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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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stellt wird: "Ein bürgerlicher und rechtmäßiger Handel wird von Gott gesegnet,
daß er von zwanzig Pfennigen einen hat, aber ein gottloser und unleidlicher
Gewinn im Handel wird verflucht. Wie Melchior Lotter Bnchdriicker, der aus
seinen Büchern, die ich ihm zu drucken gab, ein groß Geld gewonnen hat, daß
ein Pfennig zweene erworben. Es hat in der Erste mächtig viel getragen, also
daß Hans Grünenberger, der Drucker, mit Gewissen sagte: "Herr Doctor, es
trägt allzuviel; ich mag nicht solche Exemplaria haben." Es war ein gott-
fürchtiger Mann, darumb ward er auch von Gott gesegnet. Ein billiger Ge¬
winn ist, daß man von zwanzig Pfennigen einen habe, von hundert (zwanzig?)
Gülden einen Gülden; aber der schändliche verfluchte Geiz schreit (schreitet)
gar über die Schnur und Maß; itzt will man für einen Pfennig zweene
haben, ein Pfennig muß ihr zweene, hundert Gülden müssen zweihundert dazu
gewinnen; darumb ist auch kein Segen Gottes dabei. Wie unsern Buchführern
geschieht, die alles aufn höchsten Gewinn treiben und aufs Theuerste geben;
darumb werden sie auch nicht reich, und wenn sie gleich reich werden, so ge-
druhets (gedeihts) nicht, entweder sie oder ihre Kinder und Erben verarmen
und werden darüber zu Bettlern, kriegen einen bösen Namen zu den Exemplaren."
Leider läßt sich nicht nachweisen, aus welchen Jahren die einzelnen Tischreden
stammen, welche die Tisch genossen Luther's aufgezeichnet haben; leider ist auch
ihre Echtheit in den einzelnen Fällen nicht so über jeden Zweifel erhaben, daß
man sie immer für Luther's eigne Worte nehmen und als Quelle benutzen
könnte. Wenn Luther in späterer Zeit, vielleicht in den vierziger Jahren, sich
wirklich in so abfülliger Weise über Lotter ausgesprochen hat -- das Urtheil
verträgt sich freilich schlecht mit jenen Briefen von 1524, in denen er so warme
Fürbitte für ihn einlegt -- so konnte man zur Noth das ganze "Vergehen"
Lotter's darin erkennen, daß er seine Drucke Luther'scher Schriften sich über
alles damals übliche Maaß habe bezahlen lassen, daß die übrigen, kleineren
Drucker Wittenberg's sich deshalb beim Kurfürsten über ihn, den nicht einmal
ansässigen, beschwerten, und dieser ihm, vielleicht durch Pnvilegeutziehung, das
Handwerk legte. Dies würde also doch nur wieder auf den Brodneid seiner
Gegner hinauslaufen. Sollte dieser aber wirklich allein im Stande gewesen
sein, Lotter von dem Jahre lang gepflegten Werke zu verdrängen? Hätte
Luther das geduldet? Würde er den Neidern nicht entgegengetreten sein?
Die Thatsache, daß Luther die Verdrängung Lotter's geschehen ließ und ge¬
schehen lassen mußte, und daß er mit denen, die Lotter in seinem Werke ab¬
lösten, in Frieden und Freundschaft blieb wie bisher, ist wohl der deutlichste
Beweis, daß Lotter irgend etwas begangen haben muß, was er in seinem
Schreiben gar nicht berührt. Was es freilich gewesen sein mag? Die Quellen
-reichen zur Aufklärung der Angelegenheit nicht aus.


stellt wird: „Ein bürgerlicher und rechtmäßiger Handel wird von Gott gesegnet,
daß er von zwanzig Pfennigen einen hat, aber ein gottloser und unleidlicher
Gewinn im Handel wird verflucht. Wie Melchior Lotter Bnchdriicker, der aus
seinen Büchern, die ich ihm zu drucken gab, ein groß Geld gewonnen hat, daß
ein Pfennig zweene erworben. Es hat in der Erste mächtig viel getragen, also
daß Hans Grünenberger, der Drucker, mit Gewissen sagte: „Herr Doctor, es
trägt allzuviel; ich mag nicht solche Exemplaria haben." Es war ein gott-
fürchtiger Mann, darumb ward er auch von Gott gesegnet. Ein billiger Ge¬
winn ist, daß man von zwanzig Pfennigen einen habe, von hundert (zwanzig?)
Gülden einen Gülden; aber der schändliche verfluchte Geiz schreit (schreitet)
gar über die Schnur und Maß; itzt will man für einen Pfennig zweene
haben, ein Pfennig muß ihr zweene, hundert Gülden müssen zweihundert dazu
gewinnen; darumb ist auch kein Segen Gottes dabei. Wie unsern Buchführern
geschieht, die alles aufn höchsten Gewinn treiben und aufs Theuerste geben;
darumb werden sie auch nicht reich, und wenn sie gleich reich werden, so ge-
druhets (gedeihts) nicht, entweder sie oder ihre Kinder und Erben verarmen
und werden darüber zu Bettlern, kriegen einen bösen Namen zu den Exemplaren."
