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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Die Annexivnslust der Engländer beschränkt sich bei der Wahl von Vorlagen
für solche Thonbilder nicht auf Frankreich, ihre eigene und die klassische Kunst;
sie läßt sich auch zu Deutschland herab. So sehen wir z> B. als Verkleidung
einer oberen Kaminwand die liebliche Kraus'sche Madonna in einem wunder¬
vollen goldbraunem Tone auf weißen Grund gemalt. Die einzelnen Platten
sind so sauber und sorgfältig zusammengesetzt, daß die göttliche Harmonie dieses
Bildes, des schönsten Symboles eines gemüthvollen Familienlebens über der
traulichen Flamme des Kamins, nicht durch Spalten und Risse gestört wird.

Die Franzosen gehen in der Zusammensetzung solcher Thongemälde noch
um ein gutes Stück weiter als die Engländer. Das Bizarre und Abenteuer¬
liche bildet ebensowohl den Grundzug ihrer Kunstindustrie wie den ihrer Kunst.
In allen ihren Bestrebungen, wie sie sich in einem charakteristischen Gesammt-
bilde auf dem Marsfelde wiederspiegeln, liegt etwas assyrisches, babylonisches,
wenn wir damit das unheimliche, sonderbare, das unästhetisch kolossale bezeichnen
wollen. Die beiden Eingangsportale der Kunsthalle gegenüber dem Pavillon
der Stadt Paris, der, wie schon früher erwähnt, gerade im Zentrum der Kunst¬
abtheilung liegt, sind in ihrer ganzen riesenhaften Höhe mit Terrakottaplatten
bekleidet. Die Architekturtheile, Böge", Gesimse und Architrave sind ebenfalls
aus diesem Stoffe gebildet. Doch wird diese ungeheuerliche Leistung noch durch
ein kolossales zwölf Fuß hohes und fünfunddreißig Fuß breites Gemälde
übertroffen, das eine Jagd darstellt und an einer der äußeren Wände der
Kunsthalle im Freien angebracht ist, um dort seine Wetterfestigkeit zu erproben.
Dieses Riesenbild, das aus dem Atelier von Groll und Morterean stammt,
ist aus ca. 1500 einzelnen Platten zusammengesetzt. Doch kehren wir wieder
zu den Engländern zurück.

Das Prachtstück der Wedgwoodausstellung ist ein Schrank aus Eichenholz
mit Glasthüren, dessen Felder mit hellblauen, stumpf abgetöntem Platten
-- xl^ciuss Ah Mxs ö, kennt mat genannt -- belegt sind, aus denen sich weiße
Basreliefs mit Szenen aus Chaucer, Milton und Shakespeare heben. Diese
matte Faience ist eine Spezialität der Wedgwood. Wir finden sie in schwarz,
olivengrün, hellblau und lichtgrau, in einem stumpfen Tone von eigenthümlicher
Zartheit und Noblesse. Berühmte etruskische und altgriechische Vasen der
Londoner Museen z. B. die Portlandvase, die xiöos als rösiswucs aller eng¬
lischen Pozellanfabrikanten, sind in dieser Masse kopirt. Die bildlichen Dar¬
stellungen sind in sehr sorgfältig und zart ausgeführten, weißen Basreliefs auf¬
getragen. Bei diesen Gefäßen verbindet sich der Adel der tektonischen Form
mit der Grazie der Zeichnung und dem Farbentone zu einer vollkommenen
Harmonie, während bei andern Imitationen, besonders wo nach indischen


Mrfiizbvten IN. 1878, 4S

Die Annexivnslust der Engländer beschränkt sich bei der Wahl von Vorlagen
für solche Thonbilder nicht auf Frankreich, ihre eigene und die klassische Kunst;
sie läßt sich auch zu Deutschland herab. So sehen wir z> B. als Verkleidung
einer oberen Kaminwand die liebliche Kraus'sche Madonna in einem wunder¬
vollen goldbraunem Tone auf weißen Grund gemalt. Die einzelnen Platten
sind so sauber und sorgfältig zusammengesetzt, daß die göttliche Harmonie dieses
Bildes, des schönsten Symboles eines gemüthvollen Familienlebens über der
traulichen Flamme des Kamins, nicht durch Spalten und Risse gestört wird.

Die Franzosen gehen in der Zusammensetzung solcher Thongemälde noch
um ein gutes Stück weiter als die Engländer. Das Bizarre und Abenteuer¬
liche bildet ebensowohl den Grundzug ihrer Kunstindustrie wie den ihrer Kunst.
In allen ihren Bestrebungen, wie sie sich in einem charakteristischen Gesammt-
bilde auf dem Marsfelde wiederspiegeln, liegt etwas assyrisches, babylonisches,
wenn wir damit das unheimliche, sonderbare, das unästhetisch kolossale bezeichnen
wollen. Die beiden Eingangsportale der Kunsthalle gegenüber dem Pavillon
der Stadt Paris, der, wie schon früher erwähnt, gerade im Zentrum der Kunst¬
abtheilung liegt, sind in ihrer ganzen riesenhaften Höhe mit Terrakottaplatten
bekleidet. Die Architekturtheile, Böge», Gesimse und Architrave sind ebenfalls
aus diesem Stoffe gebildet. Doch wird diese ungeheuerliche Leistung noch durch
ein kolossales zwölf Fuß hohes und fünfunddreißig Fuß breites Gemälde
übertroffen, das eine Jagd darstellt und an einer der äußeren Wände der
Kunsthalle im Freien angebracht ist, um dort seine Wetterfestigkeit zu erproben.
Dieses Riesenbild, das aus dem Atelier von Groll und Morterean stammt,
ist aus ca. 1500 einzelnen Platten zusammengesetzt. Doch kehren wir wieder
zu den Engländern zurück.

