Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.Denn weder, wenn etwas hemmt und hindert, d. h. zwingt dich die Grenze immer weiter hinauszuschieben. Wie tief und So weit thut rings sich ans die Weite, Eine kühne Konsequenz der Unendlichkeit des Raumes und der Materie ist die Bedenklicher mag es erscheinen, daß aus diesen mit so unzureichenden Die Abschnitte des Gedichtes, welche sich mit der Natur der Seele be¬ Denn weder, wenn etwas hemmt und hindert, d. h. zwingt dich die Grenze immer weiter hinauszuschieben. Wie tief und So weit thut rings sich ans die Weite, Eine kühne Konsequenz der Unendlichkeit des Raumes und der Materie ist die Bedenklicher mag es erscheinen, daß aus diesen mit so unzureichenden Die Abschnitte des Gedichtes, welche sich mit der Natur der Seele be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0422" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140773"/> <quote> Denn weder, wenn etwas hemmt und hindert,<lb/> Daß das Geschoß ein's Ziel gelangt.<lb/> Noch wenn es hinaus in die Weite fliegt,<lb/> Kann es vom Rande des Alls entsandt sein.<lb/> So nun folg' ich dir immerfort<lb/> Und wo du des Alls äußersten Saum<lb/> Zu setzen wagest, frag ich immer,<lb/> Was aus jenem Geschosse werde.<lb/> So kann nirgends die Grenze bestehn,<lb/> Und die freie Flucht der fliegende» Lanze<lb/> Zwingt dich zu immer weiterer Flucht,</quote><lb/> <p xml:id="ID_1316"> d. h. zwingt dich die Grenze immer weiter hinauszuschieben. Wie tief und<lb/> großartig der Dichter die Unendlichkeit des Raumes auffaßt, zeigt eine andere,<lb/> nicht minder schöne Stelle (I, 1002—1007):</p><lb/> <quote> So weit thut rings sich ans die Weite,<lb/> So bodenlos des Raumes Abgrund,<lb/> Daß ihn die blendenden Blitze nimmer<lb/> Durchmesser könnten mit ihrem Fluge',<lb/> Und wenn sie Ewigkeiten hindurch<lb/> Ihre Flammcnspnren zögen;<lb/> Ja, nicht verkürzen könnten des Weges<lb/> Rest sie dnrch den längsten Lauf.<lb/> So endlos rings, so grenzenlos<lb/> Oeffnet sich von allen Seiten,<lb/> Oeffnet sich nach allen Seiten<lb/> Jedem Fluge freie Bahn.</quote><lb/> <p xml:id="ID_1317"> Eine kühne Konsequenz der Unendlichkeit des Raumes und der Materie ist die<lb/> vielangefochtene Lehre, daß es unendlich viele Welten gebe und daß solche<lb/> jeden Augenblick entstehen, um mächtige Zeiträume hindurch zu dauern, daß<lb/> solche jeden Augenblick nach äonenlangem Bestände vergehen. Setzen wir für<lb/> Welten: Sonnensysteme, so wird die moderne Naturanschauung dieser Behaup¬<lb/> tung ein Moment der Wahrheit zugestehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1318"> Bedenklicher mag es erscheinen, daß aus diesen mit so unzureichenden<lb/> Kräften ausgestatteten Atomen der reine, nackte Zufall Welten schaffen soll.<lb/> Aber er vollbringt dies erst nach unzähligen, absolut unzähligen mißglückter<lb/> Versuchen, wenn wir dies Wort so uneigentlich gebrauche» dürfen. Der Epikureer<lb/> ist darin ein Vorläufer Darwin's, daß er mit ungeheuren Zeiträumen operirt,<lb/> ja geradezu mit der Ewigkeit in der ganzen Abgrundtiefe des Begriffes.</p><lb/> <p xml:id="ID_1319" next="#ID_1320"> Die Abschnitte des Gedichtes, welche sich mit der Natur der Seele be¬<lb/> schäftigen und mit den berühmten Beweisen gegen ihre Unsterblichkeit abschließen,<lb/> und diejenigen, welche es mit der Entstehung der Sinneswahrnehmungen, der<lb/> Gedanken und Triebe zu thun haben, das dritte und das vierte Buch, dürften<lb/> kaum etwas enthalten, was als vorweggenommene naturwissenschaftliche Wahr¬<lb/> heit gelten könnte. Dagegen bietet das fünfte Buch, welches die Entstehung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0422]
Denn weder, wenn etwas hemmt und hindert,
Daß das Geschoß ein's Ziel gelangt.
Noch wenn es hinaus in die Weite fliegt,
Kann es vom Rande des Alls entsandt sein.
So nun folg' ich dir immerfort
Und wo du des Alls äußersten Saum
Zu setzen wagest, frag ich immer,
Was aus jenem Geschosse werde.
So kann nirgends die Grenze bestehn,
Und die freie Flucht der fliegende» Lanze
Zwingt dich zu immer weiterer Flucht,
d. h. zwingt dich die Grenze immer weiter hinauszuschieben. Wie tief und
großartig der Dichter die Unendlichkeit des Raumes auffaßt, zeigt eine andere,
nicht minder schöne Stelle (I, 1002—1007):
So weit thut rings sich ans die Weite,
So bodenlos des Raumes Abgrund,
Daß ihn die blendenden Blitze nimmer
Durchmesser könnten mit ihrem Fluge',
Und wenn sie Ewigkeiten hindurch
Ihre Flammcnspnren zögen;
Ja, nicht verkürzen könnten des Weges
Rest sie dnrch den längsten Lauf.
So endlos rings, so grenzenlos
Oeffnet sich von allen Seiten,
Oeffnet sich nach allen Seiten
Jedem Fluge freie Bahn.
Eine kühne Konsequenz der Unendlichkeit des Raumes und der Materie ist die
vielangefochtene Lehre, daß es unendlich viele Welten gebe und daß solche
jeden Augenblick entstehen, um mächtige Zeiträume hindurch zu dauern, daß
solche jeden Augenblick nach äonenlangem Bestände vergehen. Setzen wir für
Welten: Sonnensysteme, so wird die moderne Naturanschauung dieser Behaup¬
tung ein Moment der Wahrheit zugestehen.
Bedenklicher mag es erscheinen, daß aus diesen mit so unzureichenden
Kräften ausgestatteten Atomen der reine, nackte Zufall Welten schaffen soll.
Aber er vollbringt dies erst nach unzähligen, absolut unzähligen mißglückter
Versuchen, wenn wir dies Wort so uneigentlich gebrauche» dürfen. Der Epikureer
ist darin ein Vorläufer Darwin's, daß er mit ungeheuren Zeiträumen operirt,
ja geradezu mit der Ewigkeit in der ganzen Abgrundtiefe des Begriffes.
Die Abschnitte des Gedichtes, welche sich mit der Natur der Seele be¬
schäftigen und mit den berühmten Beweisen gegen ihre Unsterblichkeit abschließen,
und diejenigen, welche es mit der Entstehung der Sinneswahrnehmungen, der
Gedanken und Triebe zu thun haben, das dritte und das vierte Buch, dürften
kaum etwas enthalten, was als vorweggenommene naturwissenschaftliche Wahr¬
heit gelten könnte. Dagegen bietet das fünfte Buch, welches die Entstehung
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