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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Schon vor dem zweiten finnischen Kriege hatte die anwachsende Menge
der ärmeren Bevölkerung und die Nothwendigkeit, diese zum Kriegsdienste her¬
anzuziehen, dazu geführt, daß man als niedrigsten Census, statt der 11,000
Asse des Servius Tullius, deren nur 4000 ansetzte.*) Damit glaubte man
allen denkbaren Eventualitäten gewachsen zu sein. Vor neun Jahren
zur Zeit des Gallierkrieges war ja auch die wnffensähige Mannschaft
Rom's und feiner Bundesgenossen auf 800,000 Mann geschätzt worden.
Es schien das eine unerschöpfliche Macht. Kaum aber hatte der hanniba-
lische Krieg zwei Jahre gedauert, so ward es schon als eine Schwierig¬
keit empfunden, die Lücken zu schließen, die er gerissen hatte. Ganz abge¬
sehen von den großen Einbußen durch Krankheit und Erschöpfung, so waren
allein an Todten und Gefangenen seit dem Kampfe am Ticinus 120,000 Mann
verloren. Dieser Verlust traf die römischen Bürger härter als die Bundes-
genossen, weil Hannibal die Gefangenen, welche zu letzteren gehörten, frei ließ.
Wenn diese Leute dann anch vielleicht nicht wieder eingestellt wurden, worüber
mau nichts weiß, so blieben sie doch immer der bürgerlichen Arbeit erhalten.
Dies aber war von großer Bedeutung; denn Waffenfähige sind im Großen
und Ganzen gleichbedeutend mit Arbeitsfähigen, und auf der Arbeit beruht die
Möglichkeit der Existenz. War nun ein Sechstel der Arbeitskräfte Italien's
binnen 2 Jahren hingerafft, stand ferner ungefähr ein Zwölftel zur Fortsetzung
des Krieges im Dienst, so waren drei Zwölftel, also ein Viertel der Arbeits¬
fähigen, der produktiven Thätigkeit entzogen. Es ist das in der That eine sehr
große Leistung, die sich indessen durch das Vorhandensein der Sklaven, deren
Zahl wenigstens in den wohlhabenden Städten schon bedeutend war, voll¬
kommen erklärt. Immerhin war der Diktator Junius, um 4 neue Legionen
und 1000 Reiter aufzustellen, doch schon genöthigt, auf die jüngste Altersklasse
zurückzugehn und die Mannschaften vom 17. Jahre an einzureihen; ja er ging
darüber hinaus und nahm sogar als Freiwillige Knaben an, welche die toM
xrastöxtÄ noch nicht mit der to^g. virilis vertauscht hatten. Mehr als 4
Bürgerlegivnen aufzustellen, vermochte trotzdem Rom jetzt nicht; aber es be¬
dürfte einer größeren Truppenzahl, und so sah es sich gezwungen, die Sklaven
zu bewaffnen. Man wählte 8000 der tüchtigsten und bereitwilligsten aus; der
Staat kaufte sie den Herren ab und schickte sie mit der Aussicht auf Frei¬
lassung bei tapferem Verhalten neben den Legionen der römischen Vollbürger
und Bundesgenossen in's Feld.

Die volle und eigenthümliche Bedeutung dieses wichtigen Schrittes tritt
am stärksten hervor, wenn man sich vergegenwärtigt, daß gleichzeitig Rom den



*) Polyb. 6, 19, 2. -- Er giebt 400 Drachmen an; das sind 4000 As.

Schon vor dem zweiten finnischen Kriege hatte die anwachsende Menge
der ärmeren Bevölkerung und die Nothwendigkeit, diese zum Kriegsdienste her¬
anzuziehen, dazu geführt, daß man als niedrigsten Census, statt der 11,000
Asse des Servius Tullius, deren nur 4000 ansetzte.*) Damit glaubte man
allen denkbaren Eventualitäten gewachsen zu sein. Vor neun Jahren
zur Zeit des Gallierkrieges war ja auch die wnffensähige Mannschaft
Rom's und feiner Bundesgenossen auf 800,000 Mann geschätzt worden.
Es schien das eine unerschöpfliche Macht. Kaum aber hatte der hanniba-
lische Krieg zwei Jahre gedauert, so ward es schon als eine Schwierig¬
keit empfunden, die Lücken zu schließen, die er gerissen hatte. Ganz abge¬
sehen von den großen Einbußen durch Krankheit und Erschöpfung, so waren
allein an Todten und Gefangenen seit dem Kampfe am Ticinus 120,000 Mann
verloren. Dieser Verlust traf die römischen Bürger härter als die Bundes-
genossen, weil Hannibal die Gefangenen, welche zu letzteren gehörten, frei ließ.
Wenn diese Leute dann anch vielleicht nicht wieder eingestellt wurden, worüber
mau nichts weiß, so blieben sie doch immer der bürgerlichen Arbeit erhalten.
Dies aber war von großer Bedeutung; denn Waffenfähige sind im Großen
und Ganzen gleichbedeutend mit Arbeitsfähigen, und auf der Arbeit beruht die
Möglichkeit der Existenz. War nun ein Sechstel der Arbeitskräfte Italien's
binnen 2 Jahren hingerafft, stand ferner ungefähr ein Zwölftel zur Fortsetzung
des Krieges im Dienst, so waren drei Zwölftel, also ein Viertel der Arbeits¬
fähigen, der produktiven Thätigkeit entzogen. Es ist das in der That eine sehr
große Leistung, die sich indessen durch das Vorhandensein der Sklaven, deren
Zahl wenigstens in den wohlhabenden Städten schon bedeutend war, voll¬
kommen erklärt. Immerhin war der Diktator Junius, um 4 neue Legionen
und 1000 Reiter aufzustellen, doch schon genöthigt, auf die jüngste Altersklasse
zurückzugehn und die Mannschaften vom 17. Jahre an einzureihen; ja er ging
darüber hinaus und nahm sogar als Freiwillige Knaben an, welche die toM
xrastöxtÄ noch nicht mit der to^g. virilis vertauscht hatten. Mehr als 4
Bürgerlegivnen aufzustellen, vermochte trotzdem Rom jetzt nicht; aber es be¬
dürfte einer größeren Truppenzahl, und so sah es sich gezwungen, die Sklaven
zu bewaffnen. Man wählte 8000 der tüchtigsten und bereitwilligsten aus; der
Staat kaufte sie den Herren ab und schickte sie mit der Aussicht auf Frei¬
lassung bei tapferem Verhalten neben den Legionen der römischen Vollbürger
und Bundesgenossen in's Feld.

