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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Vorschlag Hannibal's, die Gefangenen auszutauschen, beziehentlich loszukaufen
zurückwies. Zu derselben Zeit also, da Rom zu seiner Vertheidigung Sklaven
bewaffnete, überantwortete es Tausende von freigeborenen Bürgern, die Söhne
und Brüder der Zurückgebliebenen, die in offener Feldschlacht ihr Leben ein¬
gesetzt hatten und mit den Waffen in der Hand gefangen worden waren, dem
Schicksal, auf den Sklavenmärkten von Karthago und Utica verkauft und zur
Feldarbeit nnter der afrikanischen Sonne abgeführt zu werden. Diese Härte
erscheint um so ungerechter und erschreckender als die Auslösung der Gefan¬
genen im ersten punischen Kriege unbeanstandet stattgefunden hatte. Aber
jetzt war der altrömische Trotz in seiner herbsten Form anf's Neue zum Durch¬
bruch gekommen, und man wollte nichts wissen von Bürgern, die es vorzögen,
sich zu ergeben, statt zu sterben.

Hannibal's Heer zählte nach der Schlacht bei Carnac noch ungefähr
44,000 Mann. Unzweifelhaft war es möglich, ohne namhaften Widerstand zu
finden, durch das Gebirgsland von Samnium geradenwegs nach Rom vorzu¬
dringen. Die 40 Meilen konnten in 10 bis 12 Tagen zurückgelegt werden.
Seine Getreuen riethen dem Hannibal dringend zu diesem Schritt. Er that
ihn nicht. Polybios schweigt über die Gründe, welche den großen Karthager
zurückhielten; sie lassen sich indeß sehr wohl erkennen. Ueberrnmpeln konnte
man Rom auf keinen Fall; zu alleu Zeiten ist das Gerücht des Unglücks
schneller gewesen als der Sieger. Die Hauptstadt aber war sturmfrei befestigt,
zur Vertheidigung ihrer Mauern jedermann verpflichtet, und zu einer regel¬
mäßigen Belagerung war Hannibal zu schwach. Nicht einmal zur Einschlie¬
ßung hätte sein Heer ausgereicht; für die Durchführung eines formellen An¬
griffs fehlte es ihm völlig an Kriegsmaschinen. Mehr noch als alle diese
Momente wirkte bei Hannibal indeß wohl die Konsequenz, mit welcher er an
seinem ursprünglichen Plane festhielt. Jetzt war der ersehnte Augenblick ge¬
kommen, Italien zum Abfall zu bringen, und gelang es dann, sich durch Er¬
oberung der Küsten- und Hafenstädte immer fester zu setzen auf der Halbinsel
und Rom in fernerem Kriege derart zu schwächen, daß es außer Stande war,
das freie Feld zu halten, dann konnte der Angriff auf die Hauptstadt mit Er¬
folg unternommen werden. Offenbar kam es Hannibal weniger darauf an,
Rom über den Haufen zu rennen, als Süditalien zu gewinnen und durch dessen
Besitz Rom für Karthago dauernd unschädlich zu machen.

In der That erschütterte der Sieg von Carnac die römische Eidge¬
nossenschaft; doch bei weitem nicht in dem Maße wie Hannibal es erwartet
hatte. Nur Apulien, das südliche Samnium, Bruttium und endlich das reiche
und mächtige Capua, das im Stande war, 4000 Reiter und 30,000 Mann zu
Fuß zu stellen, fielen ab von Rom. Allerdings gelangten die Punier dadurch


Vorschlag Hannibal's, die Gefangenen auszutauschen, beziehentlich loszukaufen
zurückwies. Zu derselben Zeit also, da Rom zu seiner Vertheidigung Sklaven
bewaffnete, überantwortete es Tausende von freigeborenen Bürgern, die Söhne
und Brüder der Zurückgebliebenen, die in offener Feldschlacht ihr Leben ein¬
gesetzt hatten und mit den Waffen in der Hand gefangen worden waren, dem
Schicksal, auf den Sklavenmärkten von Karthago und Utica verkauft und zur
Feldarbeit nnter der afrikanischen Sonne abgeführt zu werden. Diese Härte
erscheint um so ungerechter und erschreckender als die Auslösung der Gefan¬
genen im ersten punischen Kriege unbeanstandet stattgefunden hatte. Aber
jetzt war der altrömische Trotz in seiner herbsten Form anf's Neue zum Durch¬
bruch gekommen, und man wollte nichts wissen von Bürgern, die es vorzögen,
sich zu ergeben, statt zu sterben.

