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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Zingerle ist in einem kleinen Buche "Die Oswaldlegende" (Stuttgart und
München, 1856) der Verehrung dieses Heiligen nachgegangen und hat manches
Material herbeigeschafft, durch welches die Verwandtschaft des Heiligen mit
dem alten Heidengvtte Wuotan in deutliches Licht gestellt wird. Se. Oswald's-
Kirchen und -Kapellen finden sich über das ganze katholische Deutschland zer¬
streut. Die Bilder zeigen den Heiligen in königlicher Rüstung und immer in
Gesellschaft des Raben, der auf dem Scepter oder dem Reichsapfel sitzt. Unter
den Bauern wird Se. Oswald verehrt als der gewaltige Wetterherr, der Herr
der Saaten, welcher des Landmanns Hoffnung vernichten oder zum fröhlichen
Gedeihen führen kann. Kein Wunder also, wenn zahlreiche Prozessionen zu
seiner Ehre veranstaltet und mannigfache andere Huldigungen ihm dargebracht
werden. Der Aehrenbüschel, den der Wanderer in einigen Gegenden Nieder-
baierns, auch in Franken und Schwaben, auf abgemähten Felde in der Nähe
des Weges hie und da stehen sieht, unter dem Namen Nothhalm bekannt, ist
nichts anderes als ein uraltes Dankopfer, das dem heiligen Oswald als Herrn
der Feldfrüchte geweiht wird. "In Tirol wird der Getreidebüschel zu einer
Figur gestaltet; diese heißt "der Oswald" und wird von den Mädchen mit
den schönsten Blumen geschmückt; denn knien Alle im Kreise herum und danken,
daß das Getreide wieder gewachsen ist und daß sie sich nicht geschnitten haben.
Nach dein Gebet wird um den "Oswald" ein Walzer getanzt, Alles jubelt und
freut sich."

Diese wunderlichen Gebränche der süddeutschen Landleute rechtfertigen die
Vermuthung, daß sich hinter unserm Heiligen ein alter deutscher Heidengott
versteckt. Vielfach sind auf die Heiligen des katholischen Volksglaubens Reste
der alten Religion, Attribute und Funktionen der alten Götter übergegangen:
Der Gott, welcher im Gewitter waltete und mit seinem Hammer die Berg¬
riesen, die Feinde der Kultur, niederwarf, Donnar oder Thor, hat seinen
Wirkungskreis Se. Peter eingeräumt. Wenn der Donner heute rollt, so sagt
man wohl: "Se. Peter schiebt Kegel". Er gilt als Pförtner am Himmelsthore
und hat Gewalt über die Schlüssel, wie nach altheidnischer Vorstellung Donnar
mit seinem Wetterstrahle die Wolkeuschleusen öffnete, daß befruchtender Regen
niederströmte. Se. Peter ist der populärste Heilige geworden und wird auch
im ungläubigen Norddeutschland so viel genannt, weil Donnar, den er ver¬
tritt, der freundliche, schützende Gott des Bauern, der populäre Gott des
"kleinen Mannes" war. Der leuchtende Kriegsgott Ziu oder Tyr hat seine
Verehrnngsstätten vielfach dem strahlenden Se. Michael überlassen müssen, der
immer mit geschwungenem Schwert abgebildet und als tapferer Mitstreiter von
deu Gläubigen gefeiert wird. Freyja oder Frouwa, die Hausfrau Wuotan's,
des höchsten der Götter, hat "unserer lieben Frau" Maria weichen müssen.


Zingerle ist in einem kleinen Buche „Die Oswaldlegende" (Stuttgart und
München, 1856) der Verehrung dieses Heiligen nachgegangen und hat manches
Material herbeigeschafft, durch welches die Verwandtschaft des Heiligen mit
dem alten Heidengvtte Wuotan in deutliches Licht gestellt wird. Se. Oswald's-
Kirchen und -Kapellen finden sich über das ganze katholische Deutschland zer¬
streut. Die Bilder zeigen den Heiligen in königlicher Rüstung und immer in
Gesellschaft des Raben, der auf dem Scepter oder dem Reichsapfel sitzt. Unter
den Bauern wird Se. Oswald verehrt als der gewaltige Wetterherr, der Herr
der Saaten, welcher des Landmanns Hoffnung vernichten oder zum fröhlichen
Gedeihen führen kann. Kein Wunder also, wenn zahlreiche Prozessionen zu
seiner Ehre veranstaltet und mannigfache andere Huldigungen ihm dargebracht
werden. Der Aehrenbüschel, den der Wanderer in einigen Gegenden Nieder-
baierns, auch in Franken und Schwaben, auf abgemähten Felde in der Nähe
des Weges hie und da stehen sieht, unter dem Namen Nothhalm bekannt, ist
nichts anderes als ein uraltes Dankopfer, das dem heiligen Oswald als Herrn
der Feldfrüchte geweiht wird. „In Tirol wird der Getreidebüschel zu einer
Figur gestaltet; diese heißt „der Oswald" und wird von den Mädchen mit
den schönsten Blumen geschmückt; denn knien Alle im Kreise herum und danken,
daß das Getreide wieder gewachsen ist und daß sie sich nicht geschnitten haben.
Nach dein Gebet wird um den „Oswald" ein Walzer getanzt, Alles jubelt und
freut sich."

