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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Das Aeußerste in dieser Art leistet eines unter den walisischen Liedern, das
die Ueberschrift trägt: "Hol? / äori Äimäo". Diese für unser Ohr völlig sinn¬
losen, elementaren Naturlaute bilden den Refrain des Liedes. Die erste Strophe
beginnt:


Der Lenzwind weht auf Bcrgeshalde,
Hob äsri ä-^nao, süße Maid!
Zur Strome ward der Quell vom Walde,
Ilov der! äimäo, auf der Haid.

Wie "vächst aber vollends unsere Verwunderung, wenn wir aus der Anmer¬
kung des Herausgebers ersehen, daß diese Worte, die wir blos für eine Art
onomatopoetischen Jodler gehalten, wirklich einen Sinn haben! Der Heraus¬
geber bemerkt: "Hai clovv, i an>ri Äancko" (komm mit zum Eichengrund) ist
der Refrain eines alten Druidenliedes. Wörtlich heißt "llod / äsri ckkmäo"
eigentlich "Das Schwein unter den Eichen". Wir brauchen wohl den Leser
nicht erst aufzufordern, nachdem er weiß, was die räthselhaften Klänge "wört¬
lich eigentlich" heißen, den Versuch zu machen und die deutsche Uebersetzung
derselben in die Strophe einzusetzen, um sich zu überzeugen, was das für
eine witzige und appetitliche Poesie ergiebt!

Wir wiederholen: Eine strengere Sichtung wäre in allen den erwähnten
Sammlungen erwünscht gewesen. Es würden noch immer Lieder genug von
echt neutralem und kosmopolitischen Charakter übrig geblieben sein, an denen
man allerorten die reinste Freude haben könnte.

Was die deutsche Uebersetzung der englischen Texte betrifft, so können als
wahrhaft poetische Neuschöpfungen nur die im Burns-Album befindlichen Ueber-
tragungen von Freiligrath, Bartsch und Dahn betrachtet werden. Was der
Herausgeber in dieser und den übrigen Sammlungen selber geleistet hat
und dies ist allerdings bei weitem der größte Theil -- läßt viel zu wünschen
übrig. Auch dies darf nicht verschwiegen werden. Die Kißner'schen Ueber-
setzungen schließen sich mit sklavischer Aengstlichkeit an des Original an und
klingen meistens hölzern und prosaisch. Von schlechten Reimen, Apostrophirnng
der Worte, verzwackter Wortstellung ist bis zum Ueberdruß Gebrauch gemacht.
Namentlich in den zahlreichen Liedern mit daktylischem und anapästischem Rhyth¬
mus reichen die schwerfällige" und gehackten deutschen Zeilen nicht entfernt an den
Fluß und die Leichtigkeit der englischen Verse hinan. Glücklicherweise gleitet
man aus den Wellen des Gesanges ziemlich unvermerkt über alle diese Steine
des Anstoßes hinweg. Gelesen würden die Kißner'schen Uebersetzungen ganz
undenkbar sein.

Freilich bietet auch die musikalische Seite dieser Lieder für das moderne
Ohr, das deutsche Ohr, namentlich im Anfange, des seltsamen genug. Wer


Das Aeußerste in dieser Art leistet eines unter den walisischen Liedern, das
die Ueberschrift trägt: „Hol? / äori Äimäo". Diese für unser Ohr völlig sinn¬
losen, elementaren Naturlaute bilden den Refrain des Liedes. Die erste Strophe
beginnt:


Der Lenzwind weht auf Bcrgeshalde,
Hob äsri ä-^nao, süße Maid!
Zur Strome ward der Quell vom Walde,
Ilov der! äimäo, auf der Haid.

Wie »vächst aber vollends unsere Verwunderung, wenn wir aus der Anmer¬
kung des Herausgebers ersehen, daß diese Worte, die wir blos für eine Art
onomatopoetischen Jodler gehalten, wirklich einen Sinn haben! Der Heraus¬
geber bemerkt: „Hai clovv, i an>ri Äancko" (komm mit zum Eichengrund) ist
der Refrain eines alten Druidenliedes. Wörtlich heißt „llod / äsri ckkmäo"
eigentlich „Das Schwein unter den Eichen". Wir brauchen wohl den Leser
nicht erst aufzufordern, nachdem er weiß, was die räthselhaften Klänge „wört¬
lich eigentlich" heißen, den Versuch zu machen und die deutsche Uebersetzung
derselben in die Strophe einzusetzen, um sich zu überzeugen, was das für
eine witzige und appetitliche Poesie ergiebt!

Wir wiederholen: Eine strengere Sichtung wäre in allen den erwähnten
Sammlungen erwünscht gewesen. Es würden noch immer Lieder genug von
echt neutralem und kosmopolitischen Charakter übrig geblieben sein, an denen
man allerorten die reinste Freude haben könnte.

