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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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man in jeder einzelnen Quertravee die gesammte Ausstellung eines Landes
besichtigen kann. Wer also Studienzwecke verfolgt, hat die bequemste Gelegen¬
heit zu Vergleichen, indem er sich an die Längengalerien hält, und die Qner-
galerien sorgen ihrerseits dafür, daß sich der simple Flaneur nicht über Mo-
notonie zu beklagen hat. Aus der Vogelperspektive betrachtet, sieht der Industrie-
Palast wie ein ungeheurer Rost mit drei Stäben aus.

Die Fayade der dritten Abtheilung hat nach der (Zalöris clvs IZkinix ^.res
einen absonderlichen Schmuck erhalten, ans den die Arrangeure der Weltaus¬
stellung nicht wenig stolz sind. Mari glaubte nämlich den internationalen
Charakter dieser Abtheilung nicht besser ausdrücken zu können, als durch eine
Ausstellung von Proben der Baustile, die in den betreffenden Ländern üblich
oder in einer Zeit des Glanzes eine besondere hohe Ausbildung erfahren haben.
So entstand die Straße der fremden Nationen, eine gewaltige Reihe von
Fanden, in welcher alle Baustile der Welt vertreten sind. Jede dieser Fanden
bildet zugleich den Eingang zu der Ausstellung des Landes, von dessen Baustil
sie eine charakteristische Probe ablegen soll.

So barock diese Idee auch ist und so wenig sie vor dem Richterstuhle
der ästhetischen Kritik bestehen kann, eine malerische Wirkung und einen pikanten
Reiz kann man ihr nicht absprechen. Vielleicht hat sie auch einen gewissen
instruktiven Werth, denn sie bildet gewissermaßen einen Katechismus der Bau¬
stile sämmtlicher Länder, die sich an der Ausstellung betheiligt haben, einen
Katechismus, der nicht ans trockenen Blättern besteht, sondern der wie eine
phantastische Wandeldekoration an den Augen des Spaziergängers vorüberzieht.
Man träumt sich in die Wunderwerke der gothischen Architektur, in die heitere
Klassizität Italien's, in die Bizarrerie China's hinein. Man erfährt, wie ein
amerikanisches Stationsgebäude aussieht -- die Jankees konnten kein besseres
Beispiel finden, um ihre Kunstbarbarei zu documentiren --, man erfährt, wie
sich ein indischer Pavillon außerhalb seiner Umgebung cinsnimmt oder wie sich
ein belgisches Rathhaus präsentirt, wenn es frei seine Faycide entfalten kann
und uicht in ein Gewirr mittelalterlicher Gassen eingezwängt ist. Der Aesthe¬
tiker schüttelt freilich über diesen babylonischen Stilwirrwarr, über diese nied¬
liche Beispielsammlung, die aus einem Kasten Nürnberger Spielwaaren aus¬
gepackt zu sein scheint, bedenklich den Kopf: ein russisches Bauernhaus von
Holz im reichsten Schnitzwerk neben einer eleganten Nenaissaneeloggia, ein
maurischer Palast neben einem chinesischen Tempel, das Portal einer gothischen
Kathedrale ueben einem altgriechischen Wohnhaus, -- das sind am Ende Ver¬
bindungen, die sich abenteuerlich genug ausnehmen. Nichtsdestoweniger ist der
Eindruck eines jeden Gebäudes für sich ein angenehmer. Es liegt ein heiterer,


man in jeder einzelnen Quertravee die gesammte Ausstellung eines Landes
besichtigen kann. Wer also Studienzwecke verfolgt, hat die bequemste Gelegen¬
heit zu Vergleichen, indem er sich an die Längengalerien hält, und die Qner-
galerien sorgen ihrerseits dafür, daß sich der simple Flaneur nicht über Mo-
notonie zu beklagen hat. Aus der Vogelperspektive betrachtet, sieht der Industrie-
Palast wie ein ungeheurer Rost mit drei Stäben aus.

Die Fayade der dritten Abtheilung hat nach der (Zalöris clvs IZkinix ^.res
einen absonderlichen Schmuck erhalten, ans den die Arrangeure der Weltaus¬
stellung nicht wenig stolz sind. Mari glaubte nämlich den internationalen
Charakter dieser Abtheilung nicht besser ausdrücken zu können, als durch eine
Ausstellung von Proben der Baustile, die in den betreffenden Ländern üblich
oder in einer Zeit des Glanzes eine besondere hohe Ausbildung erfahren haben.
So entstand die Straße der fremden Nationen, eine gewaltige Reihe von
Fanden, in welcher alle Baustile der Welt vertreten sind. Jede dieser Fanden
bildet zugleich den Eingang zu der Ausstellung des Landes, von dessen Baustil
sie eine charakteristische Probe ablegen soll.

So barock diese Idee auch ist und so wenig sie vor dem Richterstuhle
der ästhetischen Kritik bestehen kann, eine malerische Wirkung und einen pikanten
Reiz kann man ihr nicht absprechen. Vielleicht hat sie auch einen gewissen
instruktiven Werth, denn sie bildet gewissermaßen einen Katechismus der Bau¬
stile sämmtlicher Länder, die sich an der Ausstellung betheiligt haben, einen
Katechismus, der nicht ans trockenen Blättern besteht, sondern der wie eine
phantastische Wandeldekoration an den Augen des Spaziergängers vorüberzieht.
Man träumt sich in die Wunderwerke der gothischen Architektur, in die heitere
Klassizität Italien's, in die Bizarrerie China's hinein. Man erfährt, wie ein
amerikanisches Stationsgebäude aussieht — die Jankees konnten kein besseres
Beispiel finden, um ihre Kunstbarbarei zu documentiren —, man erfährt, wie
sich ein indischer Pavillon außerhalb seiner Umgebung cinsnimmt oder wie sich
ein belgisches Rathhaus präsentirt, wenn es frei seine Faycide entfalten kann
und uicht in ein Gewirr mittelalterlicher Gassen eingezwängt ist. Der Aesthe¬
tiker schüttelt freilich über diesen babylonischen Stilwirrwarr, über diese nied¬
liche Beispielsammlung, die aus einem Kasten Nürnberger Spielwaaren aus¬
gepackt zu sein scheint, bedenklich den Kopf: ein russisches Bauernhaus von
Holz im reichsten Schnitzwerk neben einer eleganten Nenaissaneeloggia, ein
maurischer Palast neben einem chinesischen Tempel, das Portal einer gothischen
Kathedrale ueben einem altgriechischen Wohnhaus, — das sind am Ende Ver¬
bindungen, die sich abenteuerlich genug ausnehmen. Nichtsdestoweniger ist der
Eindruck eines jeden Gebäudes für sich ein angenehmer. Es liegt ein heiterer,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/38>, abgerufen am 22.07.2024.