Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

von ihnen. Wie den französischen Malern ist ihnen die technische Bravour,
die einem glücklichen Einfall, einer hübschen Pointe Relief verleiht, die Haupt¬
sache. Aber im wohlthuenden Gegensatze zu jenen sind in stofflicher Hinsicht
das Hübsche, das Niedliche, das Pikante und allenfalls auch das Riskirte, die
Domänen ihrer Kunst. Auch wo sie nach tragischen Pathos suchen oder nach
monumentaler Würde ringen, kommt ihnen das Niedliche, das Gefällige in den
Weg und verdirbt den beabsichtigten Eindruck. Es liegt ferner in ihrer Plastik
ein starker, malerischer Zug, der zwar einen ihrer größten Reize ausmacht, der
sich aber mit dem monumentalen Stile nicht verträgt. Borghi's mächtiger Crom-
well, der finster brütend auf einem Lehnstuhl sitzt, ist schwungvoll allgelegt und
von eminent malerischer Wirkung, aber das Pathos, das diese kolossale Figur
erfüllt, ist rein theatralisch. Es scheint fast, als ginge der ganzen romanischen
Race in der Gegenwart das Gefühl für das Erhabene und Schlichte, für die naive
Größe der Antike vollständig ab. Sie sieht das Bedeutende, das leidenschaft¬
lich Erregte immer durch den Spiegel der Bühne und nicht im Rahmen des
wirklichen Lebens.

Borghi's gefällige Manier, der die Wucht des Tragischen völlig abgeht,
kommt in einer weiblichen Marmorstatue besser zur Geltung, in einer nackten
Berenice, die eben ihr Haar, das mit fabelhaftem Geschick völlig frei ausge¬
arbeitet am Boden liegt, der Aphrodite geopfert hat. Monteverde, dessen viel
bewunderte Gruppe -- Jenner impft ein Kind -- auch in Paris zu sehen ist,
hat daneben das Gipsmodell zu einem Grabmal für den Grafen Massari aus¬
gestellt: ein Engel neigt sich friedenbringend über die Gestalt des Todten, die
lang ausgestreckt auf einem Sarkophage ruht. In Italien und Frankreich ist
diese schöne, poetische Art, das Gedächtniß der Todten zu verewigen, gäng und
gäbe, in Deutschland noch etwas außergewöhnliches. Indessen zeigt die deutsche
Abtheilung, auf die wir noch später ausführlich zu sprechen kommen, zufällig
ein vortreffliches Werk dieser Gattung von dem Münchner Bildhauer Wag¬
müller, ein Grabmonument, welches der Künstler seiner Gattin errichtet hat.
Die Figur eines Todten auf dem Sarkophage hat immer etwas peinliches
und sollte vermieden werden, wenn der Todte durch seine persönliche Bedeutung
nicht gerade gegründeten Anspruch ans eine vollständige Wiedergabe seiner
Person besitzt. Wagmüller hat den Sarkophag geschlossen und auf den Deckel
eine schöne weibliche Gestalt in wallenden Gewändern gesetzt, die in der linken
Hand eine Tafel mit dem Namen der Verstorbenen hält, während sie mit der
rechten eine Palme auf den Sarg legt. Vor ihr sitzt ein Knäblein, das trauernd
auf die Palme blickt.

Eine andere Berenice hat der Mailänder Paduzzi geschaffen, im Augen¬
blick, wo die schöne Gattin des Ptvleinüus ihre Arme gen Himmel hebt nud


von ihnen. Wie den französischen Malern ist ihnen die technische Bravour,
die einem glücklichen Einfall, einer hübschen Pointe Relief verleiht, die Haupt¬
sache. Aber im wohlthuenden Gegensatze zu jenen sind in stofflicher Hinsicht
das Hübsche, das Niedliche, das Pikante und allenfalls auch das Riskirte, die
Domänen ihrer Kunst. Auch wo sie nach tragischen Pathos suchen oder nach
monumentaler Würde ringen, kommt ihnen das Niedliche, das Gefällige in den
Weg und verdirbt den beabsichtigten Eindruck. Es liegt ferner in ihrer Plastik
ein starker, malerischer Zug, der zwar einen ihrer größten Reize ausmacht, der
sich aber mit dem monumentalen Stile nicht verträgt. Borghi's mächtiger Crom-
well, der finster brütend auf einem Lehnstuhl sitzt, ist schwungvoll allgelegt und
von eminent malerischer Wirkung, aber das Pathos, das diese kolossale Figur
erfüllt, ist rein theatralisch. Es scheint fast, als ginge der ganzen romanischen
Race in der Gegenwart das Gefühl für das Erhabene und Schlichte, für die naive
Größe der Antike vollständig ab. Sie sieht das Bedeutende, das leidenschaft¬
lich Erregte immer durch den Spiegel der Bühne und nicht im Rahmen des
wirklichen Lebens.