Was die deutsche Uebersetzung der englischen Texte betrifft, so können als
wahrhaft poetische Neuschöpfungen nur die im Burns-Album befindlichen Ueber-
tragungen von Freiligrath, Bartsch und Dahn betrachtet werden. Was der
Herausgeber in dieser und den übrigen Sammlungen selber geleistet hat
und dies ist allerdings bei weitem der größte Theil — läßt viel zu wünschen
übrig. Auch dies darf nicht verschwiegen werden. Die Kißner'schen Ueber-
setzungen schließen sich mit sklavischer Aengstlichkeit an des Original an und
klingen meistens hölzern und prosaisch. Von schlechten Reimen, Apostrophirnng
der Worte, verzwackter Wortstellung ist bis zum Ueberdruß Gebrauch gemacht.
Namentlich in den zahlreichen Liedern mit daktylischem und anapästischem Rhyth¬
mus reichen die schwerfällige» und gehackten deutschen Zeilen nicht entfernt an den
Fluß und die Leichtigkeit der englischen Verse hinan. Glücklicherweise gleitet
man aus den Wellen des Gesanges ziemlich unvermerkt über alle diese Steine
des Anstoßes hinweg. Gelesen würden die Kißner'schen Uebersetzungen ganz
undenkbar sein.

Freilich bietet auch die musikalische Seite dieser Lieder für das moderne
Ohr, das deutsche Ohr, namentlich im Anfange, des seltsamen genug. Wer


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[0395] Das Aeußerste in dieser Art leistet eines unter den walisischen Liedern, das die Ueberschrift trägt: „Hol? / äori Äimäo". Diese für unser Ohr völlig sinn¬ losen, elementaren Naturlaute bilden den Refrain des Liedes. Die erste Strophe beginnt: Der Lenzwind weht auf Bcrgeshalde, Hob äsri ä-^nao, süße Maid! Zur Strome ward der Quell vom Walde, Ilov der! äimäo, auf der Haid. Wie »vächst aber vollends unsere Verwunderung, wenn wir aus der Anmer¬ kung des Herausgebers ersehen, daß diese Worte, die wir blos für eine Art onomatopoetischen Jodler gehalten, wirklich einen Sinn haben! Der Heraus¬ geber bemerkt: „Hai clovv, i an>ri Äancko" (komm mit zum Eichengrund) ist der Refrain eines alten Druidenliedes. Wörtlich heißt „llod / äsri ckkmäo" eigentlich „Das Schwein unter den Eichen". Wir brauchen wohl den Leser nicht erst aufzufordern, nachdem er weiß, was die räthselhaften Klänge „wört¬ lich eigentlich" heißen, den Versuch zu machen und die deutsche Uebersetzung derselben in die Strophe einzusetzen, um sich zu überzeugen, was das für eine witzige und appetitliche Poesie ergiebt! Wir wiederholen: Eine strengere Sichtung wäre in allen den erwähnten Sammlungen erwünscht gewesen. Es würden noch immer Lieder genug von echt neutralem und kosmopolitischen Charakter übrig geblieben sein, an denen man allerorten die reinste Freude haben könnte. Was die deutsche Uebersetzung der englischen Texte betrifft, so können als wahrhaft poetische Neuschöpfungen nur die im Burns-Album befindlichen Ueber- tragungen von Freiligrath, Bartsch und Dahn betrachtet werden. Was der Herausgeber in dieser und den übrigen Sammlungen selber geleistet hat und dies ist allerdings bei weitem der größte Theil — läßt viel zu wünschen übrig. Auch dies darf nicht verschwiegen werden. Die Kißner'schen Ueber- setzungen schließen sich mit sklavischer Aengstlichkeit an des Original an und klingen meistens hölzern und prosaisch. Von schlechten Reimen, Apostrophirnng der Worte, verzwackter Wortstellung ist bis zum Ueberdruß Gebrauch gemacht. Namentlich in den zahlreichen Liedern mit daktylischem und anapästischem Rhyth¬ mus reichen die schwerfällige» und gehackten deutschen Zeilen nicht entfernt an den Fluß und die Leichtigkeit der englischen Verse hinan. Glücklicherweise gleitet man aus den Wellen des Gesanges ziemlich unvermerkt über alle diese Steine des Anstoßes hinweg. Gelesen würden die Kißner'schen Uebersetzungen ganz undenkbar sein. Freilich bietet auch die musikalische Seite dieser Lieder für das moderne Ohr, das deutsche Ohr, namentlich im Anfange, des seltsamen genug. Wer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/395>, abgerufen am 22.07.2024.