Das Prachtstück der Wedgwoodausstellung ist ein Schrank aus Eichenholz
mit Glasthüren, dessen Felder mit hellblauen, stumpf abgetöntem Platten
— xl^ciuss Ah Mxs ö, kennt mat genannt — belegt sind, aus denen sich weiße
Basreliefs mit Szenen aus Chaucer, Milton und Shakespeare heben. Diese
matte Faience ist eine Spezialität der Wedgwood. Wir finden sie in schwarz,
olivengrün, hellblau und lichtgrau, in einem stumpfen Tone von eigenthümlicher
Zartheit und Noblesse. Berühmte etruskische und altgriechische Vasen der
Londoner Museen z. B. die Portlandvase, die xiöos als rösiswucs aller eng¬
lischen Pozellanfabrikanten, sind in dieser Masse kopirt. Die bildlichen Dar¬
stellungen sind in sehr sorgfältig und zart ausgeführten, weißen Basreliefs auf¬
getragen. Bei diesen Gefäßen verbindet sich der Adel der tektonischen Form
mit der Grazie der Zeichnung und dem Farbentone zu einer vollkommenen
Harmonie, während bei andern Imitationen, besonders wo nach indischen


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[0361] Die Annexivnslust der Engländer beschränkt sich bei der Wahl von Vorlagen für solche Thonbilder nicht auf Frankreich, ihre eigene und die klassische Kunst; sie läßt sich auch zu Deutschland herab. So sehen wir z> B. als Verkleidung einer oberen Kaminwand die liebliche Kraus'sche Madonna in einem wunder¬ vollen goldbraunem Tone auf weißen Grund gemalt. Die einzelnen Platten sind so sauber und sorgfältig zusammengesetzt, daß die göttliche Harmonie dieses Bildes, des schönsten Symboles eines gemüthvollen Familienlebens über der traulichen Flamme des Kamins, nicht durch Spalten und Risse gestört wird. Die Franzosen gehen in der Zusammensetzung solcher Thongemälde noch um ein gutes Stück weiter als die Engländer. Das Bizarre und Abenteuer¬ liche bildet ebensowohl den Grundzug ihrer Kunstindustrie wie den ihrer Kunst. In allen ihren Bestrebungen, wie sie sich in einem charakteristischen Gesammt- bilde auf dem Marsfelde wiederspiegeln, liegt etwas assyrisches, babylonisches, wenn wir damit das unheimliche, sonderbare, das unästhetisch kolossale bezeichnen wollen. Die beiden Eingangsportale der Kunsthalle gegenüber dem Pavillon der Stadt Paris, der, wie schon früher erwähnt, gerade im Zentrum der Kunst¬ abtheilung liegt, sind in ihrer ganzen riesenhaften Höhe mit Terrakottaplatten bekleidet. Die Architekturtheile, Böge», Gesimse und Architrave sind ebenfalls aus diesem Stoffe gebildet. Doch wird diese ungeheuerliche Leistung noch durch ein kolossales zwölf Fuß hohes und fünfunddreißig Fuß breites Gemälde übertroffen, das eine Jagd darstellt und an einer der äußeren Wände der Kunsthalle im Freien angebracht ist, um dort seine Wetterfestigkeit zu erproben. Dieses Riesenbild, das aus dem Atelier von Groll und Morterean stammt, ist aus ca. 1500 einzelnen Platten zusammengesetzt. Doch kehren wir wieder zu den Engländern zurück. Das Prachtstück der Wedgwoodausstellung ist ein Schrank aus Eichenholz mit Glasthüren, dessen Felder mit hellblauen, stumpf abgetöntem Platten — xl^ciuss Ah Mxs ö, kennt mat genannt — belegt sind, aus denen sich weiße Basreliefs mit Szenen aus Chaucer, Milton und Shakespeare heben. Diese matte Faience ist eine Spezialität der Wedgwood. Wir finden sie in schwarz, olivengrün, hellblau und lichtgrau, in einem stumpfen Tone von eigenthümlicher Zartheit und Noblesse. Berühmte etruskische und altgriechische Vasen der Londoner Museen z. B. die Portlandvase, die xiöos als rösiswucs aller eng¬ lischen Pozellanfabrikanten, sind in dieser Masse kopirt. Die bildlichen Dar¬ stellungen sind in sehr sorgfältig und zart ausgeführten, weißen Basreliefs auf¬ getragen. Bei diesen Gefäßen verbindet sich der Adel der tektonischen Form mit der Grazie der Zeichnung und dem Farbentone zu einer vollkommenen Harmonie, während bei andern Imitationen, besonders wo nach indischen Mrfiizbvten IN. 1878, 4S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/361>, abgerufen am 22.07.2024.