Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Taktes geltend. Es gab keine geheime Abstimmung, und dabei handelte es sich
doch nicht, wie heutzutage, um die Wahl von Repräsentanten für lange Termine,
nein, jährlich galt es die Wahl der gesammten Beamtenmasse in Heer und
Verwaltung. Da war noch kein ergiebiges Feld für Wahlumtriebe, wohl aber
blieb den: Einflüsse tüchtiger Persönlichkeiten, die im entscheidenden Augenblicke
mit offenem Visir hervortraten, ein nicht unbedeutender Spielraum. Livius
erzählt z. B., daß Q. Fabius Maximus einmal nach Eröffnung der Abstim¬
mung die erste Centurie wieder abtreten hieß, nachdem er erklärt, daß er das
Kommando nur mit einem andern Kollegen annehmen könne, als den man ihm
gegeben. Die Centurie trat ab, berieth und stimmte dann nach dem Wunsche
ihres großen Konsuls.

Die unsichtbare Gewalt, welche das geschichtliche Leben Rom's in der
guten Zeit beseelt und lenkt, das ist der militärische Geist der Legion; was
Rom zu Rom machte: frei, besonnen, lange glücklich und groß, das war der
frische und tüchtige Zusammenhang der militärischen und der bürgerlichen Ver¬
fassung.

Aber wie Alles in der Welt seine Kehrseite hat, so auch diese römische
Heeres- und Staatsverfassung. Was dem Großen und Ganzen von so unend¬
lichem Werthe war für innere Gesundheit und Tüchtigkeit, das hat im Ein¬
zelnen, im rein Militärischen, doch nicht selten höchst bedenkliche Nachtheile mit
sich gebracht, die, wenn sie in verhängnißvollen Augenblicken hervortraten, so
schädlich und gefährlich wurden, daß es schien, der Staat werde eine solche
Krise nicht überdauern. Dann aber machte sich wieder die segensvolle Seite
jener Zusammengehörigkeit von Staatsleitung und Kriegführung, von Volks-
bewußtsein und Heeresstolz geltend, und zum Staunen der Feinde, zum Staunen
der Römer selbst, glich das Unheil sich aus, und die Niederlagen, welche den
Staat vernichtet zu haben schienen, wurden gut gemacht durch die treue solda¬
tische Hingebung der ganzen Nation.

Diese Betrachtungen drängen sich auf, wenn man die punischen Kriege
überschaut.

Der Kampf zwischen Karthago und Rom ist der längste und der am
meisten schwankende des Alterthums. Das entscheidende Moment, das endlich
den Ausschlag gab, war die Gleichartigkeit des Stoffes, ans welchem Staat
und Heer der Römer zusammengefügt waren, verglichen mit der Ungleichartig-
keit auf punischer Seite. Die Römer waren in ihren Volksversammlungen
und im Senate dieselben wie im Lager; sie waren aber auch Jtaliker, desselben
Blutes wie die Samniter, Sabiner, Kampaner; auch mit den hellenischen
Jtalioten waren sie stammverwandt und sogar mit den Etruskern stimmten sie
in den wichtigsten Lebensbeziehungen überein. Die Karthager dagegen waren


Taktes geltend. Es gab keine geheime Abstimmung, und dabei handelte es sich
doch nicht, wie heutzutage, um die Wahl von Repräsentanten für lange Termine,
nein, jährlich galt es die Wahl der gesammten Beamtenmasse in Heer und
Verwaltung. Da war noch kein ergiebiges Feld für Wahlumtriebe, wohl aber
blieb den: Einflüsse tüchtiger Persönlichkeiten, die im entscheidenden Augenblicke
mit offenem Visir hervortraten, ein nicht unbedeutender Spielraum. Livius
erzählt z. B., daß Q. Fabius Maximus einmal nach Eröffnung der Abstim¬
mung die erste Centurie wieder abtreten hieß, nachdem er erklärt, daß er das
Kommando nur mit einem andern Kollegen annehmen könne, als den man ihm
gegeben. Die Centurie trat ab, berieth und stimmte dann nach dem Wunsche
ihres großen Konsuls.

Die unsichtbare Gewalt, welche das geschichtliche Leben Rom's in der
guten Zeit beseelt und lenkt, das ist der militärische Geist der Legion; was
Rom zu Rom machte: frei, besonnen, lange glücklich und groß, das war der
frische und tüchtige Zusammenhang der militärischen und der bürgerlichen Ver¬
fassung.

