten, so lange die miserablen Zustände existirten. Endlich kann
auch eigene Noth nicht das Motiv ihrer kommunistischen Velleitäten gewesen sein;
Nobiling hat, so viel man weiß, niemals von seiner Arbeit leben müssen, sondern
er zehrte von seinem väterlichen Erbe, und was Hödel anlangt, so entstammte
er zwar dem Proletariat, allein er war ein fähiger und geschickter Arbeiter, und
noch vor dem Staatsgerichtshöfe hat er bekannt, daß es ihm an Gelegenheit
zu reichlich gelohnter Arbeit nie gefehlt habe, wenn er nur eben hätte arbeiten
"vollen. Es bleibt somit keine andere Erklärung iibrig, als die unwiderstehliche
Gewalt, welche eine geflissentlich den Größenwahn züchtende Demagogie auf
alle eitlen und leeren Naturen übt, die ohne anstrengende Arbeit lärmende
Erfolge erzielen und große Rollen spielen wollen. Darin hat ja auch die
svzialdemokrcitische Presse ganz Recht, daß Hödel und Nobiling von Haus aus


Naturen in ihren Wirbel zieht, und in dieser Atmosphäre haben Hotel und
Nobiling lange Jahre, ehe sie ihre verbrecherischen Thaten begingen, geathmet
und gelebt.

Nach den bisherigen Ausführungen bedarf es keines besondern Nachweises
mehr, daß die beiden Attentate als solche der Tendenz der kommunistischen De¬
magogie schnurstracks zuwiderliefen. Insofern haben die sozialdemokratischen
Führer Recht, wenn sie jeden Zusammenhang mit diesen modernen Herostraten
ablehnen. Aber sie haben Unrecht, wenn sie über „Verleumdung" schreien,
sobald ihrem demagogischen Treiben die moralische Verantwortlichkeit für die
scheußlichen Verbrechen aufgebürdet wird. Dieser Zusammenhang läßt sich mit
fast mathematischer Schärfe beweisen. Denn untersucht man, was die beiden
Hochverräther mit so faseinirender Gewalt an das sozialdemokratische Treiben
fesselte, so findet man, daß alle irgend denkbaren sachlichen Erklärungsmomente:
eine politisch-wissenschaftliche Ueberzeugung oder ein reges Mitgefühl mit den
Armen und Elenden oder anch nur eigene drückende Noth, vollkommen fehlen.
Hotel war so unwissend in den ersten Elementen der Zukunftsmusik, daß er
uicht einmal wußte, ob er dem Wühlerthum Z. 1a Bakunin oder Marx oder
Stöcker angehöre, und von Nobiling bezeugen kompetente Urtheiler, daß er sich
ebenso gern in sozialistischen Vorstellungen berauscht habe, wie daß diese Vor¬
stellungen durch und dnrch konfuser Natur gewesen seien. Ebenso wenig kann
bei ihnen davon die Rede sein, daß sie aus einem Uebermaße sentimentaler
Menschenliebe sich den Weltverbesserern in die Arme geworfen habe». Beide
waren nach einstimmigem Urtheile eigen- und habsüchtige Menschen, nur auf
ihren Genuß und Vortheil bedacht; Hödel bestahl die eigenen Eltern, um sich
Näschereien und Spielzeug zu kaufen, und Nobiling verweigert es, aus seinem
Vermögen für wohlthätige Zwecke zu spenden, mit der bekannten und bequemen
Ausrede aller reichen oder wohlhabenden Sozialdemokraten, daß die Opfer des
Einzelnen nichts nützten, so lange die miserablen Zustände existirten. Endlich kann
auch eigene Noth nicht das Motiv ihrer kommunistischen Velleitäten gewesen sein;
Nobiling hat, so viel man weiß, niemals von seiner Arbeit leben müssen, sondern
er zehrte von seinem väterlichen Erbe, und was Hödel anlangt, so entstammte
er zwar dem Proletariat, allein er war ein fähiger und geschickter Arbeiter, und
noch vor dem Staatsgerichtshöfe hat er bekannt, daß es ihm an Gelegenheit
zu reichlich gelohnter Arbeit nie gefehlt habe, wenn er nur eben hätte arbeiten
»vollen. Es bleibt somit keine andere Erklärung iibrig, als die unwiderstehliche
Gewalt, welche eine geflissentlich den Größenwahn züchtende Demagogie auf
alle eitlen und leeren Naturen übt, die ohne anstrengende Arbeit lärmende
Erfolge erzielen und große Rollen spielen wollen. Darin hat ja auch die
svzialdemokrcitische Presse ganz Recht, daß Hödel und Nobiling von Haus aus


