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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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erhoben worden. Sein Untergang am trasimenischen See gab der Aristokratie
gewonnenes Spiel. Aber gegen den Feldherrn ihrer Partei, gegen Fabius,
hatte sich seines Zauderns wegen bald eine zahlreiche Gegnerschaft erhoben,
welche unter des Varro Führung sogar vorübergehend die Theilung der Dik¬
tatur durchsetzte. Dieser Varro, eines Fleischers Sohn, wurde nun vom Volke
zum Konsul gewählt. Neben ihm vertrat ein in den illyrischen Kämpfen be¬
währter tüchtiger Krieger, Aemilius Paullus, die Grundsätze des Adels.

Der Senat beschloß, den 4 Legionen des folgenden Jahres 4 neue hinzu¬
zufügen und jede Legion statt der gewöhnlichen Stärke von 4200 Mann zu
Fuß und 200 Reitern in der von 5000 Mann zu Fuß und 300 Reitern auf¬
zustellen. So wurde das römische Heer, einschließlich der Bundesgenossen, auf
80,000 Fußgänger und 6000 Reiter gebracht -- eine bisher nie dagewesene
Stärke, die aber auch nothwendig machte, nun schnell zuzuschlagen; denn eine
Masse von fast 90,000 Mann konnte nur mit großer Mühe im Felde verpflegt
werden, besonders in dem ganz ausgesogenen Apulien.

Die beiden Konsuln konnten sich über den Plan zur Schlacht nicht ver¬
einigen. Der geschulte Aemilius wollten den Kampf in der Ebene vermeiden,
wegen der überlegenen Reiterei der Punier; der ungestüme Varro drängte
zum Angriff. Noch immer bestand die alte üble Einrichtung des täglichen
Wechsels im Oberbefehl. Auf sie gestützt engagirte Varro das Heer und erlitt
die ungeheuere Niederlage von Carnac.

Der Tag von Carnac war ein furchtbarer Schlag für Rom. Unter den
Gefallenen befanden sich der Konsul Aemilius Paullus, zwei Quästvren und
80 Senatoren. Von den 48 Militärtribunen, welche zu den 8 Legionen ge¬
hörten, hatten sich 27 gere-edel. Ebenso war Varro mit 70 Reitern entkommen.
Wie sinnbetänbend aber auch die Niederlage ans das römische Volk wirkte, der
Senat trat der Verzweiflung in straffer Haltung entgegen. Von der Flotte,
welche bei Ostia lag und gegen eine karthagische Bedrohung Sizilien's bestimmt
war, wurde eine Legion nach Campanien geschickt; Marcellus übernahm den
Befehl über die Trümmer des cannensischen Heeres; Varro wurde aufgefordert,
nach Rom zurückzukehren. Die römischen Geschichtsschreiber erzählen mit Stolz,
wie aller Parteizwist in der gegenwärtigen Gefahr des Vaterlandes begraben
ward und wie der Senat sogar dem geschlagenen Feldherrn, dem verhaßten
dorao novus, entgegenging und ihm dankte, daß er an der Rettung der Re¬
publik nicht verzweifelt, sondern sich gerettet habe. Varro kehrte übrigens so¬
gleich auf den Kriegsschauplatz zurück, nachdem er auf Verlangen des Senats
einen Diktator ernannt. Dieser, Junius Pisal, schritt nun zur Aushebung von
neuen Legionen.'


erhoben worden. Sein Untergang am trasimenischen See gab der Aristokratie
gewonnenes Spiel. Aber gegen den Feldherrn ihrer Partei, gegen Fabius,
hatte sich seines Zauderns wegen bald eine zahlreiche Gegnerschaft erhoben,
welche unter des Varro Führung sogar vorübergehend die Theilung der Dik¬
tatur durchsetzte. Dieser Varro, eines Fleischers Sohn, wurde nun vom Volke
zum Konsul gewählt. Neben ihm vertrat ein in den illyrischen Kämpfen be¬
währter tüchtiger Krieger, Aemilius Paullus, die Grundsätze des Adels.

Der Senat beschloß, den 4 Legionen des folgenden Jahres 4 neue hinzu¬
zufügen und jede Legion statt der gewöhnlichen Stärke von 4200 Mann zu
Fuß und 200 Reitern in der von 5000 Mann zu Fuß und 300 Reitern auf¬
zustellen. So wurde das römische Heer, einschließlich der Bundesgenossen, auf
80,000 Fußgänger und 6000 Reiter gebracht — eine bisher nie dagewesene
Stärke, die aber auch nothwendig machte, nun schnell zuzuschlagen; denn eine
Masse von fast 90,000 Mann konnte nur mit großer Mühe im Felde verpflegt
werden, besonders in dem ganz ausgesogenen Apulien.

Die beiden Konsuln konnten sich über den Plan zur Schlacht nicht ver¬
einigen. Der geschulte Aemilius wollten den Kampf in der Ebene vermeiden,
wegen der überlegenen Reiterei der Punier; der ungestüme Varro drängte
zum Angriff. Noch immer bestand die alte üble Einrichtung des täglichen
Wechsels im Oberbefehl. Auf sie gestützt engagirte Varro das Heer und erlitt
die ungeheuere Niederlage von Carnac.

Der Tag von Carnac war ein furchtbarer Schlag für Rom. Unter den
Gefallenen befanden sich der Konsul Aemilius Paullus, zwei Quästvren und
80 Senatoren. Von den 48 Militärtribunen, welche zu den 8 Legionen ge¬
hörten, hatten sich 27 gere-edel. Ebenso war Varro mit 70 Reitern entkommen.
Wie sinnbetänbend aber auch die Niederlage ans das römische Volk wirkte, der
Senat trat der Verzweiflung in straffer Haltung entgegen. Von der Flotte,
welche bei Ostia lag und gegen eine karthagische Bedrohung Sizilien's bestimmt
war, wurde eine Legion nach Campanien geschickt; Marcellus übernahm den
Befehl über die Trümmer des cannensischen Heeres; Varro wurde aufgefordert,
nach Rom zurückzukehren. Die römischen Geschichtsschreiber erzählen mit Stolz,
wie aller Parteizwist in der gegenwärtigen Gefahr des Vaterlandes begraben
ward und wie der Senat sogar dem geschlagenen Feldherrn, dem verhaßten
dorao novus, entgegenging und ihm dankte, daß er an der Rettung der Re¬
publik nicht verzweifelt, sondern sich gerettet habe. Varro kehrte übrigens so¬
gleich auf den Kriegsschauplatz zurück, nachdem er auf Verlangen des Senats
einen Diktator ernannt. Dieser, Junius Pisal, schritt nun zur Aushebung von
neuen Legionen.'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/316>, abgerufen am 22.07.2024.