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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Römern entlehnten Merkurius zu erkennen gemeint. Dem mag sein, wie ihm
wolle; so viel scheint sicher, daß die Fabel von Salomo's und seines Bundes¬
genossen Brautfahrten auf orientalische", auf jüdischen Ursprung zurückzuführen,
daß sie durch einen jüdischen Erzähler oder Dichter in Deutschland bekannt ge¬
worden ist. Trotz der vielen Verfolgungen und Bedrückungen war die litera¬
rische Thätigkeit der Juden im Mittelalter nicht viel weniger regsam, der
Einfluß ihrer Schriftstellern nicht viel weniger wirksam als heutzutage.
Aber das kleine humoristische Detail, welches in dem Gedichte so anziehend
und so behaglich wirkt, das ritterlich-romantische Kostüm, das dem Ganzen
übergeworfen ist, die wunderlichen geschichtlichen Verwirrungen, jene spaßhaften
Anachronismen sind wol einzig und allein auf die Rechnung des deutschen
Spielmanns aus dem 12. Jahrhundert zu setzen. Er, der Sohn des Zeitalters
der Kreuzzüge, hat den Salomo, den Sohn David's und König von Jerusalem,
zum Vogt der ganzen Christenheit, gleichsam zum Kaiser des heiligen römisch¬
deutschen Reiches gemacht, welcher mit deutschen Kriegern über das Mittel¬
meer gleichsam von Deutschland aus gegen die Heiden zu Felde zieht. Der
deutsche Dichter war es auch, welcher die Tempelherren und den Herzog Friedrich
als Dienstmannen Salomo's eingeführt und die Gestalt des Mvrolt zu jenem
Typus des schlauen, weltgewandter Spielmanns herausgearbeitet hat, der alle
Länder "von der Elbe bis an den Nordpol" kennt. Ihm endlich haben wir
die neue und staunenswerthe Mittheilung zu danken, daß David vor Troja
das Saitenspiel erfunden und ein alter Syrer, der in Salomo's Heere dient,
"vor Troja das Beste gethan hat".

Man sieht: das Gedicht ist nicht aus gelehrten Händen hervorgegangen,
sondern aus der Feder eines ungebildeten, aber mit reicher Phantasie begabten
Mannes, eines fahrenden Sängers, der sein nach Unerhörten verlangendes
Publikum gekannt und sicherlich reichen Lohn in Silber- und Kupfermünzen
aus den Taschen seiner dankbaren Zuhörer heimgetragen hat. Das Gedicht
von dem Seekönig Orendel hat einige burleske Scenen, der "Heilige Oswald"
zeigt manchmal einen Anflug von Parodie; aber das übermüthigste und lustigste
aller Spielmannsgedichte ist der "Morolt"; in ihm läßt sich die tolle Laune
eines frischen Humors mit Behagen frei und ungebunden gehen.

Leider haben die germanistischen Forscher aus einer gewissen "Vornehm¬
heit", wie Heinrich Rückert meinte, derjenigen Art mittelalterlicher Poesie, welcher
unsere drei Gedichte angehören, den Producten der Volksliteratur, bisher noch
nicht das eindringende Studium und diejenige Aufmerksamkeit gewidmet, deren
sie in so hohem Grade würdig sind. Allerdings, mit den höfischen Ritterepen,
mit den gedcmkentiefen Schöpfungen eines Wolfram von Eschenbach, mit der an-
muthsvoller Darstellung eines Hartmann von Ane, mit der von leidenschaft-


Römern entlehnten Merkurius zu erkennen gemeint. Dem mag sein, wie ihm
wolle; so viel scheint sicher, daß die Fabel von Salomo's und seines Bundes¬
genossen Brautfahrten auf orientalische«, auf jüdischen Ursprung zurückzuführen,
daß sie durch einen jüdischen Erzähler oder Dichter in Deutschland bekannt ge¬
worden ist. Trotz der vielen Verfolgungen und Bedrückungen war die litera¬
rische Thätigkeit der Juden im Mittelalter nicht viel weniger regsam, der
Einfluß ihrer Schriftstellern nicht viel weniger wirksam als heutzutage.
Aber das kleine humoristische Detail, welches in dem Gedichte so anziehend
und so behaglich wirkt, das ritterlich-romantische Kostüm, das dem Ganzen
übergeworfen ist, die wunderlichen geschichtlichen Verwirrungen, jene spaßhaften
Anachronismen sind wol einzig und allein auf die Rechnung des deutschen
Spielmanns aus dem 12. Jahrhundert zu setzen. Er, der Sohn des Zeitalters
der Kreuzzüge, hat den Salomo, den Sohn David's und König von Jerusalem,
zum Vogt der ganzen Christenheit, gleichsam zum Kaiser des heiligen römisch¬
deutschen Reiches gemacht, welcher mit deutschen Kriegern über das Mittel¬
meer gleichsam von Deutschland aus gegen die Heiden zu Felde zieht. Der
deutsche Dichter war es auch, welcher die Tempelherren und den Herzog Friedrich
als Dienstmannen Salomo's eingeführt und die Gestalt des Mvrolt zu jenem
Typus des schlauen, weltgewandter Spielmanns herausgearbeitet hat, der alle
Länder „von der Elbe bis an den Nordpol" kennt. Ihm endlich haben wir
die neue und staunenswerthe Mittheilung zu danken, daß David vor Troja
das Saitenspiel erfunden und ein alter Syrer, der in Salomo's Heere dient,
„vor Troja das Beste gethan hat".