Aber wie Alles in der Welt seine Kehrseite hat, so auch diese römische
Heeres- und Staatsverfassung. Was dem Großen und Ganzen von so unend¬
lichem Werthe war für innere Gesundheit und Tüchtigkeit, das hat im Ein¬
zelnen, im rein Militärischen, doch nicht selten höchst bedenkliche Nachtheile mit
sich gebracht, die, wenn sie in verhängnißvollen Augenblicken hervortraten, so
schädlich und gefährlich wurden, daß es schien, der Staat werde eine solche
Krise nicht überdauern. Dann aber machte sich wieder die segensvolle Seite
jener Zusammengehörigkeit von Staatsleitung und Kriegführung, von Volks-
bewußtsein und Heeresstolz geltend, und zum Staunen der Feinde, zum Staunen
der Römer selbst, glich das Unheil sich aus, und die Niederlagen, welche den
Staat vernichtet zu haben schienen, wurden gut gemacht durch die treue solda¬
tische Hingebung der ganzen Nation.

Diese Betrachtungen drängen sich auf, wenn man die punischen Kriege
überschaut.

Der Kampf zwischen Karthago und Rom ist der längste und der am
meisten schwankende des Alterthums. Das entscheidende Moment, das endlich
den Ausschlag gab, war die Gleichartigkeit des Stoffes, ans welchem Staat
und Heer der Römer zusammengefügt waren, verglichen mit der Ungleichartig-
keit auf punischer Seite. Die Römer waren in ihren Volksversammlungen
und im Senate dieselben wie im Lager; sie waren aber auch Jtaliker, desselben
Blutes wie die Samniter, Sabiner, Kampaner; auch mit den hellenischen
Jtalioten waren sie stammverwandt und sogar mit den Etruskern stimmten sie
in den wichtigsten Lebensbeziehungen überein. Die Karthager dagegen waren


