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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Druckerzeug mit großen Unkosten nach Wittenberg gebracht und eine neue
Druckerei hier eingerichtet und habe nicht bloß der Universität Ruhm, Lob und
Preis damit mehren, fördern und ausbreiten helfen, sondern sei anch gemeiner
Stadt zu Nutz und Frommen gewesen.

So weit die Eingabe Lotter's. Wie jeder sieht, macht sie, so beweglich
sie auch abgefaßt ist, doch nicht den Eindruck völliger Glaubwürdigkeit. Wenn
es ihm auch mit seinen Bemühungen sich in Wittenberg ansässig zu machen,
Ernst gewesen sein mag, wenn auch die Erzählung von dem Mißgeschick, das
ihn dabei verfolgt habe, auf Wahrheit beruhen mag, wenn auch das neue
Haus, das er in Leipzig bauen ließ und das den Neid feiner Wittenberger
Genossen erregte, zum größten Theil mit dem in Leipzig verdienten Gelde ge¬
baut worden sein mag -- auffällig ist unbedingt die Unklarheit, mit der er
von feinem, seiner Familie und seines Geschäftes Domizil spricht. Er schreibt
durchaus nur in seinem Namen, als ob er und niemand anders die Witten¬
berger Filiale geleitet habe, und doch ist er offenbar nur dann und wann
einmal nach Wittenberg gekommen, um die Thätigkeit seines Sohnes oder seiner
Sohne zu kontroliren. Hat er wirklich mit seiner ganzen Druckerei und seiner
ganzen Familie in Wittenberg zugebracht, so kann das nur sehr kurze Zeit
der Fall gewesen sein. Die erhaltenen Leipziger Drucke von ihm, die sich
ununterbrochen von 1520 bis 1524 verfolgen lassen, zeugen gegen ihn. Noch
zu Ostern 1524 war er sicher in Leipzig. Denn in einer vom 2. April 1524
datirten Bittschrift, in welcher 105 Leipziger Bürger beim Rathe um die An¬
stellung eines im Luther'schen Sinne predigenden Geistlichen, des Mag. Andreas
Bodenschatz, bitten, ist Lotter mit unter denen, welche die Petition unterzeichnen.
Was aber noch auffälliger ist: In den oben erwähnten Briefen Luther's an
Spalatin vom Mai und September 1524 ist von einem "Vergehen" die Rede,
das Lotter sich habe zu Schulden kommen lassen, um deswillen Spalatin für
ihn beim Kurfürsten um Gnade bitten soll und Luther selbst, wenn es noth¬
wendig sei, sich sür ihn verwenden will. Ein solches "Vergehen" berührt
Lotter in seinem Schreiben mit keiner Silbe. Er ist bemüht, alles so darzu¬
stellen, als habe er sein Unglück nnr der Verfolgungssucht seiner Neider zu
danken. Und doch muß ein Vergehen Lotter's vorgelegen haben, denn wie
wäre sonst der Widerspruch zu erklären, daß Luther, wenigstens vorläufig, nichts
mehr bei Lotter drucken ließ und doch sich bittweise für ihn verwandte? Das
erstere that er offenbar in Folge höherer Anordnung, das letztere aus mensch¬
licher Theilnahme. Aber worin mag jenes Vergehen bestanden haben?

Im vierten Theile von Luther's "Tischreden" findet sich folgende merk¬
würdige Stelle über die Gewinnsucht der Buchhändler, worin Melchior Lotter
dem ersten Wittenberger Drucker Luther's, Johannes Grünberg, gegenüberge-


Druckerzeug mit großen Unkosten nach Wittenberg gebracht und eine neue
Druckerei hier eingerichtet und habe nicht bloß der Universität Ruhm, Lob und
Preis damit mehren, fördern und ausbreiten helfen, sondern sei anch gemeiner
Stadt zu Nutz und Frommen gewesen.

