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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Die unzuverlässige Haltung der Gallier war schon früh hervorgetreten, und da
sie den gehegten Erwartungen nicht entsprachen, so änderte Hannibal seine
Politik: es kam ihm nun alles darauf an, die Italer loszulösen von Rom.
Die unkriegerischen Etrusker hatten in dieser Hinsicht geringere Wichtigkeit als
besonders die sabellischen Volker, und deshalb wendete sich Hannibal jetzt an
die Küste des adriatischen Meeres. Dort erholte sich das Heer in den üppigen
Landschaften nud entschädigte sich für die unsäglichen Leiden, die es erduldet.
Zugleich aber benutzte der punische Feldherr diese Frist -- und das ist in kriegs¬
künstlerischer Beziehung höchst merkwürdig -- dazu, den Kern seines Fußvolks
römisch auszurüsten und taktisch in römischer Weise zu Schulen. Die Aus¬
rüstung geschah mit eroberten Waffen. Diese Maßregel ist ein Beweis sowohl
für die auch in den Niederlagen bewährte Tüchtigkeit des römischen Kriegs¬
wesens als für die seltene Klarheit und Freiheit von Hannibal's Auge.

Nachdem sich Hannibal's Heer nen gekräftigt, führte er es durch die Lande
der eigentlichen Jtaliker nach Apulien. Ueberall bot er seine Freundschaft an
zum Kriege gegen Rom; doch auch nicht eine Stadt öffnete ihm freiwillig die
Thore. Aechte Treue und Furcht vor der Rache Rom's mögen gleichen An¬
theil gehabt haben an diesem Verhalten; gewiß aber wirkte auch ein italisches Ge¬
meingefühl mit, nicht minder der Haß gegen die den Puniern verbündeten Erb¬
feinde, die Gallier, und endlich wohl auch die Abneigung der Occidentalen gegen
das orientalisch-semitische Wesen überhaupt.

Dies Verhalten entsprach Hannibal's Hoffnungen durchaus nicht, aber es
rechtfertigte sich dnrch die Festigkeit, welche Rom selbst an den Tag legte. Kein
Gedanke an Friede kam auf; kein einziger Mann wurde aus Spanien, Sar¬
dinien oder Sizilien zurückgezogen. Die Bundesgenossen wurden angewiesen,
wenn das punische Heer nahe, die Landschaft zu verwüsten und in die Städte
zu fliehen.

Die taktische Zuversicht der römischen Legionen zeigte sich freilich nicht so
groß wie die militärpolitische des Senates. Namentlich der Verlust der kriegs-
kundigen Tribunen und Centurionen war überaus schwer zu verschmerzen. Fabius
Maximus vermied daher die Schlacht, und in der That brachte das zurückhal¬
tende Verfahren des vielberufenen eunetÄtor den Krieg zum Stehn. Keines¬
wegs aber reichte es aus, thu zu beendigen, und mit Sorge mußte man sich
eingestehen, daß diese zaubernde Kriegführung die Treue der Bundesgenossen
denn doch auf eine allzuharte Probe stellte. Der Senat beschloß, den Krieg
nach Ablauf der Diktatur mit höchstem Kraftaufwands fortzusetzen.

Der Energie der Römer entsprach aber keineswegs ihre Einigkeit. Die
Wahl der Feldherren hing mehr wie je von der politischen Stellung der Kan¬
didaten ab. Als Führer der Demokratie war Flaminius zum Konsulat


Die unzuverlässige Haltung der Gallier war schon früh hervorgetreten, und da
sie den gehegten Erwartungen nicht entsprachen, so änderte Hannibal seine
Politik: es kam ihm nun alles darauf an, die Italer loszulösen von Rom.
Die unkriegerischen Etrusker hatten in dieser Hinsicht geringere Wichtigkeit als
besonders die sabellischen Volker, und deshalb wendete sich Hannibal jetzt an
die Küste des adriatischen Meeres. Dort erholte sich das Heer in den üppigen
Landschaften nud entschädigte sich für die unsäglichen Leiden, die es erduldet.
Zugleich aber benutzte der punische Feldherr diese Frist — und das ist in kriegs¬
künstlerischer Beziehung höchst merkwürdig — dazu, den Kern seines Fußvolks
römisch auszurüsten und taktisch in römischer Weise zu Schulen. Die Aus¬
rüstung geschah mit eroberten Waffen. Diese Maßregel ist ein Beweis sowohl
für die auch in den Niederlagen bewährte Tüchtigkeit des römischen Kriegs¬
wesens als für die seltene Klarheit und Freiheit von Hannibal's Auge.

Nachdem sich Hannibal's Heer nen gekräftigt, führte er es durch die Lande
der eigentlichen Jtaliker nach Apulien. Ueberall bot er seine Freundschaft an
zum Kriege gegen Rom; doch auch nicht eine Stadt öffnete ihm freiwillig die
Thore. Aechte Treue und Furcht vor der Rache Rom's mögen gleichen An¬
theil gehabt haben an diesem Verhalten; gewiß aber wirkte auch ein italisches Ge¬
meingefühl mit, nicht minder der Haß gegen die den Puniern verbündeten Erb¬
feinde, die Gallier, und endlich wohl auch die Abneigung der Occidentalen gegen
das orientalisch-semitische Wesen überhaupt.

