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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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und chinesischen Vorbildern gearbeitet wurde, der gute Geschmack nicht immer
das erste Wort geführt hat.

Ja, der gute Geschmack! Ich bin weit entfernt, an die Beurtheilung der
modernen Kunstindustrie mit so strengen Anschauungen und Stilbegriffen heran¬
zutreten, wie sie Jakob Falke mit scharfer Logik und eindringlicher Beredsam¬
keit vertritt. Seitdem unsre Kunstindustrie von Japan einerseits, von der Kunst
des Rokokozeitalters andrerseits ein neues mot Ä'oräriz erhalten hat, glaubt
sie das Recht zu haben, über alle Barrieren hinwegzusetzen, welche der gute
Geschmack, der gesunde Menschenverstand gezogen haben. So lange ihre
Extravaganzen von Phantasie und Esprit unterstützt werden, mögen sie passiren.
Wo aber die Dummheit sich allein in nackter Gestalt präsentirt, hört die Tole¬
ranz auf. In der französischen Abtheilung, Sektion Mobiliar, steht ein elegantes
Sopha s, la. Louis XV., dessen Sitz mit einem großen Gemälde geziert ist,
welches einen von Bäumen eingeschlossenen Teich darstellt! Ebensowenig wie
ich mich gern ins Wasser setze, will ich von einem Teller speisen, auf den der
Porzellanmaler herbstlich gefärbte Blätter in absichtlichen Wirrwarr gestreut
hat, gelbe häßliche Blätter, die verschrumpft und zusammengerollt sind, als
hätte sich eine Raupe oder ein anderes Gewürm darin verkrochen. Ein solches
angenehmes Service findet sich in der Wedgwood-Ausstellung, die ueben den
herrlichsten Servicen von sogen. Elfenbeinpvrzellan, neben entzückenden Jardi-
niereu und Gartentischen noch andere Geschmacklosigkeiten aufzuweisen hat.
In T. Allen besitzt die Firma übrigens einen Porzellanmaler der mit den
ersten seines Fachs, mit Solon und Anker, konkurriren kann,

Jene Geschmacklosigkeiten sind jedoch immer noch erträglich neben dem
unseligen Irrthum, der manche englischen Fabrikanten in Bezug auf den Cha¬
rakter ihres Arbeitsmaterials beseelt. Die Terrakotta ist und bleibt ein Material,
das, wenn es dekorativen Zwecken dienen soll, nur in bescheidenen Dimensionen
auftreten darf. Schon jene oben erwähnten, kolossalen Fontänen gingen über
die Grenzen des Stoffs hinaus. Vollends aber eine Anzahl plastischer Thier-
Gruppen, deuen so sehr alles Leben mangelt, daß sie wie ausgestopft aussehen:
ein Affe, der auf einer Schilkröte reitet, aus Porzellan in naturgroße, ein paar
riesige Störche, Hunde und nun gar eine Gruppe vou drei riesigen bengalischen
Tigern!

In die Kategorie solcher Ungeheuerlichkeiten, über welche selbst der tole¬
ranteste Geschmack uicht hinwegkann, gehört auch ein weißer Teller von Daniel
und Sons. Obwohl dieser Teller mit einem goldnen Rande eingefaßt ist,
wächst über diesen Rand ein plastisch dargestellter Erdbeerenstrauß hinüber.
Ein Saueenlöffel, dessen Kelle im Innern ganz dicht mit grünen Blättern
bemalt ist, ist ebenfalls ein solcher Unsinn, den wir nicht verschweigen "vollen,


und chinesischen Vorbildern gearbeitet wurde, der gute Geschmack nicht immer
das erste Wort geführt hat.

Ja, der gute Geschmack! Ich bin weit entfernt, an die Beurtheilung der
modernen Kunstindustrie mit so strengen Anschauungen und Stilbegriffen heran¬
zutreten, wie sie Jakob Falke mit scharfer Logik und eindringlicher Beredsam¬
keit vertritt. Seitdem unsre Kunstindustrie von Japan einerseits, von der Kunst
des Rokokozeitalters andrerseits ein neues mot Ä'oräriz erhalten hat, glaubt
sie das Recht zu haben, über alle Barrieren hinwegzusetzen, welche der gute
Geschmack, der gesunde Menschenverstand gezogen haben. So lange ihre
Extravaganzen von Phantasie und Esprit unterstützt werden, mögen sie passiren.
Wo aber die Dummheit sich allein in nackter Gestalt präsentirt, hört die Tole¬
ranz auf. In der französischen Abtheilung, Sektion Mobiliar, steht ein elegantes
Sopha s, la. Louis XV., dessen Sitz mit einem großen Gemälde geziert ist,
welches einen von Bäumen eingeschlossenen Teich darstellt! Ebensowenig wie
ich mich gern ins Wasser setze, will ich von einem Teller speisen, auf den der
Porzellanmaler herbstlich gefärbte Blätter in absichtlichen Wirrwarr gestreut
hat, gelbe häßliche Blätter, die verschrumpft und zusammengerollt sind, als
hätte sich eine Raupe oder ein anderes Gewürm darin verkrochen. Ein solches
angenehmes Service findet sich in der Wedgwood-Ausstellung, die ueben den
herrlichsten Servicen von sogen. Elfenbeinpvrzellan, neben entzückenden Jardi-
niereu und Gartentischen noch andere Geschmacklosigkeiten aufzuweisen hat.
In T. Allen besitzt die Firma übrigens einen Porzellanmaler der mit den
ersten seines Fachs, mit Solon und Anker, konkurriren kann,

Jene Geschmacklosigkeiten sind jedoch immer noch erträglich neben dem
unseligen Irrthum, der manche englischen Fabrikanten in Bezug auf den Cha¬
rakter ihres Arbeitsmaterials beseelt. Die Terrakotta ist und bleibt ein Material,
das, wenn es dekorativen Zwecken dienen soll, nur in bescheidenen Dimensionen
auftreten darf. Schon jene oben erwähnten, kolossalen Fontänen gingen über
die Grenzen des Stoffs hinaus. Vollends aber eine Anzahl plastischer Thier-
Gruppen, deuen so sehr alles Leben mangelt, daß sie wie ausgestopft aussehen:
ein Affe, der auf einer Schilkröte reitet, aus Porzellan in naturgroße, ein paar
riesige Störche, Hunde und nun gar eine Gruppe vou drei riesigen bengalischen
Tigern!

In die Kategorie solcher Ungeheuerlichkeiten, über welche selbst der tole¬
ranteste Geschmack uicht hinwegkann, gehört auch ein weißer Teller von Daniel
und Sons. Obwohl dieser Teller mit einem goldnen Rande eingefaßt ist,
wächst über diesen Rand ein plastisch dargestellter Erdbeerenstrauß hinüber.
Ein Saueenlöffel, dessen Kelle im Innern ganz dicht mit grünen Blättern
bemalt ist, ist ebenfalls ein solcher Unsinn, den wir nicht verschweigen »vollen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/362>, abgerufen am 22.07.2024.