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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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es leichter, die Denkmäler der Insel, die erst in jüngster Zeit ausgegraben
wurden, zu verstehen. Vor dreißig Jahren war es die monolithische Stele
des Sargon, welche im hohen Grade die Aufmerksamkeit der Alterthumsforscher
erregte. Das Berliner Museum war so glücklich, den kostbaren Schatz zu er¬
werben, und Forscher wie Ludwig Roß, de Vogne, Waddington u. a. begannen
die vernachlässigte Insel zu untersuchen. Ihnen hat sich neuerdings Geueral
Cesnola zugesellt, dessen hochinteressante cyprische Sammlungen leider nach
New-Aork gerathen sind. Er wies ägyptische und assyrische Einflüsse an den
dort ausgegrabenen Skulpturen und Geräthen neben einem lokalen Stile und
selbstverständlich griechischen Einwirkungen nach. So wurde durch seine Funde
bestätigt und ergänzt, was wir aus der Geschichte über die Raeenmischung der
Insel wußten, die in einem Winkel des Mittelmeeres an einer Stelle liegt, wo,
abgesehen von der heimischen Bevölkerung, hervorragende Repräsentanten der
arischen und semitischen Völkerfamilie sich berühren und Ueberbleibsel ihrer
Kultur zurücklassen mußten, die der Insel ihren Charakter gab.

Eine Geschichte Cypern's zu schreiben kann hier nicht unsre Aufgabe sein.
Die Insel hat alle Plagen eines Landes erduldet, über das Eroberung auf
Eroberung hingegangen ist. Die Griechen, die Römer, die Sarazenen, die
Kreuzfahrer, die Genuesen, die Venetianer und die Türken haben hier geherrscht,
und sie alle haben Cypern nur als erobertes Land betrachtet, aus dem sie
Gewinn ziehen wollten. Keine dieser Mächte hat je daran gedacht, etwas für
die Wohlfahrt des Volkes zu thun; für alle war es nur ein entfernter Besitz.
Den Kreuzfahrern war Cypern eine Haltestation nach dem heiligen Lande, den
italienischen Republiken eine melkende Kuh und den Türken -- doch davon soll
noch die Rede sein. Uns kommt es hauptsächlich darauf an, die Bedeutung zu
erörtern, welche die durch ihre Lage wichtige und ausgezeichnete Insel in den
Händen der Briten haben wird, und dazu ist es nothwendig, uns mit ihrer
natürlichen Beschaffenheit vertraut zu machen.

Wir haben oben gesagt, daß Cypern 173 geographische Quadratmeilen
groß sei. Diese Zahl, abweichend von vielen heute genannten und in den
Lehrbüchern befindlichen, beruht auf den Berechnungen von Unger, sowie den
planimetrischen Ausmessungen in Justus Perthes geographischer Anstalt*). Cypern
ist danach geuau so groß wie das ehemalige Kurfürstenthum Hessen. Die Insel
wird vom 35. Breitengrade geschnitten und hat ihre größte Ausdehnung in
der Richtung von Nordost nach Sttdost, in welcher sie zwischen dem Kap
Sankt Andreas und der Küste bei Paphos nach Unger 30Vi geographische
Meilen mißt. Der größte Theil der Insel ist gebirgig, namentlich der süd-


') Petermann's Geographische Mittheilungen 1868. S. 149.

es leichter, die Denkmäler der Insel, die erst in jüngster Zeit ausgegraben
wurden, zu verstehen. Vor dreißig Jahren war es die monolithische Stele
des Sargon, welche im hohen Grade die Aufmerksamkeit der Alterthumsforscher
erregte. Das Berliner Museum war so glücklich, den kostbaren Schatz zu er¬
werben, und Forscher wie Ludwig Roß, de Vogne, Waddington u. a. begannen
die vernachlässigte Insel zu untersuchen. Ihnen hat sich neuerdings Geueral
Cesnola zugesellt, dessen hochinteressante cyprische Sammlungen leider nach
New-Aork gerathen sind. Er wies ägyptische und assyrische Einflüsse an den
dort ausgegrabenen Skulpturen und Geräthen neben einem lokalen Stile und
selbstverständlich griechischen Einwirkungen nach. So wurde durch seine Funde
bestätigt und ergänzt, was wir aus der Geschichte über die Raeenmischung der
Insel wußten, die in einem Winkel des Mittelmeeres an einer Stelle liegt, wo,
abgesehen von der heimischen Bevölkerung, hervorragende Repräsentanten der
arischen und semitischen Völkerfamilie sich berühren und Ueberbleibsel ihrer
Kultur zurücklassen mußten, die der Insel ihren Charakter gab.

