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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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der Aphrodite ihr Haar gelobt, wenn der geliebte Gemahl unversehrt ans der
Schlacht heimkehre, bezaubernd schön, aber einem lebenden Bilde, einer theatra¬
lischen Attitüde gleich. Ein paar am Sockel angebrachte Verse, die, wenn ich
nicht irre, einem Drama Alfieri's entnommen sind, bezeugen übrigens den Zu¬
sammenhang mit der Bühne.

Wo Berenice mit ihren Haaren prunkt, kann Kleopatra nicht fehlen.
Die egyptische Königin liegt in der Toilette einer Isis oder einer Venus
-- man weiß, was das zu sagen hat -- auf einem üppigen Ruhebette und
erwartet den Antonius, den sie so schnöde bei Antium verlassen, um den Schwäch¬
ling durch die bestrickenden Reize ihrer herrlichen Gestalt wieder zu versöhnen.
Das Bildwerk steht inmitten des Hauptsaals der italienischen Kunstausstellung,
von Palmen und Blattpflanzen umgeben, von einem milden, dnrch ein Velarium
gedämpften Lichte Übergossen. Bei einem solchen Arrangement, das übrigens
den meisten italienischen Marmorfignren zu Theil geworden ist, konnte die
Wirkung dieses interessanten Werkes nicht ausbleiben. Der Schöpfer desselben,
Papini in Florenz, hat der Zauberin von Alexandria übrigens nicht, wie üblich,
den griechische" Typus verliehen, sondern er hat sie als Egypterin gebildet.
Ihre wulstigen Lippen und ihre aufgeworfene Nase haben sogar einen stark
äthiopischen Charakter. Diese Version hat dem alten, oft behandelten Thema
unleugbar einen neuen Reiz hinzugefügt.

Wie die französischen Maler stehen die italienischen Bildhauer in der Be¬
handlung des nackten weiblichen Körpers ohne Rivalen da. Selbst die fran¬
zösischen Bildhauer kommen ihnen darin nicht gleich. Neben den italienischen
erscheinen ihre Aktfiguren fade und langweilig. Die Naivetät des südlichen
Lebens, der Zusammenhang mit der klassischen Tradition, der in der Plastik
uoch lebendig wirkt, während er in der Malerei längst erloschen ist, die Schön-
heitsfreude und Begeisterung, welche alle Volksschichten gleichmäßig durchdringt,
find die mächtigen Hebel, welche der italienischen Plastik zu diesem Vorzüge
verholfen haben. Es ist wahr: diese badenden Aphroditen, diese nackten
Sklavinnen, diese Frauen bei der Toilette, dieser Egypterinnen, -- sie haben alle
eine gewisse Familienähnlichkeit mit einander; ^sie sehen aus, als wären sie
alle, wie die Athleten des Polyklet, nach demselben Kanon gemacht. Aber
dieser Kanon ist der der Schönheit, einer regelmäßigen, die das Charakteristische,
das Wahre vermeidet, wo es unschön wird, einer Schönheit, die weit entfernt
ist von der keuschen, naiven Griechenland's, die aber darum uoch nicht in
das Frivole verfällt. Es ist das Schönheitsideal des modernen Geschmacks,
das Schönheitsideal Canova's, dessen Aphroditen und Nymphen man es an¬
sehen kann, daß sie sich eben entkleidet haben. Vielleicht ist jene Familien¬
ähnlichkeit auch auf die technische Behandlung des Marmors zurückzuführen,


der Aphrodite ihr Haar gelobt, wenn der geliebte Gemahl unversehrt ans der
Schlacht heimkehre, bezaubernd schön, aber einem lebenden Bilde, einer theatra¬
lischen Attitüde gleich. Ein paar am Sockel angebrachte Verse, die, wenn ich
nicht irre, einem Drama Alfieri's entnommen sind, bezeugen übrigens den Zu¬
sammenhang mit der Bühne.

Wo Berenice mit ihren Haaren prunkt, kann Kleopatra nicht fehlen.
Die egyptische Königin liegt in der Toilette einer Isis oder einer Venus
— man weiß, was das zu sagen hat — auf einem üppigen Ruhebette und
erwartet den Antonius, den sie so schnöde bei Antium verlassen, um den Schwäch¬
ling durch die bestrickenden Reize ihrer herrlichen Gestalt wieder zu versöhnen.
Das Bildwerk steht inmitten des Hauptsaals der italienischen Kunstausstellung,
von Palmen und Blattpflanzen umgeben, von einem milden, dnrch ein Velarium
gedämpften Lichte Übergossen. Bei einem solchen Arrangement, das übrigens
den meisten italienischen Marmorfignren zu Theil geworden ist, konnte die
Wirkung dieses interessanten Werkes nicht ausbleiben. Der Schöpfer desselben,
Papini in Florenz, hat der Zauberin von Alexandria übrigens nicht, wie üblich,
den griechische» Typus verliehen, sondern er hat sie als Egypterin gebildet.
Ihre wulstigen Lippen und ihre aufgeworfene Nase haben sogar einen stark
äthiopischen Charakter. Diese Version hat dem alten, oft behandelten Thema
unleugbar einen neuen Reiz hinzugefügt.

Wie die französischen Maler stehen die italienischen Bildhauer in der Be¬
handlung des nackten weiblichen Körpers ohne Rivalen da. Selbst die fran¬
zösischen Bildhauer kommen ihnen darin nicht gleich. Neben den italienischen
erscheinen ihre Aktfiguren fade und langweilig. Die Naivetät des südlichen
Lebens, der Zusammenhang mit der klassischen Tradition, der in der Plastik
uoch lebendig wirkt, während er in der Malerei längst erloschen ist, die Schön-
heitsfreude und Begeisterung, welche alle Volksschichten gleichmäßig durchdringt,
find die mächtigen Hebel, welche der italienischen Plastik zu diesem Vorzüge
verholfen haben. Es ist wahr: diese badenden Aphroditen, diese nackten
Sklavinnen, diese Frauen bei der Toilette, dieser Egypterinnen, — sie haben alle
eine gewisse Familienähnlichkeit mit einander; ^sie sehen aus, als wären sie
alle, wie die Athleten des Polyklet, nach demselben Kanon gemacht. Aber
dieser Kanon ist der der Schönheit, einer regelmäßigen, die das Charakteristische,
das Wahre vermeidet, wo es unschön wird, einer Schönheit, die weit entfernt
ist von der keuschen, naiven Griechenland's, die aber darum uoch nicht in
das Frivole verfällt. Es ist das Schönheitsideal des modernen Geschmacks,
das Schönheitsideal Canova's, dessen Aphroditen und Nymphen man es an¬
sehen kann, daß sie sich eben entkleidet haben. Vielleicht ist jene Familien¬
ähnlichkeit auch auf die technische Behandlung des Marmors zurückzuführen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/371>, abgerufen am 22.07.2024.