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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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und blieben Fremdlinge in Afrika; mit der vollen Schroffheit der Semiten
sonderten sie sich ab, und trotz vielhundertjährigen Zusammenlebens mit den
Libyern standen sie ihnen noch immer stammfremd gegenüber. Sie wurzelten
in dem Boden Afrika's nicht tief genug, um dem gewaltigen Sturme der
Römerkriege dauernd widerstehen zu können.

Der Kraftverschiedenheit in nationaler Hinsicht stellt sich eine ebensolche
bezüglich der geographischen Lage zur Seite.

Italien bildet einen abgeschlossenen, nicht allzugroßen, wohl bevölkerten
Länderkomplex. Die weitgedehnten Gebiete von Karthago, welche von Kyrene
bis an das atlantische Meer reichten, die schwankenden Grenzen nach dem
Innern des Kontinents, die zerstreuten überseeischen Besitzungen in Sizilien,
Sardinien, Malta, den Balearen und Spanien boten viele verwundbare Punkte
und keine sichere Unterlage für ein starkes einheitliches Staatsgebäude. Es
war eine Handvoll Menschen, die über zerstreute Länder und wilde Barbaren¬
völker eine ähnliche Herrschaft führte, wie jetzt die Engländer in Ostindien,
aber ohne ein so großes, reiches Mutterland hinter sich zu haben, wie Gro߬
britannien ist.

Ich kann auf die punischen Kriege hier nur in den alleräußersten Umrissen
eingehen. Den Anlaß zum Kriegsausbruch gab das Söldnerthum. In der
zweitgrößten Stadt der sizilischen Ostküste, in Messana, hatten sich kampanische
Landsknechte festgesetzt. Entfremdung von der Heimat, Gewöhnung an Ge¬
waltthat und Unfug hatte unter diesen Banden längst Gleichgiltigkeit gegen
jeden Treubruch erzeugt. Warum sollte sich eine solche Söldnerschaar nicht
einmal der ihrer Obhut anvertrauten Stadt bemächtigen? Die Kampaner
thaten es und erhoben sich unter dein Namen der "Marsmänner", der
Mmnertiner, zu einer von den Karthagern wie von Syrakus unabhängigen
dritten Macht in Sizilien. Endlich von dem durch Hiero regenerirten Syrakus
schwer bedroht, trugen sie Rom den Besitz des meerbeherrschenden Messana
an (2W); der Senat nahm sie wirklich in die italische Eidgenossenschaft
auf. Doch Karthago kam den Römern in der Besetzung Messana's zuvor,
und damit war der Krieg zwischen Italien und Afrika entschieden. Der
erste Krieg mit Karthago währte 23 Jahre von 264 v. Chr. bis 241. Schon
diese lange Dauer des Kampfes zeigt, daß die Kriegführenden an Macht und
Hilfsquellen nicht ungleich waren. Rom's Stärke bestand in der Kriegstüchtig¬
keit seiner Bürger und Unterthanen; Karthago war an Reichthum unendlich
überlegen. Wäre Geld im Kriege wirklich das Entscheidende, so hätte Rom
unterliegen müssen. Aber in dem langen Kriege, der anch die ergiebigsten
Hilfsquellen zum Versiegen brachte, glichen die Unterschiede zwischen Reich und


und blieben Fremdlinge in Afrika; mit der vollen Schroffheit der Semiten
sonderten sie sich ab, und trotz vielhundertjährigen Zusammenlebens mit den
Libyern standen sie ihnen noch immer stammfremd gegenüber. Sie wurzelten
in dem Boden Afrika's nicht tief genug, um dem gewaltigen Sturme der
Römerkriege dauernd widerstehen zu können.

Der Kraftverschiedenheit in nationaler Hinsicht stellt sich eine ebensolche
bezüglich der geographischen Lage zur Seite.

Italien bildet einen abgeschlossenen, nicht allzugroßen, wohl bevölkerten
Länderkomplex. Die weitgedehnten Gebiete von Karthago, welche von Kyrene
bis an das atlantische Meer reichten, die schwankenden Grenzen nach dem
Innern des Kontinents, die zerstreuten überseeischen Besitzungen in Sizilien,
Sardinien, Malta, den Balearen und Spanien boten viele verwundbare Punkte
und keine sichere Unterlage für ein starkes einheitliches Staatsgebäude. Es
war eine Handvoll Menschen, die über zerstreute Länder und wilde Barbaren¬
völker eine ähnliche Herrschaft führte, wie jetzt die Engländer in Ostindien,
aber ohne ein so großes, reiches Mutterland hinter sich zu haben, wie Gro߬
britannien ist.

Ich kann auf die punischen Kriege hier nur in den alleräußersten Umrissen
eingehen. Den Anlaß zum Kriegsausbruch gab das Söldnerthum. In der
zweitgrößten Stadt der sizilischen Ostküste, in Messana, hatten sich kampanische
Landsknechte festgesetzt. Entfremdung von der Heimat, Gewöhnung an Ge¬
waltthat und Unfug hatte unter diesen Banden längst Gleichgiltigkeit gegen
jeden Treubruch erzeugt. Warum sollte sich eine solche Söldnerschaar nicht
einmal der ihrer Obhut anvertrauten Stadt bemächtigen? Die Kampaner
thaten es und erhoben sich unter dein Namen der „Marsmänner", der
Mmnertiner, zu einer von den Karthagern wie von Syrakus unabhängigen
dritten Macht in Sizilien. Endlich von dem durch Hiero regenerirten Syrakus
schwer bedroht, trugen sie Rom den Besitz des meerbeherrschenden Messana
an (2W); der Senat nahm sie wirklich in die italische Eidgenossenschaft
auf. Doch Karthago kam den Römern in der Besetzung Messana's zuvor,
und damit war der Krieg zwischen Italien und Afrika entschieden. Der
erste Krieg mit Karthago währte 23 Jahre von 264 v. Chr. bis 241. Schon
diese lange Dauer des Kampfes zeigt, daß die Kriegführenden an Macht und
Hilfsquellen nicht ungleich waren. Rom's Stärke bestand in der Kriegstüchtig¬
keit seiner Bürger und Unterthanen; Karthago war an Reichthum unendlich
überlegen. Wäre Geld im Kriege wirklich das Entscheidende, so hätte Rom
unterliegen müssen. Aber in dem langen Kriege, der anch die ergiebigsten
Hilfsquellen zum Versiegen brachte, glichen die Unterschiede zwischen Reich und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/253>, abgerufen am 22.07.2024.