Borghi's gefällige Manier, der die Wucht des Tragischen völlig abgeht,
kommt in einer weiblichen Marmorstatue besser zur Geltung, in einer nackten
Berenice, die eben ihr Haar, das mit fabelhaftem Geschick völlig frei ausge¬
arbeitet am Boden liegt, der Aphrodite geopfert hat. Monteverde, dessen viel
bewunderte Gruppe — Jenner impft ein Kind — auch in Paris zu sehen ist,
hat daneben das Gipsmodell zu einem Grabmal für den Grafen Massari aus¬
gestellt: ein Engel neigt sich friedenbringend über die Gestalt des Todten, die
lang ausgestreckt auf einem Sarkophage ruht. In Italien und Frankreich ist
diese schöne, poetische Art, das Gedächtniß der Todten zu verewigen, gäng und
gäbe, in Deutschland noch etwas außergewöhnliches. Indessen zeigt die deutsche
Abtheilung, auf die wir noch später ausführlich zu sprechen kommen, zufällig
ein vortreffliches Werk dieser Gattung von dem Münchner Bildhauer Wag¬
müller, ein Grabmonument, welches der Künstler seiner Gattin errichtet hat.
Die Figur eines Todten auf dem Sarkophage hat immer etwas peinliches
und sollte vermieden werden, wenn der Todte durch seine persönliche Bedeutung
nicht gerade gegründeten Anspruch ans eine vollständige Wiedergabe seiner
Person besitzt. Wagmüller hat den Sarkophag geschlossen und auf den Deckel
eine schöne weibliche Gestalt in wallenden Gewändern gesetzt, die in der linken
Hand eine Tafel mit dem Namen der Verstorbenen hält, während sie mit der
rechten eine Palme auf den Sarg legt. Vor ihr sitzt ein Knäblein, das trauernd
auf die Palme blickt.

Eine andere Berenice hat der Mailänder Paduzzi geschaffen, im Augen¬
blick, wo die schöne Gattin des Ptvleinüus ihre Arme gen Himmel hebt nud