Diese wunderlichen Gebränche der süddeutschen Landleute rechtfertigen die
Vermuthung, daß sich hinter unserm Heiligen ein alter deutscher Heidengott
versteckt. Vielfach sind auf die Heiligen des katholischen Volksglaubens Reste
der alten Religion, Attribute und Funktionen der alten Götter übergegangen:
Der Gott, welcher im Gewitter waltete und mit seinem Hammer die Berg¬
riesen, die Feinde der Kultur, niederwarf, Donnar oder Thor, hat seinen
Wirkungskreis Se. Peter eingeräumt. Wenn der Donner heute rollt, so sagt
man wohl: „Se. Peter schiebt Kegel". Er gilt als Pförtner am Himmelsthore
und hat Gewalt über die Schlüssel, wie nach altheidnischer Vorstellung Donnar
mit seinem Wetterstrahle die Wolkeuschleusen öffnete, daß befruchtender Regen
niederströmte. Se. Peter ist der populärste Heilige geworden und wird auch
im ungläubigen Norddeutschland so viel genannt, weil Donnar, den er ver¬
tritt, der freundliche, schützende Gott des Bauern, der populäre Gott des
„kleinen Mannes" war. Der leuchtende Kriegsgott Ziu oder Tyr hat seine
Verehrnngsstätten vielfach dem strahlenden Se. Michael überlassen müssen, der
immer mit geschwungenem Schwert abgebildet und als tapferer Mitstreiter von
deu Gläubigen gefeiert wird. Freyja oder Frouwa, die Hausfrau Wuotan's,
des höchsten der Götter, hat „unserer lieben Frau" Maria weichen müssen.


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[0263] Zingerle ist in einem kleinen Buche „Die Oswaldlegende" (Stuttgart und München, 1856) der Verehrung dieses Heiligen nachgegangen und hat manches Material herbeigeschafft, durch welches die Verwandtschaft des Heiligen mit dem alten Heidengvtte Wuotan in deutliches Licht gestellt wird. Se. Oswald's- Kirchen und -Kapellen finden sich über das ganze katholische Deutschland zer¬ streut. Die Bilder zeigen den Heiligen in königlicher Rüstung und immer in Gesellschaft des Raben, der auf dem Scepter oder dem Reichsapfel sitzt. Unter den Bauern wird Se. Oswald verehrt als der gewaltige Wetterherr, der Herr der Saaten, welcher des Landmanns Hoffnung vernichten oder zum fröhlichen Gedeihen führen kann. Kein Wunder also, wenn zahlreiche Prozessionen zu seiner Ehre veranstaltet und mannigfache andere Huldigungen ihm dargebracht werden. Der Aehrenbüschel, den der Wanderer in einigen Gegenden Nieder- baierns, auch in Franken und Schwaben, auf abgemähten Felde in der Nähe des Weges hie und da stehen sieht, unter dem Namen Nothhalm bekannt, ist nichts anderes als ein uraltes Dankopfer, das dem heiligen Oswald als Herrn der Feldfrüchte geweiht wird. „In Tirol wird der Getreidebüschel zu einer Figur gestaltet; diese heißt „der Oswald" und wird von den Mädchen mit den schönsten Blumen geschmückt; denn knien Alle im Kreise herum und danken, daß das Getreide wieder gewachsen ist und daß sie sich nicht geschnitten haben. Nach dein Gebet wird um den „Oswald" ein Walzer getanzt, Alles jubelt und freut sich." Diese wunderlichen Gebränche der süddeutschen Landleute rechtfertigen die Vermuthung, daß sich hinter unserm Heiligen ein alter deutscher Heidengott versteckt. Vielfach sind auf die Heiligen des katholischen Volksglaubens Reste der alten Religion, Attribute und Funktionen der alten Götter übergegangen: Der Gott, welcher im Gewitter waltete und mit seinem Hammer die Berg¬ riesen, die Feinde der Kultur, niederwarf, Donnar oder Thor, hat seinen Wirkungskreis Se. Peter eingeräumt. Wenn der Donner heute rollt, so sagt man wohl: „Se. Peter schiebt Kegel". Er gilt als Pförtner am Himmelsthore und hat Gewalt über die Schlüssel, wie nach altheidnischer Vorstellung Donnar mit seinem Wetterstrahle die Wolkeuschleusen öffnete, daß befruchtender Regen niederströmte. Se. Peter ist der populärste Heilige geworden und wird auch im ungläubigen Norddeutschland so viel genannt, weil Donnar, den er ver¬ tritt, der freundliche, schützende Gott des Bauern, der populäre Gott des „kleinen Mannes" war. Der leuchtende Kriegsgott Ziu oder Tyr hat seine Verehrnngsstätten vielfach dem strahlenden Se. Michael überlassen müssen, der immer mit geschwungenem Schwert abgebildet und als tapferer Mitstreiter von deu Gläubigen gefeiert wird. Freyja oder Frouwa, die Hausfrau Wuotan's, des höchsten der Götter, hat „unserer lieben Frau" Maria weichen müssen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/263>, abgerufen am 24.06.2024.