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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Sieben Jahre sitzt dort die wankelmüthige Schöne neben Salomo auf dem
Throne, als wieder ein heidnischer König in der beliebten Verkleidung eines
Pilgers an den Hof kommt, die Liebe des treulosen Weibes gewinnt und sie
mit sich fort in sein Land führt. Der Entflohenen eilt Morolt auf die drin¬
genden Bitten seines königlichen Bruders mit seinem Schiffe nach: "Das kann
bourg ergan, der Leser muß trinken hau." Durch mimische Kunst zum todsiechen,
verkrüppelten Bettler entstellt, kommt er auf einem abgetriebenen Esel zur Burg
des Verführers geritten und erfährt dort, daß Salome auf einer "Klause"
mitten im Meere, wo sie sich gegen die Listen Morolt's sicher geglaubt, ihre
Wohnung genommen hat, zu der ein unterirdischer Gang, eine Art Tunnel unter
dem Meere, von dem Palast des Geliebten hinführt. Reich beschenkt von dem
heidnischen Könige, der mit dem armen Krüppel Mitleid hat, zieht Morolt
wieder ab. Aber Salome, die durch den König von dem seltsamen Kranken
hört, vermuthet in ihm ihren listigen Schwager und sendet ihm Häscher nach.
Der aber hat sich inzwischen schon zum Pilger in grauem Mantel, mit weißem
Bart und knorrigen Wanderstock verwandelt und leitet die Verfolger in die
Irre: dann tritt er als stolzer Spielmann auf, mit "deutscher" Harfe, in roth¬
seidenen Rocke; darauf erscheint er als Metzger und Fleischhändler und ent¬
kommt endlich als Band- und Garn-Krämer an das Meer zu seinem Schifflein.
Nach Jerusalem kaum zurückgekehrt, fährt er mit 10,000 Helden in das feind¬
liche Land und fängt mit Hilfe einer "Meerminne", welche den von der Burg
zur Klause führenden Gang zerstört, den Heidenfürsten sammt dem ungetreuen
Weibe. Der Kampf, in dem ein alter Syrer, "welcher vor Troja oft das beste
gethan", die Sturmfahne führt, läßt sich anfangs für Morolt fehr gefährlich
an: "Er muß verlieren sein Leben, Man wolle dem Leser ein trinken geben."
Dann aber ist der Held siegreich und führt Salome nach Jerusalem zurück.
Diese wird wegen ihrer Treulosigkeit im Bade ermordet, Salomo aber findet
für den Verlust seines Weibes in den Armen der schönen Schwester Pharo's
hinreichenden Trost. "Hier hat das Buch ein Ende, Gott uns sein Gnade sende."

Daß Salomo der Held eines solchen Liebesromans geworden ist, darf
kaum Wunder nehmen. War doch der weise König im Punkte der Weiber nur
ein schwacher Sterblicher. Sein in der Geschichte ganz unbekannter Bruder,
der Intrigant unseres Stückes, der "listige" Morolt, darf schon eher verwun¬
derte Fragen erwecken. Der Name des Orendel und des si. Oswald haben
uns tief in die alte deutsche Heidenwelt eingeführt; "Morolt" oder "Markolf",
wie er auch heißt, würde uns, wenn wir dem Namen nachgehen wollten, viel¬
leicht einen Blick in die orientalische Göttervorstellung eröffnen. Denn neueste
Forschung (Paul und Braune, Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache
und Literatur) hat in ihm den "Markolis" der Hebräer, den von ihnen den


Sieben Jahre sitzt dort die wankelmüthige Schöne neben Salomo auf dem
Throne, als wieder ein heidnischer König in der beliebten Verkleidung eines
Pilgers an den Hof kommt, die Liebe des treulosen Weibes gewinnt und sie
mit sich fort in sein Land führt. Der Entflohenen eilt Morolt auf die drin¬
genden Bitten seines königlichen Bruders mit seinem Schiffe nach: „Das kann
bourg ergan, der Leser muß trinken hau." Durch mimische Kunst zum todsiechen,
verkrüppelten Bettler entstellt, kommt er auf einem abgetriebenen Esel zur Burg
des Verführers geritten und erfährt dort, daß Salome auf einer „Klause"
mitten im Meere, wo sie sich gegen die Listen Morolt's sicher geglaubt, ihre
Wohnung genommen hat, zu der ein unterirdischer Gang, eine Art Tunnel unter
dem Meere, von dem Palast des Geliebten hinführt. Reich beschenkt von dem
heidnischen Könige, der mit dem armen Krüppel Mitleid hat, zieht Morolt
wieder ab. Aber Salome, die durch den König von dem seltsamen Kranken
hört, vermuthet in ihm ihren listigen Schwager und sendet ihm Häscher nach.
Der aber hat sich inzwischen schon zum Pilger in grauem Mantel, mit weißem
Bart und knorrigen Wanderstock verwandelt und leitet die Verfolger in die
Irre: dann tritt er als stolzer Spielmann auf, mit „deutscher" Harfe, in roth¬
seidenen Rocke; darauf erscheint er als Metzger und Fleischhändler und ent¬
kommt endlich als Band- und Garn-Krämer an das Meer zu seinem Schifflein.
Nach Jerusalem kaum zurückgekehrt, fährt er mit 10,000 Helden in das feind¬
liche Land und fängt mit Hilfe einer „Meerminne", welche den von der Burg
zur Klause führenden Gang zerstört, den Heidenfürsten sammt dem ungetreuen
Weibe. Der Kampf, in dem ein alter Syrer, „welcher vor Troja oft das beste
gethan", die Sturmfahne führt, läßt sich anfangs für Morolt fehr gefährlich
an: „Er muß verlieren sein Leben, Man wolle dem Leser ein trinken geben."
Dann aber ist der Held siegreich und führt Salome nach Jerusalem zurück.
Diese wird wegen ihrer Treulosigkeit im Bade ermordet, Salomo aber findet
für den Verlust seines Weibes in den Armen der schönen Schwester Pharo's
hinreichenden Trost. „Hier hat das Buch ein Ende, Gott uns sein Gnade sende."

Daß Salomo der Held eines solchen Liebesromans geworden ist, darf
kaum Wunder nehmen. War doch der weise König im Punkte der Weiber nur
ein schwacher Sterblicher. Sein in der Geschichte ganz unbekannter Bruder,
der Intrigant unseres Stückes, der „listige" Morolt, darf schon eher verwun¬
derte Fragen erwecken. Der Name des Orendel und des si. Oswald haben
uns tief in die alte deutsche Heidenwelt eingeführt; „Morolt" oder „Markolf",
wie er auch heißt, würde uns, wenn wir dem Namen nachgehen wollten, viel¬
leicht einen Blick in die orientalische Göttervorstellung eröffnen. Denn neueste
Forschung (Paul und Braune, Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache
und Literatur) hat in ihm den „Markolis" der Hebräer, den von ihnen den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/267>, abgerufen am 02.10.2024.