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[0439] Naturen in ihren Wirbel zieht, und in dieser Atmosphäre haben Hotel und Nobiling lange Jahre, ehe sie ihre verbrecherischen Thaten begingen, geathmet und gelebt. Nach den bisherigen Ausführungen bedarf es keines besondern Nachweises mehr, daß die beiden Attentate als solche der Tendenz der kommunistischen De¬ magogie schnurstracks zuwiderliefen. Insofern haben die sozialdemokratischen Führer Recht, wenn sie jeden Zusammenhang mit diesen modernen Herostraten ablehnen. Aber sie haben Unrecht, wenn sie über „Verleumdung" schreien, sobald ihrem demagogischen Treiben die moralische Verantwortlichkeit für die scheußlichen Verbrechen aufgebürdet wird. Dieser Zusammenhang läßt sich mit fast mathematischer Schärfe beweisen. Denn untersucht man, was die beiden Hochverräther mit so faseinirender Gewalt an das sozialdemokratische Treiben fesselte, so findet man, daß alle irgend denkbaren sachlichen Erklärungsmomente: eine politisch-wissenschaftliche Ueberzeugung oder ein reges Mitgefühl mit den Armen und Elenden oder anch nur eigene drückende Noth, vollkommen fehlen. Hotel war so unwissend in den ersten Elementen der Zukunftsmusik, daß er uicht einmal wußte, ob er dem Wühlerthum Z. 1a Bakunin oder Marx oder Stöcker angehöre, und von Nobiling bezeugen kompetente Urtheiler, daß er sich ebenso gern in sozialistischen Vorstellungen berauscht habe, wie daß diese Vor¬ stellungen durch und dnrch konfuser Natur gewesen seien. Ebenso wenig kann bei ihnen davon die Rede sein, daß sie aus einem Uebermaße sentimentaler Menschenliebe sich den Weltverbesserern in die Arme geworfen habe». Beide waren nach einstimmigem Urtheile eigen- und habsüchtige Menschen, nur auf ihren Genuß und Vortheil bedacht; Hödel bestahl die eigenen Eltern, um sich Näschereien und Spielzeug zu kaufen, und Nobiling verweigert es, aus seinem Vermögen für wohlthätige Zwecke zu spenden, mit der bekannten und bequemen Ausrede aller reichen oder wohlhabenden Sozialdemokraten, daß die Opfer des Einzelnen nichts nützten, so lange die miserablen Zustände existirten. Endlich kann auch eigene Noth nicht das Motiv ihrer kommunistischen Velleitäten gewesen sein; Nobiling hat, so viel man weiß, niemals von seiner Arbeit leben müssen, sondern er zehrte von seinem väterlichen Erbe, und was Hödel anlangt, so entstammte er zwar dem Proletariat, allein er war ein fähiger und geschickter Arbeiter, und noch vor dem Staatsgerichtshöfe hat er bekannt, daß es ihm an Gelegenheit zu reichlich gelohnter Arbeit nie gefehlt habe, wenn er nur eben hätte arbeiten »vollen. Es bleibt somit keine andere Erklärung iibrig, als die unwiderstehliche Gewalt, welche eine geflissentlich den Größenwahn züchtende Demagogie auf alle eitlen und leeren Naturen übt, die ohne anstrengende Arbeit lärmende Erfolge erzielen und große Rollen spielen wollen. Darin hat ja auch die svzialdemokrcitische Presse ganz Recht, daß Hödel und Nobiling von Haus aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/439>, abgerufen am 22.07.2024.