Dies Verhalten entsprach Hannibal's Hoffnungen durchaus nicht, aber es
rechtfertigte sich dnrch die Festigkeit, welche Rom selbst an den Tag legte. Kein
Gedanke an Friede kam auf; kein einziger Mann wurde aus Spanien, Sar¬
dinien oder Sizilien zurückgezogen. Die Bundesgenossen wurden angewiesen,
wenn das punische Heer nahe, die Landschaft zu verwüsten und in die Städte
zu fliehen.

Die taktische Zuversicht der römischen Legionen zeigte sich freilich nicht so
groß wie die militärpolitische des Senates. Namentlich der Verlust der kriegs-
kundigen Tribunen und Centurionen war überaus schwer zu verschmerzen. Fabius
Maximus vermied daher die Schlacht, und in der That brachte das zurückhal¬
tende Verfahren des vielberufenen eunetÄtor den Krieg zum Stehn. Keines¬
wegs aber reichte es aus, thu zu beendigen, und mit Sorge mußte man sich
eingestehen, daß diese zaubernde Kriegführung die Treue der Bundesgenossen
denn doch auf eine allzuharte Probe stellte. Der Senat beschloß, den Krieg
nach Ablauf der Diktatur mit höchstem Kraftaufwands fortzusetzen.

Der Energie der Römer entsprach aber keineswegs ihre Einigkeit. Die
Wahl der Feldherren hing mehr wie je von der politischen Stellung der Kan¬
didaten ab. Als Führer der Demokratie war Flaminius zum Konsulat


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[0315] Die unzuverlässige Haltung der Gallier war schon früh hervorgetreten, und da sie den gehegten Erwartungen nicht entsprachen, so änderte Hannibal seine Politik: es kam ihm nun alles darauf an, die Italer loszulösen von Rom. Die unkriegerischen Etrusker hatten in dieser Hinsicht geringere Wichtigkeit als besonders die sabellischen Volker, und deshalb wendete sich Hannibal jetzt an die Küste des adriatischen Meeres. Dort erholte sich das Heer in den üppigen Landschaften nud entschädigte sich für die unsäglichen Leiden, die es erduldet. Zugleich aber benutzte der punische Feldherr diese Frist — und das ist in kriegs¬ künstlerischer Beziehung höchst merkwürdig — dazu, den Kern seines Fußvolks römisch auszurüsten und taktisch in römischer Weise zu Schulen. Die Aus¬ rüstung geschah mit eroberten Waffen. Diese Maßregel ist ein Beweis sowohl für die auch in den Niederlagen bewährte Tüchtigkeit des römischen Kriegs¬ wesens als für die seltene Klarheit und Freiheit von Hannibal's Auge. Nachdem sich Hannibal's Heer nen gekräftigt, führte er es durch die Lande der eigentlichen Jtaliker nach Apulien. Ueberall bot er seine Freundschaft an zum Kriege gegen Rom; doch auch nicht eine Stadt öffnete ihm freiwillig die Thore. Aechte Treue und Furcht vor der Rache Rom's mögen gleichen An¬ theil gehabt haben an diesem Verhalten; gewiß aber wirkte auch ein italisches Ge¬ meingefühl mit, nicht minder der Haß gegen die den Puniern verbündeten Erb¬ feinde, die Gallier, und endlich wohl auch die Abneigung der Occidentalen gegen das orientalisch-semitische Wesen überhaupt. Dies Verhalten entsprach Hannibal's Hoffnungen durchaus nicht, aber es rechtfertigte sich dnrch die Festigkeit, welche Rom selbst an den Tag legte. Kein Gedanke an Friede kam auf; kein einziger Mann wurde aus Spanien, Sar¬ dinien oder Sizilien zurückgezogen. Die Bundesgenossen wurden angewiesen, wenn das punische Heer nahe, die Landschaft zu verwüsten und in die Städte zu fliehen. Die taktische Zuversicht der römischen Legionen zeigte sich freilich nicht so groß wie die militärpolitische des Senates. Namentlich der Verlust der kriegs- kundigen Tribunen und Centurionen war überaus schwer zu verschmerzen. Fabius Maximus vermied daher die Schlacht, und in der That brachte das zurückhal¬ tende Verfahren des vielberufenen eunetÄtor den Krieg zum Stehn. Keines¬ wegs aber reichte es aus, thu zu beendigen, und mit Sorge mußte man sich eingestehen, daß diese zaubernde Kriegführung die Treue der Bundesgenossen denn doch auf eine allzuharte Probe stellte. Der Senat beschloß, den Krieg nach Ablauf der Diktatur mit höchstem Kraftaufwands fortzusetzen. Der Energie der Römer entsprach aber keineswegs ihre Einigkeit. Die Wahl der Feldherren hing mehr wie je von der politischen Stellung der Kan¬ didaten ab. Als Führer der Demokratie war Flaminius zum Konsulat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/315>, abgerufen am 22.07.2024.