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140721"/>
          <p xml:id="ID_1118" prev="#ID_1117"> von ihnen. Wie den französischen Malern ist ihnen die technische Bravour,<lb/>
die einem glücklichen Einfall, einer hübschen Pointe Relief verleiht, die Haupt¬<lb/>
sache. Aber im wohlthuenden Gegensatze zu jenen sind in stofflicher Hinsicht<lb/>
das Hübsche, das Niedliche, das Pikante und allenfalls auch das Riskirte, die<lb/>
Domänen ihrer Kunst. Auch wo sie nach tragischen Pathos suchen oder nach<lb/>
monumentaler Würde ringen, kommt ihnen das Niedliche, das Gefällige in den<lb/>
Weg und verdirbt den beabsichtigten Eindruck. Es liegt ferner in ihrer Plastik<lb/>
ein starker, malerischer Zug, der zwar einen ihrer größten Reize ausmacht, der<lb/>
sich aber mit dem monumentalen Stile nicht verträgt. Borghi's mächtiger Crom-<lb/>
well, der finster brütend auf einem Lehnstuhl sitzt, ist schwungvoll allgelegt und<lb/>
von eminent malerischer Wirkung, aber das Pathos, das diese kolossale Figur<lb/>
erfüllt, ist rein theatralisch. Es scheint fast, als ginge der ganzen romanischen<lb/>
Race in der Gegenwart das Gefühl für das Erhabene und Schlichte, für die naive<lb/>
Größe der Antike vollständig ab. Sie sieht das Bedeutende, das leidenschaft¬<lb/>
lich Erregte immer durch den Spiegel der Bühne und nicht im Rahmen des<lb/>
wirklichen Lebens.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1119"> Borghi's gefällige Manier, der die Wucht des Tragischen völlig abgeht,<lb/>
kommt in einer weiblichen Marmorstatue besser zur Geltung, in einer nackten<lb/>
Berenice, die eben ihr Haar, das mit fabelhaftem Geschick völlig frei ausge¬<lb/>
arbeitet am Boden liegt, der Aphrodite geopfert hat. Monteverde, dessen viel<lb/>
bewunderte Gruppe &#x2014; Jenner impft ein Kind &#x2014; auch in Paris zu sehen ist,<lb/>
hat daneben das Gipsmodell zu einem Grabmal für den Grafen Massari aus¬<lb/>
gestellt: ein Engel neigt sich friedenbringend über die Gestalt des Todten, die<lb/>
lang ausgestreckt auf einem Sarkophage ruht. In Italien und Frankreich ist<lb/>
diese schöne, poetische Art, das Gedächtniß der Todten zu verewigen, gäng und<lb/>
gäbe, in Deutschland noch etwas außergewöhnliches. Indessen zeigt die deutsche<lb/>
Abtheilung, auf die wir noch später ausführlich zu sprechen kommen, zufällig<lb/>
ein vortreffliches Werk dieser Gattung von dem Münchner Bildhauer Wag¬<lb/>
müller, ein Grabmonument, welches der Künstler seiner Gattin errichtet hat.<lb/>
Die Figur eines Todten auf dem Sarkophage hat immer etwas peinliches<lb/>
und sollte vermieden werden, wenn der Todte durch seine persönliche Bedeutung<lb/>
nicht gerade gegründeten Anspruch ans eine vollständige Wiedergabe seiner<lb/>
Person besitzt. Wagmüller hat den Sarkophag geschlossen und auf den Deckel<lb/>
eine schöne weibliche Gestalt in wallenden Gewändern gesetzt, die in der linken<lb/>
Hand eine Tafel mit dem Namen der Verstorbenen hält, während sie mit der<lb/>
rechten eine Palme auf den Sarg legt. Vor ihr sitzt ein Knäblein, das trauernd<lb/>
auf die Palme blickt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1120" next="#ID_1121"> Eine andere Berenice hat der Mailänder Paduzzi geschaffen, im Augen¬<lb/>
blick, wo die schöne Gattin des Ptvleinüus ihre Arme gen Himmel hebt nud</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0370] von ihnen. Wie den französischen Malern ist ihnen die technische Bravour, die einem glücklichen Einfall, einer hübschen Pointe Relief verleiht, die Haupt¬ sache. Aber im wohlthuenden Gegensatze zu jenen sind in stofflicher Hinsicht das Hübsche, das Niedliche, das Pikante und allenfalls auch das Riskirte, die Domänen ihrer Kunst. Auch wo sie nach tragischen Pathos suchen oder nach monumentaler Würde ringen, kommt ihnen das Niedliche, das Gefällige in den Weg und verdirbt den beabsichtigten Eindruck. Es liegt ferner in ihrer Plastik ein starker, malerischer Zug, der zwar einen ihrer größten Reize ausmacht, der sich aber mit dem monumentalen Stile nicht verträgt. Borghi's mächtiger Crom- well, der finster brütend auf einem Lehnstuhl sitzt, ist schwungvoll allgelegt und von eminent malerischer Wirkung, aber das Pathos, das diese kolossale Figur erfüllt, ist rein theatralisch. Es scheint fast, als ginge der ganzen romanischen Race in der Gegenwart das Gefühl für das Erhabene und Schlichte, für die naive Größe der Antike vollständig ab. Sie sieht das Bedeutende, das leidenschaft¬ lich Erregte immer durch den Spiegel der Bühne und nicht im Rahmen des wirklichen Lebens. Borghi's gefällige Manier, der die Wucht des Tragischen völlig abgeht, kommt in einer weiblichen Marmorstatue besser zur Geltung, in einer nackten Berenice, die eben ihr Haar, das mit fabelhaftem Geschick völlig frei ausge¬ arbeitet am Boden liegt, der Aphrodite geopfert hat. Monteverde, dessen viel bewunderte Gruppe — Jenner impft ein Kind — auch in Paris zu sehen ist, hat daneben das Gipsmodell zu einem Grabmal für den Grafen Massari aus¬ gestellt: ein Engel neigt sich friedenbringend über die Gestalt des Todten, die lang ausgestreckt auf einem Sarkophage ruht. In Italien und Frankreich ist diese schöne, poetische Art, das Gedächtniß der Todten zu verewigen, gäng und gäbe, in Deutschland noch etwas außergewöhnliches. Indessen zeigt die deutsche Abtheilung, auf die wir noch später ausführlich zu sprechen kommen, zufällig ein vortreffliches Werk dieser Gattung von dem Münchner Bildhauer Wag¬ müller, ein Grabmonument, welches der Künstler seiner Gattin errichtet hat. Die Figur eines Todten auf dem Sarkophage hat immer etwas peinliches und sollte vermieden werden, wenn der Todte durch seine persönliche Bedeutung nicht gerade gegründeten Anspruch ans eine vollständige Wiedergabe seiner Person besitzt. Wagmüller hat den Sarkophag geschlossen und auf den Deckel eine schöne weibliche Gestalt in wallenden Gewändern gesetzt, die in der linken Hand eine Tafel mit dem Namen der Verstorbenen hält, während sie mit der rechten eine Palme auf den Sarg legt. Vor ihr sitzt ein Knäblein, das trauernd auf die Palme blickt. Eine andere Berenice hat der Mailänder Paduzzi geschaffen, im Augen¬ blick, wo die schöne Gattin des Ptvleinüus ihre Arme gen Himmel hebt nud

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/370
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/370>, abgerufen am 03.07.2024.