Leider läßt sich nicht nachweisen, aus welchen Jahren die einzelnen Tischreden
stammen, welche die Tisch genossen Luther's aufgezeichnet haben; leider ist auch
ihre Echtheit in den einzelnen Fällen nicht so über jeden Zweifel erhaben, daß
man sie immer für Luther's eigne Worte nehmen und als Quelle benutzen
könnte. Wenn Luther in späterer Zeit, vielleicht in den vierziger Jahren, sich
wirklich in so abfülliger Weise über Lotter ausgesprochen hat — das Urtheil
verträgt sich freilich schlecht mit jenen Briefen von 1524, in denen er so warme
Fürbitte für ihn einlegt — so konnte man zur Noth das ganze „Vergehen"
Lotter's darin erkennen, daß er seine Drucke Luther'scher Schriften sich über
alles damals übliche Maaß habe bezahlen lassen, daß die übrigen, kleineren
Drucker Wittenberg's sich deshalb beim Kurfürsten über ihn, den nicht einmal
ansässigen, beschwerten, und dieser ihm, vielleicht durch Pnvilegeutziehung, das
Handwerk legte. Dies würde also doch nur wieder auf den Brodneid seiner
Gegner hinauslaufen. Sollte dieser aber wirklich allein im Stande gewesen
sein, Lotter von dem Jahre lang gepflegten Werke zu verdrängen? Hätte
Luther das geduldet? Würde er den Neidern nicht entgegengetreten sein?
Die Thatsache, daß Luther die Verdrängung Lotter's geschehen ließ und ge¬
schehen lassen mußte, und daß er mit denen, die Lotter in seinem Werke ab¬
lösten, in Frieden und Freundschaft blieb wie bisher, ist wohl der deutlichste
Beweis, daß Lotter irgend etwas begangen haben muß, was er in seinem
Schreiben gar nicht berührt. Was es freilich gewesen sein mag? Die Quellen
-reichen zur Aufklärung der Angelegenheit nicht aus.


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[0304] stellt wird: „Ein bürgerlicher und rechtmäßiger Handel wird von Gott gesegnet, daß er von zwanzig Pfennigen einen hat, aber ein gottloser und unleidlicher Gewinn im Handel wird verflucht. Wie Melchior Lotter Bnchdriicker, der aus seinen Büchern, die ich ihm zu drucken gab, ein groß Geld gewonnen hat, daß ein Pfennig zweene erworben. Es hat in der Erste mächtig viel getragen, also daß Hans Grünenberger, der Drucker, mit Gewissen sagte: „Herr Doctor, es trägt allzuviel; ich mag nicht solche Exemplaria haben." Es war ein gott- fürchtiger Mann, darumb ward er auch von Gott gesegnet. Ein billiger Ge¬ winn ist, daß man von zwanzig Pfennigen einen habe, von hundert (zwanzig?) Gülden einen Gülden; aber der schändliche verfluchte Geiz schreit (schreitet) gar über die Schnur und Maß; itzt will man für einen Pfennig zweene haben, ein Pfennig muß ihr zweene, hundert Gülden müssen zweihundert dazu gewinnen; darumb ist auch kein Segen Gottes dabei. Wie unsern Buchführern geschieht, die alles aufn höchsten Gewinn treiben und aufs Theuerste geben; darumb werden sie auch nicht reich, und wenn sie gleich reich werden, so ge- druhets (gedeihts) nicht, entweder sie oder ihre Kinder und Erben verarmen und werden darüber zu Bettlern, kriegen einen bösen Namen zu den Exemplaren." Leider läßt sich nicht nachweisen, aus welchen Jahren die einzelnen Tischreden stammen, welche die Tisch genossen Luther's aufgezeichnet haben; leider ist auch ihre Echtheit in den einzelnen Fällen nicht so über jeden Zweifel erhaben, daß man sie immer für Luther's eigne Worte nehmen und als Quelle benutzen könnte. Wenn Luther in späterer Zeit, vielleicht in den vierziger Jahren, sich wirklich in so abfülliger Weise über Lotter ausgesprochen hat — das Urtheil verträgt sich freilich schlecht mit jenen Briefen von 1524, in denen er so warme Fürbitte für ihn einlegt — so konnte man zur Noth das ganze „Vergehen" Lotter's darin erkennen, daß er seine Drucke Luther'scher Schriften sich über alles damals übliche Maaß habe bezahlen lassen, daß die übrigen, kleineren Drucker Wittenberg's sich deshalb beim Kurfürsten über ihn, den nicht einmal ansässigen, beschwerten, und dieser ihm, vielleicht durch Pnvilegeutziehung, das Handwerk legte. Dies würde also doch nur wieder auf den Brodneid seiner Gegner hinauslaufen. Sollte dieser aber wirklich allein im Stande gewesen sein, Lotter von dem Jahre lang gepflegten Werke zu verdrängen? Hätte Luther das geduldet? Würde er den Neidern nicht entgegengetreten sein? Die Thatsache, daß Luther die Verdrängung Lotter's geschehen ließ und ge¬ schehen lassen mußte, und daß er mit denen, die Lotter in seinem Werke ab¬ lösten, in Frieden und Freundschaft blieb wie bisher, ist wohl der deutlichste Beweis, daß Lotter irgend etwas begangen haben muß, was er in seinem Schreiben gar nicht berührt. Was es freilich gewesen sein mag? Die Quellen -reichen zur Aufklärung der Angelegenheit nicht aus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/304>, abgerufen am 02.07.2024.