Eine Geschichte Cypern's zu schreiben kann hier nicht unsre Aufgabe sein.
Die Insel hat alle Plagen eines Landes erduldet, über das Eroberung auf
Eroberung hingegangen ist. Die Griechen, die Römer, die Sarazenen, die
Kreuzfahrer, die Genuesen, die Venetianer und die Türken haben hier geherrscht,
und sie alle haben Cypern nur als erobertes Land betrachtet, aus dem sie
Gewinn ziehen wollten. Keine dieser Mächte hat je daran gedacht, etwas für
die Wohlfahrt des Volkes zu thun; für alle war es nur ein entfernter Besitz.
Den Kreuzfahrern war Cypern eine Haltestation nach dem heiligen Lande, den
italienischen Republiken eine melkende Kuh und den Türken — doch davon soll
noch die Rede sein. Uns kommt es hauptsächlich darauf an, die Bedeutung zu
erörtern, welche die durch ihre Lage wichtige und ausgezeichnete Insel in den
Händen der Briten haben wird, und dazu ist es nothwendig, uns mit ihrer
natürlichen Beschaffenheit vertraut zu machen.

Wir haben oben gesagt, daß Cypern 173 geographische Quadratmeilen
groß sei. Diese Zahl, abweichend von vielen heute genannten und in den
Lehrbüchern befindlichen, beruht auf den Berechnungen von Unger, sowie den
planimetrischen Ausmessungen in Justus Perthes geographischer Anstalt*). Cypern
ist danach geuau so groß wie das ehemalige Kurfürstenthum Hessen. Die Insel
wird vom 35. Breitengrade geschnitten und hat ihre größte Ausdehnung in
der Richtung von Nordost nach Sttdost, in welcher sie zwischen dem Kap
Sankt Andreas und der Küste bei Paphos nach Unger 30Vi geographische
Meilen mißt. Der größte Theil der Insel ist gebirgig, namentlich der süd-


') Petermann's Geographische Mittheilungen 1868. S. 149.
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[0196] es leichter, die Denkmäler der Insel, die erst in jüngster Zeit ausgegraben wurden, zu verstehen. Vor dreißig Jahren war es die monolithische Stele des Sargon, welche im hohen Grade die Aufmerksamkeit der Alterthumsforscher erregte. Das Berliner Museum war so glücklich, den kostbaren Schatz zu er¬ werben, und Forscher wie Ludwig Roß, de Vogne, Waddington u. a. begannen die vernachlässigte Insel zu untersuchen. Ihnen hat sich neuerdings Geueral Cesnola zugesellt, dessen hochinteressante cyprische Sammlungen leider nach New-Aork gerathen sind. Er wies ägyptische und assyrische Einflüsse an den dort ausgegrabenen Skulpturen und Geräthen neben einem lokalen Stile und selbstverständlich griechischen Einwirkungen nach. So wurde durch seine Funde bestätigt und ergänzt, was wir aus der Geschichte über die Raeenmischung der Insel wußten, die in einem Winkel des Mittelmeeres an einer Stelle liegt, wo, abgesehen von der heimischen Bevölkerung, hervorragende Repräsentanten der arischen und semitischen Völkerfamilie sich berühren und Ueberbleibsel ihrer Kultur zurücklassen mußten, die der Insel ihren Charakter gab. Eine Geschichte Cypern's zu schreiben kann hier nicht unsre Aufgabe sein. Die Insel hat alle Plagen eines Landes erduldet, über das Eroberung auf Eroberung hingegangen ist. Die Griechen, die Römer, die Sarazenen, die Kreuzfahrer, die Genuesen, die Venetianer und die Türken haben hier geherrscht, und sie alle haben Cypern nur als erobertes Land betrachtet, aus dem sie Gewinn ziehen wollten. Keine dieser Mächte hat je daran gedacht, etwas für die Wohlfahrt des Volkes zu thun; für alle war es nur ein entfernter Besitz. Den Kreuzfahrern war Cypern eine Haltestation nach dem heiligen Lande, den italienischen Republiken eine melkende Kuh und den Türken — doch davon soll noch die Rede sein. Uns kommt es hauptsächlich darauf an, die Bedeutung zu erörtern, welche die durch ihre Lage wichtige und ausgezeichnete Insel in den Händen der Briten haben wird, und dazu ist es nothwendig, uns mit ihrer natürlichen Beschaffenheit vertraut zu machen. Wir haben oben gesagt, daß Cypern 173 geographische Quadratmeilen groß sei. Diese Zahl, abweichend von vielen heute genannten und in den Lehrbüchern befindlichen, beruht auf den Berechnungen von Unger, sowie den planimetrischen Ausmessungen in Justus Perthes geographischer Anstalt*). Cypern ist danach geuau so groß wie das ehemalige Kurfürstenthum Hessen. Die Insel wird vom 35. Breitengrade geschnitten und hat ihre größte Ausdehnung in der Richtung von Nordost nach Sttdost, in welcher sie zwischen dem Kap Sankt Andreas und der Küste bei Paphos nach Unger 30Vi geographische Meilen mißt. Der größte Theil der Insel ist gebirgig, namentlich der süd- ') Petermann's Geographische Mittheilungen 1868. S. 149.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/196>, abgerufen am 22.07.2024.