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0252" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140603"/>
          <p xml:id="ID_758" prev="#ID_757"> Taktes geltend. Es gab keine geheime Abstimmung, und dabei handelte es sich<lb/>
doch nicht, wie heutzutage, um die Wahl von Repräsentanten für lange Termine,<lb/>
nein, jährlich galt es die Wahl der gesammten Beamtenmasse in Heer und<lb/>
Verwaltung. Da war noch kein ergiebiges Feld für Wahlumtriebe, wohl aber<lb/>
blieb den: Einflüsse tüchtiger Persönlichkeiten, die im entscheidenden Augenblicke<lb/>
mit offenem Visir hervortraten, ein nicht unbedeutender Spielraum. Livius<lb/>
erzählt z. B., daß Q. Fabius Maximus einmal nach Eröffnung der Abstim¬<lb/>
mung die erste Centurie wieder abtreten hieß, nachdem er erklärt, daß er das<lb/>
Kommando nur mit einem andern Kollegen annehmen könne, als den man ihm<lb/>
gegeben. Die Centurie trat ab, berieth und stimmte dann nach dem Wunsche<lb/>
ihres großen Konsuls.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_759"> Die unsichtbare Gewalt, welche das geschichtliche Leben Rom's in der<lb/>
guten Zeit beseelt und lenkt, das ist der militärische Geist der Legion; was<lb/>
Rom zu Rom machte: frei, besonnen, lange glücklich und groß, das war der<lb/>
frische und tüchtige Zusammenhang der militärischen und der bürgerlichen Ver¬<lb/>
fassung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_760"> Aber wie Alles in der Welt seine Kehrseite hat, so auch diese römische<lb/>
Heeres- und Staatsverfassung. Was dem Großen und Ganzen von so unend¬<lb/>
lichem Werthe war für innere Gesundheit und Tüchtigkeit, das hat im Ein¬<lb/>
zelnen, im rein Militärischen, doch nicht selten höchst bedenkliche Nachtheile mit<lb/>
sich gebracht, die, wenn sie in verhängnißvollen Augenblicken hervortraten, so<lb/>
schädlich und gefährlich wurden, daß es schien, der Staat werde eine solche<lb/>
Krise nicht überdauern. Dann aber machte sich wieder die segensvolle Seite<lb/>
jener Zusammengehörigkeit von Staatsleitung und Kriegführung, von Volks-<lb/>
bewußtsein und Heeresstolz geltend, und zum Staunen der Feinde, zum Staunen<lb/>
der Römer selbst, glich das Unheil sich aus, und die Niederlagen, welche den<lb/>
Staat vernichtet zu haben schienen, wurden gut gemacht durch die treue solda¬<lb/>
tische Hingebung der ganzen Nation.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_761"> Diese Betrachtungen drängen sich auf, wenn man die punischen Kriege<lb/>
überschaut.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_762" next="#ID_763"> Der Kampf zwischen Karthago und Rom ist der längste und der am<lb/>
meisten schwankende des Alterthums. Das entscheidende Moment, das endlich<lb/>
den Ausschlag gab, war die Gleichartigkeit des Stoffes, ans welchem Staat<lb/>
und Heer der Römer zusammengefügt waren, verglichen mit der Ungleichartig-<lb/>
keit auf punischer Seite. Die Römer waren in ihren Volksversammlungen<lb/>
und im Senate dieselben wie im Lager; sie waren aber auch Jtaliker, desselben<lb/>
Blutes wie die Samniter, Sabiner, Kampaner; auch mit den hellenischen<lb/>
Jtalioten waren sie stammverwandt und sogar mit den Etruskern stimmten sie<lb/>
in den wichtigsten Lebensbeziehungen überein. Die Karthager dagegen waren</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0252] Taktes geltend. Es gab keine geheime Abstimmung, und dabei handelte es sich doch nicht, wie heutzutage, um die Wahl von Repräsentanten für lange Termine, nein, jährlich galt es die Wahl der gesammten Beamtenmasse in Heer und Verwaltung. Da war noch kein ergiebiges Feld für Wahlumtriebe, wohl aber blieb den: Einflüsse tüchtiger Persönlichkeiten, die im entscheidenden Augenblicke mit offenem Visir hervortraten, ein nicht unbedeutender Spielraum. Livius erzählt z. B., daß Q. Fabius Maximus einmal nach Eröffnung der Abstim¬ mung die erste Centurie wieder abtreten hieß, nachdem er erklärt, daß er das Kommando nur mit einem andern Kollegen annehmen könne, als den man ihm gegeben. Die Centurie trat ab, berieth und stimmte dann nach dem Wunsche ihres großen Konsuls. Die unsichtbare Gewalt, welche das geschichtliche Leben Rom's in der guten Zeit beseelt und lenkt, das ist der militärische Geist der Legion; was Rom zu Rom machte: frei, besonnen, lange glücklich und groß, das war der frische und tüchtige Zusammenhang der militärischen und der bürgerlichen Ver¬ fassung. Aber wie Alles in der Welt seine Kehrseite hat, so auch diese römische Heeres- und Staatsverfassung. Was dem Großen und Ganzen von so unend¬ lichem Werthe war für innere Gesundheit und Tüchtigkeit, das hat im Ein¬ zelnen, im rein Militärischen, doch nicht selten höchst bedenkliche Nachtheile mit sich gebracht, die, wenn sie in verhängnißvollen Augenblicken hervortraten, so schädlich und gefährlich wurden, daß es schien, der Staat werde eine solche Krise nicht überdauern. Dann aber machte sich wieder die segensvolle Seite jener Zusammengehörigkeit von Staatsleitung und Kriegführung, von Volks- bewußtsein und Heeresstolz geltend, und zum Staunen der Feinde, zum Staunen der Römer selbst, glich das Unheil sich aus, und die Niederlagen, welche den Staat vernichtet zu haben schienen, wurden gut gemacht durch die treue solda¬ tische Hingebung der ganzen Nation. Diese Betrachtungen drängen sich auf, wenn man die punischen Kriege überschaut. Der Kampf zwischen Karthago und Rom ist der längste und der am meisten schwankende des Alterthums. Das entscheidende Moment, das endlich den Ausschlag gab, war die Gleichartigkeit des Stoffes, ans welchem Staat und Heer der Römer zusammengefügt waren, verglichen mit der Ungleichartig- keit auf punischer Seite. Die Römer waren in ihren Volksversammlungen und im Senate dieselben wie im Lager; sie waren aber auch Jtaliker, desselben Blutes wie die Samniter, Sabiner, Kampaner; auch mit den hellenischen Jtalioten waren sie stammverwandt und sogar mit den Etruskern stimmten sie in den wichtigsten Lebensbeziehungen überein. Die Karthager dagegen waren

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/252
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/252>, abgerufen am 23.07.2024.