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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Bekannter noch ist es, daß die Martinsgans und das Martinshorn ursprünglich
Dankopfer für Wuotan gewesen sind, welcher in Se. Martin, der die äußere
Erscheinung, Mantel, Roß und Schwert durchaus mit ihm gemein hat, einen
würdigen Stellvertreter gefunden hat. Die alten Heidengötter, des Kampfes
mit dem übermächtigen Christenglauben müde geworden, haben sich taufen
lassen, einen andern Namen angenommen, und walten und regieren nun als
Vasallen des großen Christengottes noch heute über die Herzen der katholischen
Menschheit.

Der heilige König Oswald, d. i. Aswald, "Walter der Asen", konnte leicht
im Gemüthe des Volkes mit dem hohen Beherrscher der Götter, die auch Asen
hießen, dem Wuotan, verwechselt, ein Mythus von dem Götterkönig leicht auf
den heiligen Oswald übertragen werden. Genauere Betrachtung des uns vor¬
liegenden Gedichtes erhebt diese Vermuthung fast zur Gewißheit. Der Rabe,
der dort eine so große Rolle spielt und auch auf den Bildern des Heiligen
nie fehlt, wird in den historischen Nachrichten über den König Oswald von
England auch nicht mit der leisesten Andeutung erwähnt; aber von Wuotan,
dem Asenwalter, wissen wir, daß ihm nach altdeutscher Anschauung zwei Naben,
Hugin und Munin -- Gedanke und Erinnerung --, auf den Schultern sitzen,
die er jeden Tag aussendet, die Zeit zu erforschen; sie bringen ihm Kunde
von dem Geschehenen und Gehörten und raunen ihm dieselbe ins Ohr. Der
wunderbare Goldhirsch des Spielmannsgedichtes kehrt in der deutschen Mythen¬
welt vielfach wieder und gilt als Symbol der hoch über Berg und Thal dahin
eilenden Sonne. Oswald macht die erschlagenen Heiden wieder lebendig, wie
Wuotan die im Kampfe gefallenen Helden zu neuem Leben in Walhalla er¬
weckt. Auch das weithin tönende Horn, das allerdings nicht im Besitze
Oswald's ist, sondern vom Heidenkönig geblasen wird, erinnert an das Horn
des Götterkönigs, das er an den Mund setzt, um den Einheriern, den Helden
der Walhalla, die Stunde der Gefahr zu künden. Am bestimmtesten aber
weisen die oben mitgetheilten Ueberreste altheidnischer Erntefeste, die nach dem
heutigen Volksglauben dem heiligen Oswald geweiht sind, ans Wuotan hin,
der als Wetterherr und Erntespeuder verehrt wurde, in dessen mächtiger Hand
das Gedeihen der Saaten lag.

In Se. Oswald lebt Wuotan fort, in den auf ihn bezüglichen Volkstra¬
ditionen und Volksgebräuchen haben sich Reste des Wuotanskultus erhalten.
Wie nahe liegt da die Annahme, daß auch unserm Gedichte von Se. Oswald
eine urgermanische Wuotausmythe zu Grunde liege. Sie freilich in bestimmter
und faßbarer Gestalt herauszuschälen, wäre ein zu kühnes Unternehmen, an
das wir hier uns nicht hinanwagen wollen. --

Das eigentlich klassische Werk der deutschen Spielmannsdichtung ist und


Bekannter noch ist es, daß die Martinsgans und das Martinshorn ursprünglich
Dankopfer für Wuotan gewesen sind, welcher in Se. Martin, der die äußere
Erscheinung, Mantel, Roß und Schwert durchaus mit ihm gemein hat, einen
würdigen Stellvertreter gefunden hat. Die alten Heidengötter, des Kampfes
mit dem übermächtigen Christenglauben müde geworden, haben sich taufen
lassen, einen andern Namen angenommen, und walten und regieren nun als
Vasallen des großen Christengottes noch heute über die Herzen der katholischen
Menschheit.