Man sieht: das Gedicht ist nicht aus gelehrten Händen hervorgegangen,
sondern aus der Feder eines ungebildeten, aber mit reicher Phantasie begabten
Mannes, eines fahrenden Sängers, der sein nach Unerhörten verlangendes
Publikum gekannt und sicherlich reichen Lohn in Silber- und Kupfermünzen
aus den Taschen seiner dankbaren Zuhörer heimgetragen hat. Das Gedicht
von dem Seekönig Orendel hat einige burleske Scenen, der „Heilige Oswald"
zeigt manchmal einen Anflug von Parodie; aber das übermüthigste und lustigste
aller Spielmannsgedichte ist der „Morolt"; in ihm läßt sich die tolle Laune
eines frischen Humors mit Behagen frei und ungebunden gehen.

Leider haben die germanistischen Forscher aus einer gewissen „Vornehm¬
heit", wie Heinrich Rückert meinte, derjenigen Art mittelalterlicher Poesie, welcher
unsere drei Gedichte angehören, den Producten der Volksliteratur, bisher noch
nicht das eindringende Studium und diejenige Aufmerksamkeit gewidmet, deren
sie in so hohem Grade würdig sind. Allerdings, mit den höfischen Ritterepen,
mit den gedcmkentiefen Schöpfungen eines Wolfram von Eschenbach, mit der an-
muthsvoller Darstellung eines Hartmann von Ane, mit der von leidenschaft-


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[0268] Römern entlehnten Merkurius zu erkennen gemeint. Dem mag sein, wie ihm wolle; so viel scheint sicher, daß die Fabel von Salomo's und seines Bundes¬ genossen Brautfahrten auf orientalische«, auf jüdischen Ursprung zurückzuführen, daß sie durch einen jüdischen Erzähler oder Dichter in Deutschland bekannt ge¬ worden ist. Trotz der vielen Verfolgungen und Bedrückungen war die litera¬ rische Thätigkeit der Juden im Mittelalter nicht viel weniger regsam, der Einfluß ihrer Schriftstellern nicht viel weniger wirksam als heutzutage. Aber das kleine humoristische Detail, welches in dem Gedichte so anziehend und so behaglich wirkt, das ritterlich-romantische Kostüm, das dem Ganzen übergeworfen ist, die wunderlichen geschichtlichen Verwirrungen, jene spaßhaften Anachronismen sind wol einzig und allein auf die Rechnung des deutschen Spielmanns aus dem 12. Jahrhundert zu setzen. Er, der Sohn des Zeitalters der Kreuzzüge, hat den Salomo, den Sohn David's und König von Jerusalem, zum Vogt der ganzen Christenheit, gleichsam zum Kaiser des heiligen römisch¬ deutschen Reiches gemacht, welcher mit deutschen Kriegern über das Mittel¬ meer gleichsam von Deutschland aus gegen die Heiden zu Felde zieht. Der deutsche Dichter war es auch, welcher die Tempelherren und den Herzog Friedrich als Dienstmannen Salomo's eingeführt und die Gestalt des Mvrolt zu jenem Typus des schlauen, weltgewandter Spielmanns herausgearbeitet hat, der alle Länder „von der Elbe bis an den Nordpol" kennt. Ihm endlich haben wir die neue und staunenswerthe Mittheilung zu danken, daß David vor Troja das Saitenspiel erfunden und ein alter Syrer, der in Salomo's Heere dient, „vor Troja das Beste gethan hat". Man sieht: das Gedicht ist nicht aus gelehrten Händen hervorgegangen, sondern aus der Feder eines ungebildeten, aber mit reicher Phantasie begabten Mannes, eines fahrenden Sängers, der sein nach Unerhörten verlangendes Publikum gekannt und sicherlich reichen Lohn in Silber- und Kupfermünzen aus den Taschen seiner dankbaren Zuhörer heimgetragen hat. Das Gedicht von dem Seekönig Orendel hat einige burleske Scenen, der „Heilige Oswald" zeigt manchmal einen Anflug von Parodie; aber das übermüthigste und lustigste aller Spielmannsgedichte ist der „Morolt"; in ihm läßt sich die tolle Laune eines frischen Humors mit Behagen frei und ungebunden gehen. Leider haben die germanistischen Forscher aus einer gewissen „Vornehm¬ heit", wie Heinrich Rückert meinte, derjenigen Art mittelalterlicher Poesie, welcher unsere drei Gedichte angehören, den Producten der Volksliteratur, bisher noch nicht das eindringende Studium und diejenige Aufmerksamkeit gewidmet, deren sie in so hohem Grade würdig sind. Allerdings, mit den höfischen Ritterepen, mit den gedcmkentiefen Schöpfungen eines Wolfram von Eschenbach, mit der an- muthsvoller Darstellung eines Hartmann von Ane, mit der von leidenschaft-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/268>, abgerufen am 22.07.2024.