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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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ausgeführt, aber nicht bedentend genug, um uus etwas Neues zum Ruhm des
berühmten Meisters zu sagen.

Mit um so größerem Lärm ist eine lange Reihe seiner Schiller, die sämmt¬
lich die glänzenden, technischen Eigenschaften ihres Meisters besitzen, ans den
Plan getreten. An ihrer Spitze G. Becker, derjenige unter den jüngeren fran¬
zösischen Malern, der eine geradezu fabelhafte Kenntniß des menschlichen Körpers
mit einer echt orientalischen Farbenkraft und -gluth vereinigt. Er hat ans dem
alten Testamente eine grauenhafte Geschichte herausgewühlt, die im zweiten
Buche der Könige steht. Um den Zorn des Herrn während einer Hungers¬
noth zu versöhnen, übergab David sieben männliche Nachkommen Saul's den
Gibeoniten, welche die Unglücklichen an's Kreuz schlugen und den Geiern und
Adlern zum Fraße aussetzten. In wilder Felsgegend ist ein gewaltiger, mit
Waffentrophäen geschmückter Krenzbalken errichtet, an welchem die Unglück¬
lichen, vollständig entkleidet Hunger. Durch die gelbe, bronzefarbene Haut
pressen sich die angespannten, auseinander gezerrten Muskeln und Sehnen, jede
Rippe markirt sich scharf zu beideu Seiten des zum Bersten aufgedunsenen
Brustkastens. Einige der Unglücklichen sind schon verschmachtet: ihre Köpfe
sind schlaff auf die Brust gefallen. Andere kämpfen eben den letzten Todes¬
kampf, während ein schöner Jüngling, der erste in der unseligen Reihe, der
die Aufmerksamkeit des Beschauers besonders in Anspruch nimmt, dem Ver¬
schmachten nahe, mit halb verdrehten, gläsernen Augen in dumpfer Verzweiflung
vor sich hinstiert. In Siemiradzki's "lebenden Fackeln des Nero", die vor
zwei Jahren durch die Hauptstädte des Kontinents geführt wurden und die
jetzt den Mittelpunkt der russischen Abtheilung auf dem Marsfelde bilden, findet
dieses grauenvolle Tableau ein Seitenstück.

Auf dem steinigen, wild zerklüfteten Boden steht Respha, die Mutter
zweier der Gekreuzigten, eine Heroine mit starken, knochigen Gliedern und dein
Profile eines Adlers. Sie erhebt einen Stecken gegen einen mächtigen Geier,
der ein paar Schnabelhiebe gegen die Brust eines der Todten geführt hat und
der sich nun mit wüthendem Ungestüm gegen die Störerin seines eklen Males
wendet. Im Hintergründe thürmt sich das nackte Gestein der Wüste auf und
verleiht der entsetzlichen, aber hvchdramatischen Szene ein wirkungsvolles Relief.
Es versteht sich von selbst, daß dieses wie alle übrigen hier in Betracht kom¬
menden Historienbilder Figuren in Lebensgröße und darüber zeigen.

Es giebt keine Greuelszene der Bibel, die nicht einen oder mehrere liebe¬
volle Interpreten gefunden hat. Der geköpfte Goliath, die Enthauptung
Johannes des Täufers, furchtbare Szenen aus der Sündfluth -- das sind die
religiösen Lieblingsthemata der französischen Malerei auf der einen Seite, wäh¬
rend die büßende Magdalena, deren körperliche Reize durch die strengen Kastel


ausgeführt, aber nicht bedentend genug, um uus etwas Neues zum Ruhm des
berühmten Meisters zu sagen.

Mit um so größerem Lärm ist eine lange Reihe seiner Schiller, die sämmt¬
lich die glänzenden, technischen Eigenschaften ihres Meisters besitzen, ans den
Plan getreten. An ihrer Spitze G. Becker, derjenige unter den jüngeren fran¬
zösischen Malern, der eine geradezu fabelhafte Kenntniß des menschlichen Körpers
mit einer echt orientalischen Farbenkraft und -gluth vereinigt. Er hat ans dem
alten Testamente eine grauenhafte Geschichte herausgewühlt, die im zweiten
Buche der Könige steht. Um den Zorn des Herrn während einer Hungers¬
noth zu versöhnen, übergab David sieben männliche Nachkommen Saul's den
Gibeoniten, welche die Unglücklichen an's Kreuz schlugen und den Geiern und
Adlern zum Fraße aussetzten. In wilder Felsgegend ist ein gewaltiger, mit
Waffentrophäen geschmückter Krenzbalken errichtet, an welchem die Unglück¬
lichen, vollständig entkleidet Hunger. Durch die gelbe, bronzefarbene Haut
pressen sich die angespannten, auseinander gezerrten Muskeln und Sehnen, jede
Rippe markirt sich scharf zu beideu Seiten des zum Bersten aufgedunsenen
Brustkastens. Einige der Unglücklichen sind schon verschmachtet: ihre Köpfe
sind schlaff auf die Brust gefallen. Andere kämpfen eben den letzten Todes¬
kampf, während ein schöner Jüngling, der erste in der unseligen Reihe, der
die Aufmerksamkeit des Beschauers besonders in Anspruch nimmt, dem Ver¬
schmachten nahe, mit halb verdrehten, gläsernen Augen in dumpfer Verzweiflung
vor sich hinstiert. In Siemiradzki's „lebenden Fackeln des Nero", die vor
zwei Jahren durch die Hauptstädte des Kontinents geführt wurden und die
jetzt den Mittelpunkt der russischen Abtheilung auf dem Marsfelde bilden, findet
dieses grauenvolle Tableau ein Seitenstück.

Auf dem steinigen, wild zerklüfteten Boden steht Respha, die Mutter
zweier der Gekreuzigten, eine Heroine mit starken, knochigen Gliedern und dein
Profile eines Adlers. Sie erhebt einen Stecken gegen einen mächtigen Geier,
der ein paar Schnabelhiebe gegen die Brust eines der Todten geführt hat und
der sich nun mit wüthendem Ungestüm gegen die Störerin seines eklen Males
wendet. Im Hintergründe thürmt sich das nackte Gestein der Wüste auf und
verleiht der entsetzlichen, aber hvchdramatischen Szene ein wirkungsvolles Relief.
Es versteht sich von selbst, daß dieses wie alle übrigen hier in Betracht kom¬
menden Historienbilder Figuren in Lebensgröße und darüber zeigen.

Es giebt keine Greuelszene der Bibel, die nicht einen oder mehrere liebe¬
volle Interpreten gefunden hat. Der geköpfte Goliath, die Enthauptung
Johannes des Täufers, furchtbare Szenen aus der Sündfluth — das sind die
religiösen Lieblingsthemata der französischen Malerei auf der einen Seite, wäh¬
rend die büßende Magdalena, deren körperliche Reize durch die strengen Kastel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/157>, abgerufen am 22.07.2024.