So weit die Eingabe Lotter's. Wie jeder sieht, macht sie, so beweglich
sie auch abgefaßt ist, doch nicht den Eindruck völliger Glaubwürdigkeit. Wenn
es ihm auch mit seinen Bemühungen sich in Wittenberg ansässig zu machen,
Ernst gewesen sein mag, wenn auch die Erzählung von dem Mißgeschick, das
ihn dabei verfolgt habe, auf Wahrheit beruhen mag, wenn auch das neue
Haus, das er in Leipzig bauen ließ und das den Neid feiner Wittenberger
Genossen erregte, zum größten Theil mit dem in Leipzig verdienten Gelde ge¬
baut worden sein mag — auffällig ist unbedingt die Unklarheit, mit der er
von feinem, seiner Familie und seines Geschäftes Domizil spricht. Er schreibt
durchaus nur in seinem Namen, als ob er und niemand anders die Witten¬
berger Filiale geleitet habe, und doch ist er offenbar nur dann und wann
einmal nach Wittenberg gekommen, um die Thätigkeit seines Sohnes oder seiner
Sohne zu kontroliren. Hat er wirklich mit seiner ganzen Druckerei und seiner
ganzen Familie in Wittenberg zugebracht, so kann das nur sehr kurze Zeit
der Fall gewesen sein. Die erhaltenen Leipziger Drucke von ihm, die sich
ununterbrochen von 1520 bis 1524 verfolgen lassen, zeugen gegen ihn. Noch
zu Ostern 1524 war er sicher in Leipzig. Denn in einer vom 2. April 1524
datirten Bittschrift, in welcher 105 Leipziger Bürger beim Rathe um die An¬
stellung eines im Luther'schen Sinne predigenden Geistlichen, des Mag. Andreas
Bodenschatz, bitten, ist Lotter mit unter denen, welche die Petition unterzeichnen.
Was aber noch auffälliger ist: In den oben erwähnten Briefen Luther's an
Spalatin vom Mai und September 1524 ist von einem „Vergehen" die Rede,
das Lotter sich habe zu Schulden kommen lassen, um deswillen Spalatin für
ihn beim Kurfürsten um Gnade bitten soll und Luther selbst, wenn es noth¬
wendig sei, sich sür ihn verwenden will. Ein solches „Vergehen" berührt
Lotter in seinem Schreiben mit keiner Silbe. Er ist bemüht, alles so darzu¬
stellen, als habe er sein Unglück nnr der Verfolgungssucht seiner Neider zu
danken. Und doch muß ein Vergehen Lotter's vorgelegen haben, denn wie
wäre sonst der Widerspruch zu erklären, daß Luther, wenigstens vorläufig, nichts
mehr bei Lotter drucken ließ und doch sich bittweise für ihn verwandte? Das
erstere that er offenbar in Folge höherer Anordnung, das letztere aus mensch¬
licher Theilnahme. Aber worin mag jenes Vergehen bestanden haben?

Im vierten Theile von Luther's „Tischreden" findet sich folgende merk¬
würdige Stelle über die Gewinnsucht der Buchhändler, worin Melchior Lotter
dem ersten Wittenberger Drucker Luther's, Johannes Grünberg, gegenüberge-


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[0303] Druckerzeug mit großen Unkosten nach Wittenberg gebracht und eine neue Druckerei hier eingerichtet und habe nicht bloß der Universität Ruhm, Lob und Preis damit mehren, fördern und ausbreiten helfen, sondern sei anch gemeiner Stadt zu Nutz und Frommen gewesen. So weit die Eingabe Lotter's. Wie jeder sieht, macht sie, so beweglich sie auch abgefaßt ist, doch nicht den Eindruck völliger Glaubwürdigkeit. Wenn es ihm auch mit seinen Bemühungen sich in Wittenberg ansässig zu machen, Ernst gewesen sein mag, wenn auch die Erzählung von dem Mißgeschick, das ihn dabei verfolgt habe, auf Wahrheit beruhen mag, wenn auch das neue Haus, das er in Leipzig bauen ließ und das den Neid feiner Wittenberger Genossen erregte, zum größten Theil mit dem in Leipzig verdienten Gelde ge¬ baut worden sein mag — auffällig ist unbedingt die Unklarheit, mit der er von feinem, seiner Familie und seines Geschäftes Domizil spricht. Er schreibt durchaus nur in seinem Namen, als ob er und niemand anders die Witten¬ berger Filiale geleitet habe, und doch ist er offenbar nur dann und wann einmal nach Wittenberg gekommen, um die Thätigkeit seines Sohnes oder seiner Sohne zu kontroliren. Hat er wirklich mit seiner ganzen Druckerei und seiner ganzen Familie in Wittenberg zugebracht, so kann das nur sehr kurze Zeit der Fall gewesen sein. Die erhaltenen Leipziger Drucke von ihm, die sich ununterbrochen von 1520 bis 1524 verfolgen lassen, zeugen gegen ihn. Noch zu Ostern 1524 war er sicher in Leipzig. Denn in einer vom 2. April 1524 datirten Bittschrift, in welcher 105 Leipziger Bürger beim Rathe um die An¬ stellung eines im Luther'schen Sinne predigenden Geistlichen, des Mag. Andreas Bodenschatz, bitten, ist Lotter mit unter denen, welche die Petition unterzeichnen. Was aber noch auffälliger ist: In den oben erwähnten Briefen Luther's an Spalatin vom Mai und September 1524 ist von einem „Vergehen" die Rede, das Lotter sich habe zu Schulden kommen lassen, um deswillen Spalatin für ihn beim Kurfürsten um Gnade bitten soll und Luther selbst, wenn es noth¬ wendig sei, sich sür ihn verwenden will. Ein solches „Vergehen" berührt Lotter in seinem Schreiben mit keiner Silbe. Er ist bemüht, alles so darzu¬ stellen, als habe er sein Unglück nnr der Verfolgungssucht seiner Neider zu danken. Und doch muß ein Vergehen Lotter's vorgelegen haben, denn wie wäre sonst der Widerspruch zu erklären, daß Luther, wenigstens vorläufig, nichts mehr bei Lotter drucken ließ und doch sich bittweise für ihn verwandte? Das erstere that er offenbar in Folge höherer Anordnung, das letztere aus mensch¬ licher Theilnahme. Aber worin mag jenes Vergehen bestanden haben? Im vierten Theile von Luther's „Tischreden" findet sich folgende merk¬ würdige Stelle über die Gewinnsucht der Buchhändler, worin Melchior Lotter dem ersten Wittenberger Drucker Luther's, Johannes Grünberg, gegenüberge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/303>, abgerufen am 04.07.2024.