Die volle und eigenthümliche Bedeutung dieses wichtigen Schrittes tritt
am stärksten hervor, wenn man sich vergegenwärtigt, daß gleichzeitig Rom den



*) Polyb. 6, 19, 2. — Er giebt 400 Drachmen an; das sind 4000 As.
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[0317] Schon vor dem zweiten finnischen Kriege hatte die anwachsende Menge der ärmeren Bevölkerung und die Nothwendigkeit, diese zum Kriegsdienste her¬ anzuziehen, dazu geführt, daß man als niedrigsten Census, statt der 11,000 Asse des Servius Tullius, deren nur 4000 ansetzte.*) Damit glaubte man allen denkbaren Eventualitäten gewachsen zu sein. Vor neun Jahren zur Zeit des Gallierkrieges war ja auch die wnffensähige Mannschaft Rom's und feiner Bundesgenossen auf 800,000 Mann geschätzt worden. Es schien das eine unerschöpfliche Macht. Kaum aber hatte der hanniba- lische Krieg zwei Jahre gedauert, so ward es schon als eine Schwierig¬ keit empfunden, die Lücken zu schließen, die er gerissen hatte. Ganz abge¬ sehen von den großen Einbußen durch Krankheit und Erschöpfung, so waren allein an Todten und Gefangenen seit dem Kampfe am Ticinus 120,000 Mann verloren. Dieser Verlust traf die römischen Bürger härter als die Bundes- genossen, weil Hannibal die Gefangenen, welche zu letzteren gehörten, frei ließ. Wenn diese Leute dann anch vielleicht nicht wieder eingestellt wurden, worüber mau nichts weiß, so blieben sie doch immer der bürgerlichen Arbeit erhalten. Dies aber war von großer Bedeutung; denn Waffenfähige sind im Großen und Ganzen gleichbedeutend mit Arbeitsfähigen, und auf der Arbeit beruht die Möglichkeit der Existenz. War nun ein Sechstel der Arbeitskräfte Italien's binnen 2 Jahren hingerafft, stand ferner ungefähr ein Zwölftel zur Fortsetzung des Krieges im Dienst, so waren drei Zwölftel, also ein Viertel der Arbeits¬ fähigen, der produktiven Thätigkeit entzogen. Es ist das in der That eine sehr große Leistung, die sich indessen durch das Vorhandensein der Sklaven, deren Zahl wenigstens in den wohlhabenden Städten schon bedeutend war, voll¬ kommen erklärt. Immerhin war der Diktator Junius, um 4 neue Legionen und 1000 Reiter aufzustellen, doch schon genöthigt, auf die jüngste Altersklasse zurückzugehn und die Mannschaften vom 17. Jahre an einzureihen; ja er ging darüber hinaus und nahm sogar als Freiwillige Knaben an, welche die toM xrastöxtÄ noch nicht mit der to^g. virilis vertauscht hatten. Mehr als 4 Bürgerlegivnen aufzustellen, vermochte trotzdem Rom jetzt nicht; aber es be¬ dürfte einer größeren Truppenzahl, und so sah es sich gezwungen, die Sklaven zu bewaffnen. Man wählte 8000 der tüchtigsten und bereitwilligsten aus; der Staat kaufte sie den Herren ab und schickte sie mit der Aussicht auf Frei¬ lassung bei tapferem Verhalten neben den Legionen der römischen Vollbürger und Bundesgenossen in's Feld. Die volle und eigenthümliche Bedeutung dieses wichtigen Schrittes tritt am stärksten hervor, wenn man sich vergegenwärtigt, daß gleichzeitig Rom den *) Polyb. 6, 19, 2. — Er giebt 400 Drachmen an; das sind 4000 As.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/317>, abgerufen am 22.07.2024.