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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Lucrez hat sich jetzt den Weg zur Begründung seiner Atomistik geebnet.
Die Annahme, daß die Materie zuletzt ans Atomen, d. h. aus absolut vollen,
absolut harten und deshalb absolut untheilbaren unsichtbaren Körpern bestehe,
wird von Newton mit dem Ausdruck der Zustimmung erwähnt und dürste bis
in die jüngste Zeit von den meisten Physikern und Chemikern gebilligt worden
sein. Fechner neigt, mit Ampere, zu der Hypothese puuktueller Kraftzentreu hin,
während andere moderne Forscher sich sür weiche, wegen ihrer Glätte und
Elastizität unzerstörbare Urkörper aussprechen, Theorien, aus welche ich als
Laie nicht einzugehen wage. Jedenfalls stimmt die antike Atomistik in der
Hauptsache, d. h. in der Annahme der Diskontinuität der Materie, mit der
neuesten Wissenschaft überein. Der Epikureer weiß aber mit seinen Atomen
nichts rechtes anzufangen. So wie der Physiker neben der abstoßenden Kraft
noch eine anziehende annimmt, hat er in seinen Atomen, wie Fechner sinnig
sagt, die Bausteine der Welt. Von den Alten ist nnr Empedokles einer solchen
Erkenntniß nahe gekommen, indem er von Liebe und Haß als den bewegenden
Mächten sang, aber er blieb im Mythischen stecken. Die eigentlichen Atomisten
helfen sich dnrch die sinnreich verkehrte Erfindung, daß ein Theil der Atome
rauh, hakig, ästig u. s. w. sei und daß diese dadurch, wenn sie einmal durch
die später anzugebenden Vorgänge zusammengebracht seien, anch zeitweilig zu¬
sammenhalten könnten. Aber auch hier fehlt es nicht an Lichtblicken. Moderne
Physiker erklären gewisse Eigenschaften des Wassers ans der Rundheit seiner
Moleküle. Setzen wir bei Lucrez Moleküle für Atome, so lehrt er dasselbe
(II, 451 ff):


Ein Stoff, der sich flüssig und fluchend bewegt,
Muß ans gerundeten, rollenden, glatten
Körpern bestehen, zum größeren Theil,
Denn Körnchen des Modus verschluckst du so leicht
Wie Wasser, und wenn du den Haufen berührst.
Laufen so leicht sie wie Wasser herunter.

Den Urkörpern werden natürlich die Eigenschaften der Farbe, des Geruches,
des Geschmackes u. s. w. abgesprochen, und mit glücklichem Humor wird die
Annahme widerlegt, als ob sie Leben und Willen besitzen könnten. Unter
anderm folgert der Dichter so: Wenn die lebenden Wesen, um empfinden zu
können, aus empfindende" Urkörpern bestehen müssen, aus welchen besteht denn
speziell das Menschengeschlecht? (II, 973--982)


Natürlich ans solchen, welche sich manchmal
Bor Lachen schütteln und manchmal deu Mund
Und die Wangen mit salzigen Thränen benetzen.
Sie wissen auch viel und klug zu reden
Vou der Stoffe Mischung und grübeln, aus welchen
Atomen wieder sie selbst bestehen.

Lucrez hat sich jetzt den Weg zur Begründung seiner Atomistik geebnet.
Die Annahme, daß die Materie zuletzt ans Atomen, d. h. aus absolut vollen,
absolut harten und deshalb absolut untheilbaren unsichtbaren Körpern bestehe,
wird von Newton mit dem Ausdruck der Zustimmung erwähnt und dürste bis
in die jüngste Zeit von den meisten Physikern und Chemikern gebilligt worden
sein. Fechner neigt, mit Ampere, zu der Hypothese puuktueller Kraftzentreu hin,
während andere moderne Forscher sich sür weiche, wegen ihrer Glätte und
Elastizität unzerstörbare Urkörper aussprechen, Theorien, aus welche ich als
Laie nicht einzugehen wage. Jedenfalls stimmt die antike Atomistik in der
Hauptsache, d. h. in der Annahme der Diskontinuität der Materie, mit der
neuesten Wissenschaft überein. Der Epikureer weiß aber mit seinen Atomen
nichts rechtes anzufangen. So wie der Physiker neben der abstoßenden Kraft
noch eine anziehende annimmt, hat er in seinen Atomen, wie Fechner sinnig
sagt, die Bausteine der Welt. Von den Alten ist nnr Empedokles einer solchen
Erkenntniß nahe gekommen, indem er von Liebe und Haß als den bewegenden
Mächten sang, aber er blieb im Mythischen stecken. Die eigentlichen Atomisten
helfen sich dnrch die sinnreich verkehrte Erfindung, daß ein Theil der Atome
rauh, hakig, ästig u. s. w. sei und daß diese dadurch, wenn sie einmal durch
die später anzugebenden Vorgänge zusammengebracht seien, anch zeitweilig zu¬
sammenhalten könnten. Aber auch hier fehlt es nicht an Lichtblicken. Moderne
Physiker erklären gewisse Eigenschaften des Wassers ans der Rundheit seiner
Moleküle. Setzen wir bei Lucrez Moleküle für Atome, so lehrt er dasselbe
(II, 451 ff):