Der heilige König Oswald, d. i. Aswald, „Walter der Asen", konnte leicht
im Gemüthe des Volkes mit dem hohen Beherrscher der Götter, die auch Asen
hießen, dem Wuotan, verwechselt, ein Mythus von dem Götterkönig leicht auf
den heiligen Oswald übertragen werden. Genauere Betrachtung des uns vor¬
liegenden Gedichtes erhebt diese Vermuthung fast zur Gewißheit. Der Rabe,
der dort eine so große Rolle spielt und auch auf den Bildern des Heiligen
nie fehlt, wird in den historischen Nachrichten über den König Oswald von
England auch nicht mit der leisesten Andeutung erwähnt; aber von Wuotan,
dem Asenwalter, wissen wir, daß ihm nach altdeutscher Anschauung zwei Naben,
Hugin und Munin — Gedanke und Erinnerung —, auf den Schultern sitzen,
die er jeden Tag aussendet, die Zeit zu erforschen; sie bringen ihm Kunde
von dem Geschehenen und Gehörten und raunen ihm dieselbe ins Ohr. Der
wunderbare Goldhirsch des Spielmannsgedichtes kehrt in der deutschen Mythen¬
welt vielfach wieder und gilt als Symbol der hoch über Berg und Thal dahin
eilenden Sonne. Oswald macht die erschlagenen Heiden wieder lebendig, wie
Wuotan die im Kampfe gefallenen Helden zu neuem Leben in Walhalla er¬
weckt. Auch das weithin tönende Horn, das allerdings nicht im Besitze
Oswald's ist, sondern vom Heidenkönig geblasen wird, erinnert an das Horn
des Götterkönigs, das er an den Mund setzt, um den Einheriern, den Helden
der Walhalla, die Stunde der Gefahr zu künden. Am bestimmtesten aber
weisen die oben mitgetheilten Ueberreste altheidnischer Erntefeste, die nach dem
heutigen Volksglauben dem heiligen Oswald geweiht sind, ans Wuotan hin,
der als Wetterherr und Erntespeuder verehrt wurde, in dessen mächtiger Hand
das Gedeihen der Saaten lag.

In Se. Oswald lebt Wuotan fort, in den auf ihn bezüglichen Volkstra¬
ditionen und Volksgebräuchen haben sich Reste des Wuotanskultus erhalten.
Wie nahe liegt da die Annahme, daß auch unserm Gedichte von Se. Oswald
eine urgermanische Wuotausmythe zu Grunde liege. Sie freilich in bestimmter
und faßbarer Gestalt herauszuschälen, wäre ein zu kühnes Unternehmen, an
das wir hier uns nicht hinanwagen wollen. —

Das eigentlich klassische Werk der deutschen Spielmannsdichtung ist und


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[0264] Bekannter noch ist es, daß die Martinsgans und das Martinshorn ursprünglich Dankopfer für Wuotan gewesen sind, welcher in Se. Martin, der die äußere Erscheinung, Mantel, Roß und Schwert durchaus mit ihm gemein hat, einen würdigen Stellvertreter gefunden hat. Die alten Heidengötter, des Kampfes mit dem übermächtigen Christenglauben müde geworden, haben sich taufen lassen, einen andern Namen angenommen, und walten und regieren nun als Vasallen des großen Christengottes noch heute über die Herzen der katholischen Menschheit. Der heilige König Oswald, d. i. Aswald, „Walter der Asen", konnte leicht im Gemüthe des Volkes mit dem hohen Beherrscher der Götter, die auch Asen hießen, dem Wuotan, verwechselt, ein Mythus von dem Götterkönig leicht auf den heiligen Oswald übertragen werden. Genauere Betrachtung des uns vor¬ liegenden Gedichtes erhebt diese Vermuthung fast zur Gewißheit. Der Rabe, der dort eine so große Rolle spielt und auch auf den Bildern des Heiligen nie fehlt, wird in den historischen Nachrichten über den König Oswald von England auch nicht mit der leisesten Andeutung erwähnt; aber von Wuotan, dem Asenwalter, wissen wir, daß ihm nach altdeutscher Anschauung zwei Naben, Hugin und Munin — Gedanke und Erinnerung —, auf den Schultern sitzen, die er jeden Tag aussendet, die Zeit zu erforschen; sie bringen ihm Kunde von dem Geschehenen und Gehörten und raunen ihm dieselbe ins Ohr. Der wunderbare Goldhirsch des Spielmannsgedichtes kehrt in der deutschen Mythen¬ welt vielfach wieder und gilt als Symbol der hoch über Berg und Thal dahin eilenden Sonne. Oswald macht die erschlagenen Heiden wieder lebendig, wie Wuotan die im Kampfe gefallenen Helden zu neuem Leben in Walhalla er¬ weckt. Auch das weithin tönende Horn, das allerdings nicht im Besitze Oswald's ist, sondern vom Heidenkönig geblasen wird, erinnert an das Horn des Götterkönigs, das er an den Mund setzt, um den Einheriern, den Helden der Walhalla, die Stunde der Gefahr zu künden. Am bestimmtesten aber weisen die oben mitgetheilten Ueberreste altheidnischer Erntefeste, die nach dem heutigen Volksglauben dem heiligen Oswald geweiht sind, ans Wuotan hin, der als Wetterherr und Erntespeuder verehrt wurde, in dessen mächtiger Hand das Gedeihen der Saaten lag. In Se. Oswald lebt Wuotan fort, in den auf ihn bezüglichen Volkstra¬ ditionen und Volksgebräuchen haben sich Reste des Wuotanskultus erhalten. Wie nahe liegt da die Annahme, daß auch unserm Gedichte von Se. Oswald eine urgermanische Wuotausmythe zu Grunde liege. Sie freilich in bestimmter und faßbarer Gestalt herauszuschälen, wäre ein zu kühnes Unternehmen, an das wir hier uns nicht hinanwagen wollen. — Das eigentlich klassische Werk der deutschen Spielmannsdichtung ist und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/264>, abgerufen am 28.06.2024.