Hannibal's Heer zählte nach der Schlacht bei Carnac noch ungefähr
44,000 Mann. Unzweifelhaft war es möglich, ohne namhaften Widerstand zu
finden, durch das Gebirgsland von Samnium geradenwegs nach Rom vorzu¬
dringen. Die 40 Meilen konnten in 10 bis 12 Tagen zurückgelegt werden.
Seine Getreuen riethen dem Hannibal dringend zu diesem Schritt. Er that
ihn nicht. Polybios schweigt über die Gründe, welche den großen Karthager
zurückhielten; sie lassen sich indeß sehr wohl erkennen. Ueberrnmpeln konnte
man Rom auf keinen Fall; zu alleu Zeiten ist das Gerücht des Unglücks
schneller gewesen als der Sieger. Die Hauptstadt aber war sturmfrei befestigt,
zur Vertheidigung ihrer Mauern jedermann verpflichtet, und zu einer regel¬
mäßigen Belagerung war Hannibal zu schwach. Nicht einmal zur Einschlie¬
ßung hätte sein Heer ausgereicht; für die Durchführung eines formellen An¬
griffs fehlte es ihm völlig an Kriegsmaschinen. Mehr noch als alle diese
Momente wirkte bei Hannibal indeß wohl die Konsequenz, mit welcher er an
seinem ursprünglichen Plane festhielt. Jetzt war der ersehnte Augenblick ge¬
kommen, Italien zum Abfall zu bringen, und gelang es dann, sich durch Er¬
oberung der Küsten- und Hafenstädte immer fester zu setzen auf der Halbinsel
und Rom in fernerem Kriege derart zu schwächen, daß es außer Stande war,
das freie Feld zu halten, dann konnte der Angriff auf die Hauptstadt mit Er¬
folg unternommen werden. Offenbar kam es Hannibal weniger darauf an,
Rom über den Haufen zu rennen, als Süditalien zu gewinnen und durch dessen
Besitz Rom für Karthago dauernd unschädlich zu machen.

In der That erschütterte der Sieg von Carnac die römische Eidge¬
nossenschaft; doch bei weitem nicht in dem Maße wie Hannibal es erwartet
hatte. Nur Apulien, das südliche Samnium, Bruttium und endlich das reiche
und mächtige Capua, das im Stande war, 4000 Reiter und 30,000 Mann zu
Fuß zu stellen, fielen ab von Rom. Allerdings gelangten die Punier dadurch


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[0318] Vorschlag Hannibal's, die Gefangenen auszutauschen, beziehentlich loszukaufen zurückwies. Zu derselben Zeit also, da Rom zu seiner Vertheidigung Sklaven bewaffnete, überantwortete es Tausende von freigeborenen Bürgern, die Söhne und Brüder der Zurückgebliebenen, die in offener Feldschlacht ihr Leben ein¬ gesetzt hatten und mit den Waffen in der Hand gefangen worden waren, dem Schicksal, auf den Sklavenmärkten von Karthago und Utica verkauft und zur Feldarbeit nnter der afrikanischen Sonne abgeführt zu werden. Diese Härte erscheint um so ungerechter und erschreckender als die Auslösung der Gefan¬ genen im ersten punischen Kriege unbeanstandet stattgefunden hatte. Aber jetzt war der altrömische Trotz in seiner herbsten Form anf's Neue zum Durch¬ bruch gekommen, und man wollte nichts wissen von Bürgern, die es vorzögen, sich zu ergeben, statt zu sterben. Hannibal's Heer zählte nach der Schlacht bei Carnac noch ungefähr 44,000 Mann. Unzweifelhaft war es möglich, ohne namhaften Widerstand zu finden, durch das Gebirgsland von Samnium geradenwegs nach Rom vorzu¬ dringen. Die 40 Meilen konnten in 10 bis 12 Tagen zurückgelegt werden. Seine Getreuen riethen dem Hannibal dringend zu diesem Schritt. Er that ihn nicht. Polybios schweigt über die Gründe, welche den großen Karthager zurückhielten; sie lassen sich indeß sehr wohl erkennen. Ueberrnmpeln konnte man Rom auf keinen Fall; zu alleu Zeiten ist das Gerücht des Unglücks schneller gewesen als der Sieger. Die Hauptstadt aber war sturmfrei befestigt, zur Vertheidigung ihrer Mauern jedermann verpflichtet, und zu einer regel¬ mäßigen Belagerung war Hannibal zu schwach. Nicht einmal zur Einschlie¬ ßung hätte sein Heer ausgereicht; für die Durchführung eines formellen An¬ griffs fehlte es ihm völlig an Kriegsmaschinen. Mehr noch als alle diese Momente wirkte bei Hannibal indeß wohl die Konsequenz, mit welcher er an seinem ursprünglichen Plane festhielt. Jetzt war der ersehnte Augenblick ge¬ kommen, Italien zum Abfall zu bringen, und gelang es dann, sich durch Er¬ oberung der Küsten- und Hafenstädte immer fester zu setzen auf der Halbinsel und Rom in fernerem Kriege derart zu schwächen, daß es außer Stande war, das freie Feld zu halten, dann konnte der Angriff auf die Hauptstadt mit Er¬ folg unternommen werden. Offenbar kam es Hannibal weniger darauf an, Rom über den Haufen zu rennen, als Süditalien zu gewinnen und durch dessen Besitz Rom für Karthago dauernd unschädlich zu machen. In der That erschütterte der Sieg von Carnac die römische Eidge¬ nossenschaft; doch bei weitem nicht in dem Maße wie Hannibal es erwartet hatte. Nur Apulien, das südliche Samnium, Bruttium und endlich das reiche und mächtige Capua, das im Stande war, 4000 Reiter und 30,000 Mann zu Fuß zu stellen, fielen ab von Rom. Allerdings gelangten die Punier dadurch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/318>, abgerufen am 22.07.2024.