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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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nicht, auch hier wird der allznstraff gespannte Bogen springen. Die seltenen
Besuche, welche jenen Gegenden bisher von Reisenden gemacht wurden, erklären
unsere Unbekanntschaft mit den dortigen Verhältnissen oder die falschen Ansichten
über Land und Leute nud so wird es sicher unseren Lesern uicht unerwünscht
sein, einige Einblicke in das Leben der westafrikanischen Weißen zu erhalten. --

Ein Vorposten des Enropäerthums! Weit hinauf am Fluß, entfernt von
der Küste, "no ni^to", im Busch, steht eine kleine Ansiedelung. Ein Weißer,
ein Portugiese haust dort! Tag sür Nacht rauscht die Fluth des Stromes dein
Meere zu vorüber, wie gern zöge der Einsame mit ihr, denn dort im Westen,
am Ufer der See wohnen Menschen, die er hier unter den Eingeborenen gar
uicht kennt, weil er sie in ihnen nicht sucht oder nicht zu suchen versteht. --

Er ist Agent einer größeren Firma und war früher Verwalter einer
stattlichen Faktorei, am Meeresstrande. Dort hatte er sich durch eine Ueber-
eilung und Rohheit -- er verwundete fast grundlos einen freien Neger mit
einem Messer -- den Tadel und Zorn seiner Vorgesetzten zugezogen. Jener
Messerstich veranlaßte Kämpfe und Kriege zwischen den Eingeborenen und den
Ansiedlern, die Existenz des ganzen Handels war eine Zeitlang in Frage ge¬
stellt, sein Haus hatte Verluste erlitten und deshalb wurde der Schuldige in
diese abgelegene Faktorei, welcher früher ein Mulatte vorgestanden hatte,
versetzt; -- sie ist das Cayenne seiner Firma.

Die Niederlassung liegt nahe am Fluß; einige der zu ihr gehörigen Ge¬
bäude spiegeln sich im zitternden, schwankend hin und hergezerrten Bilde auf
der klaren Fluth. Die nächste Faktorei ist drei Tagereisen stromab entfernt,
an der Mündung des Stromes; dorthin schickt der Verbannte die Waaren,
welche er im Lauf der Zeit von den Eingeborenen einhandelt und von dorther
empfängt er die nöthigen Tauschartikel. Monate, ein halbes Jahr und mehr
noch verfließt, ehe einmal einer der Comptoiristen seines Hauses die langwierige
Fahrt stromauf hierher wagt, um sich persönlich nach dem Geschäftsgang zu
erkundigen; sonst ist er allein, immer ganz allein mit sich selbst, nur bisweilen
empfängt er von den mitleidigen Faktoristen an der Mündung des Flusses mit
einer Wacireusenduug einige alte Zeitungen, immer wieder liest er die vergilbten
Blätter, bis er deren Inhalt fast wörtlich auswendig weiß und sie bei Seite
legt. --

Sehen wir uns ein wenig in der Niederlassung um, dem Verbannungsort,
dem verlorenen Posten der Zivilisation. Um einen freien Platz gruppiren sich
im Quadrat einige Häuser, die alle aus dem gleichen, einheimischen Material
erbaut siud. Sie haben die Form der Eiugeborenenwohnnugen, d. h. sie bilden
im Grundriß ein längliches Viereck, überdeckt mit einem Satteldach. Die
Giebelwände reichen nicht bis in den Winkel der Dachfirst hinein, sondern


nicht, auch hier wird der allznstraff gespannte Bogen springen. Die seltenen
Besuche, welche jenen Gegenden bisher von Reisenden gemacht wurden, erklären
unsere Unbekanntschaft mit den dortigen Verhältnissen oder die falschen Ansichten
über Land und Leute nud so wird es sicher unseren Lesern uicht unerwünscht
sein, einige Einblicke in das Leben der westafrikanischen Weißen zu erhalten. —

Ein Vorposten des Enropäerthums! Weit hinauf am Fluß, entfernt von
der Küste, „no ni^to", im Busch, steht eine kleine Ansiedelung. Ein Weißer,
ein Portugiese haust dort! Tag sür Nacht rauscht die Fluth des Stromes dein
Meere zu vorüber, wie gern zöge der Einsame mit ihr, denn dort im Westen,
am Ufer der See wohnen Menschen, die er hier unter den Eingeborenen gar
uicht kennt, weil er sie in ihnen nicht sucht oder nicht zu suchen versteht. —

Er ist Agent einer größeren Firma und war früher Verwalter einer
stattlichen Faktorei, am Meeresstrande. Dort hatte er sich durch eine Ueber-
eilung und Rohheit — er verwundete fast grundlos einen freien Neger mit
einem Messer — den Tadel und Zorn seiner Vorgesetzten zugezogen. Jener
Messerstich veranlaßte Kämpfe und Kriege zwischen den Eingeborenen und den
Ansiedlern, die Existenz des ganzen Handels war eine Zeitlang in Frage ge¬
stellt, sein Haus hatte Verluste erlitten und deshalb wurde der Schuldige in
diese abgelegene Faktorei, welcher früher ein Mulatte vorgestanden hatte,
versetzt; — sie ist das Cayenne seiner Firma.

Die Niederlassung liegt nahe am Fluß; einige der zu ihr gehörigen Ge¬
bäude spiegeln sich im zitternden, schwankend hin und hergezerrten Bilde auf
der klaren Fluth. Die nächste Faktorei ist drei Tagereisen stromab entfernt,
an der Mündung des Stromes; dorthin schickt der Verbannte die Waaren,
welche er im Lauf der Zeit von den Eingeborenen einhandelt und von dorther
empfängt er die nöthigen Tauschartikel. Monate, ein halbes Jahr und mehr
noch verfließt, ehe einmal einer der Comptoiristen seines Hauses die langwierige
Fahrt stromauf hierher wagt, um sich persönlich nach dem Geschäftsgang zu
erkundigen; sonst ist er allein, immer ganz allein mit sich selbst, nur bisweilen
empfängt er von den mitleidigen Faktoristen an der Mündung des Flusses mit
einer Wacireusenduug einige alte Zeitungen, immer wieder liest er die vergilbten
Blätter, bis er deren Inhalt fast wörtlich auswendig weiß und sie bei Seite
legt. —

Sehen wir uns ein wenig in der Niederlassung um, dem Verbannungsort,
dem verlorenen Posten der Zivilisation. Um einen freien Platz gruppiren sich
im Quadrat einige Häuser, die alle aus dem gleichen, einheimischen Material
erbaut siud. Sie haben die Form der Eiugeborenenwohnnugen, d. h. sie bilden
im Grundriß ein längliches Viereck, überdeckt mit einem Satteldach. Die
Giebelwände reichen nicht bis in den Winkel der Dachfirst hinein, sondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/23>, abgerufen am 22.07.2024.