Ein Stoff, der sich flüssig und fluchend bewegt,
Muß ans gerundeten, rollenden, glatten
Körpern bestehen, zum größeren Theil,
Denn Körnchen des Modus verschluckst du so leicht
Wie Wasser, und wenn du den Haufen berührst.
Laufen so leicht sie wie Wasser herunter.

Den Urkörpern werden natürlich die Eigenschaften der Farbe, des Geruches,
des Geschmackes u. s. w. abgesprochen, und mit glücklichem Humor wird die
Annahme widerlegt, als ob sie Leben und Willen besitzen könnten. Unter
anderm folgert der Dichter so: Wenn die lebenden Wesen, um empfinden zu
können, aus empfindende» Urkörpern bestehen müssen, aus welchen besteht denn
speziell das Menschengeschlecht? (II, 973—982)


Natürlich ans solchen, welche sich manchmal
Bor Lachen schütteln und manchmal deu Mund
Und die Wangen mit salzigen Thränen benetzen.
Sie wissen auch viel und klug zu reden
Vou der Stoffe Mischung und grübeln, aus welchen
Atomen wieder sie selbst bestehen.

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[0418] Lucrez hat sich jetzt den Weg zur Begründung seiner Atomistik geebnet. Die Annahme, daß die Materie zuletzt ans Atomen, d. h. aus absolut vollen, absolut harten und deshalb absolut untheilbaren unsichtbaren Körpern bestehe, wird von Newton mit dem Ausdruck der Zustimmung erwähnt und dürste bis in die jüngste Zeit von den meisten Physikern und Chemikern gebilligt worden sein. Fechner neigt, mit Ampere, zu der Hypothese puuktueller Kraftzentreu hin, während andere moderne Forscher sich sür weiche, wegen ihrer Glätte und Elastizität unzerstörbare Urkörper aussprechen, Theorien, aus welche ich als Laie nicht einzugehen wage. Jedenfalls stimmt die antike Atomistik in der Hauptsache, d. h. in der Annahme der Diskontinuität der Materie, mit der neuesten Wissenschaft überein. Der Epikureer weiß aber mit seinen Atomen nichts rechtes anzufangen. So wie der Physiker neben der abstoßenden Kraft noch eine anziehende annimmt, hat er in seinen Atomen, wie Fechner sinnig sagt, die Bausteine der Welt. Von den Alten ist nnr Empedokles einer solchen Erkenntniß nahe gekommen, indem er von Liebe und Haß als den bewegenden Mächten sang, aber er blieb im Mythischen stecken. Die eigentlichen Atomisten helfen sich dnrch die sinnreich verkehrte Erfindung, daß ein Theil der Atome rauh, hakig, ästig u. s. w. sei und daß diese dadurch, wenn sie einmal durch die später anzugebenden Vorgänge zusammengebracht seien, anch zeitweilig zu¬ sammenhalten könnten. Aber auch hier fehlt es nicht an Lichtblicken. Moderne Physiker erklären gewisse Eigenschaften des Wassers ans der Rundheit seiner Moleküle. Setzen wir bei Lucrez Moleküle für Atome, so lehrt er dasselbe (II, 451 ff): Ein Stoff, der sich flüssig und fluchend bewegt, Muß ans gerundeten, rollenden, glatten Körpern bestehen, zum größeren Theil, Denn Körnchen des Modus verschluckst du so leicht Wie Wasser, und wenn du den Haufen berührst. Laufen so leicht sie wie Wasser herunter. Den Urkörpern werden natürlich die Eigenschaften der Farbe, des Geruches, des Geschmackes u. s. w. abgesprochen, und mit glücklichem Humor wird die Annahme widerlegt, als ob sie Leben und Willen besitzen könnten. Unter anderm folgert der Dichter so: Wenn die lebenden Wesen, um empfinden zu können, aus empfindende» Urkörpern bestehen müssen, aus welchen besteht denn speziell das Menschengeschlecht? (II, 973—982) Natürlich ans solchen, welche sich manchmal Bor Lachen schütteln und manchmal deu Mund Und die Wangen mit salzigen Thränen benetzen. Sie wissen auch viel und klug zu reden Vou der Stoffe Mischung und grübeln, aus welchen Atomen wieder sie selbst bestehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/418>, abgerufen am 26.06.2024.