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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Throne liegt die verlöschte Kerze als Zeuge des grauenvollen Ereignisses, das
sich in der stolzen Halle des Königspalastes soeben zugetragen. Das andere
Bild entrollt uns ein Nachtstück: wir sehen den Herzog von Enghien im Lauf¬
graben des Schlosses von Vincennes, kerzengerade gegen eine Wand gerichtet,
zu seinen Füßen eine Laterne, die nur halb das nächtige Dunkel durchbricht,
und aus dem Hintergründe blitzen die Gewehrläufe auf, die dem Opfer napo¬
leonischen Hasses ein Ende bereiten sollen. Zwei andere Bilder sind bereits
von der verhängnisvollen Sucht zum Absonderlichem und Gräßlichen ange¬
kränkelt, die wir oben als charakteristisch für die moderne Malerei Frankreich's
bezeichnet haben. Das eine schildert eine widerliche Szene ans den Zeiten
mittelalterlicher Papstherrschaft. Auf Befehl des Papstes Stephan VII. wurde
der Leichnam seines Vorgängers, Formosus, ausgegraben nud in seinem Ornat
auf den päpstlichen Stuhl gesetzt. Der neue Papst führte dann mit dem Leich¬
nam eine frevelhafte Komödie auf, indem er ihn einem feierlichen Verhör unter¬
warf und ihm allerlei Fragen vorlegte, die ein Advokat an Stelle des Todten
beantworten mußte. Das zweite Bild ist ein Stillleben, aber ein entsetzliches.
Es zeigt uns das Portal einer Kirche im elften Jahrhundert zu den Zeiten
des Interdikts. Die Kirchthür ist verrammelt, und im Vorhof liegen halb¬
verweste Leichen, denen der Kirchenbann eine christliche Bestattung versagt.

Wir sehen daraus, wie findig die französischen Maler sind, wenn es gilt,
absonderliche und ungewöhnliche Stoffe aufzustöbern. Ju noch höherem Grade
wie die englische hat die französische einen literarischen, archäologischen Zug.
Daß das Ungewöhnliche meist mit dem Granenhaften, mit dem Entsetzlichen
zusammenfällt, hat seinen Grund in der großen Abhängigkeit von dem Orient,
in wÄche die moderne Malerei Frankreich's gerathen ist. Die Geheimnisse der
Harems und die Gräuel des Serails haben sich den französischen Malern
erschlossen, die nach dein Orient pilgerten, um den Glanz ihrer Palette aufzu¬
frischen und die Welt ihrer Formen und ihrer Anschauungen zu erweitern.
Gerome, Cabanel und Cogniet sind die Chorführer der neueren Orientalisten
geworden. Sie bezeichnen zugleich in technischer Hinsicht die Hauptrichtungen
innerhalb der Malerei des jungen Frankreich.

Cogniet ist auf der Ausstellung nicht vertreten. Er hat in der letzten
Zeit nur noch selten zum Pinsel gegriffen: seine große Schule ist sein jüngster,
vielleicht sein höchster Ruhmestitel. Bonnae, Frankreich's größter Portraitmaler
in der Gegenwart, ist aus ihr hervorgegangen. Gcrome, ein universelles Talent,
der sich auch als Bildhauer mit Ruhm bedeckt, hat eine Reihe älterer orienta¬
lischer Scenen ausgestellt: badende Odalisken, tanzende Baschibozuks, arabische
Reiter, einen Löwen in der Wüste, alle mit fabelhaftem, technischem Geschick


Throne liegt die verlöschte Kerze als Zeuge des grauenvollen Ereignisses, das
sich in der stolzen Halle des Königspalastes soeben zugetragen. Das andere
Bild entrollt uns ein Nachtstück: wir sehen den Herzog von Enghien im Lauf¬
graben des Schlosses von Vincennes, kerzengerade gegen eine Wand gerichtet,
zu seinen Füßen eine Laterne, die nur halb das nächtige Dunkel durchbricht,
und aus dem Hintergründe blitzen die Gewehrläufe auf, die dem Opfer napo¬
leonischen Hasses ein Ende bereiten sollen. Zwei andere Bilder sind bereits
von der verhängnisvollen Sucht zum Absonderlichem und Gräßlichen ange¬
kränkelt, die wir oben als charakteristisch für die moderne Malerei Frankreich's
bezeichnet haben. Das eine schildert eine widerliche Szene ans den Zeiten
mittelalterlicher Papstherrschaft. Auf Befehl des Papstes Stephan VII. wurde
der Leichnam seines Vorgängers, Formosus, ausgegraben nud in seinem Ornat
auf den päpstlichen Stuhl gesetzt. Der neue Papst führte dann mit dem Leich¬
nam eine frevelhafte Komödie auf, indem er ihn einem feierlichen Verhör unter¬
warf und ihm allerlei Fragen vorlegte, die ein Advokat an Stelle des Todten
beantworten mußte. Das zweite Bild ist ein Stillleben, aber ein entsetzliches.
Es zeigt uns das Portal einer Kirche im elften Jahrhundert zu den Zeiten
des Interdikts. Die Kirchthür ist verrammelt, und im Vorhof liegen halb¬
verweste Leichen, denen der Kirchenbann eine christliche Bestattung versagt.

Wir sehen daraus, wie findig die französischen Maler sind, wenn es gilt,
absonderliche und ungewöhnliche Stoffe aufzustöbern. Ju noch höherem Grade
wie die englische hat die französische einen literarischen, archäologischen Zug.
Daß das Ungewöhnliche meist mit dem Granenhaften, mit dem Entsetzlichen
zusammenfällt, hat seinen Grund in der großen Abhängigkeit von dem Orient,
in wÄche die moderne Malerei Frankreich's gerathen ist. Die Geheimnisse der
Harems und die Gräuel des Serails haben sich den französischen Malern
erschlossen, die nach dein Orient pilgerten, um den Glanz ihrer Palette aufzu¬
frischen und die Welt ihrer Formen und ihrer Anschauungen zu erweitern.
Gerome, Cabanel und Cogniet sind die Chorführer der neueren Orientalisten
geworden. Sie bezeichnen zugleich in technischer Hinsicht die Hauptrichtungen
innerhalb der Malerei des jungen Frankreich.

Cogniet ist auf der Ausstellung nicht vertreten. Er hat in der letzten
Zeit nur noch selten zum Pinsel gegriffen: seine große Schule ist sein jüngster,
vielleicht sein höchster Ruhmestitel. Bonnae, Frankreich's größter Portraitmaler
in der Gegenwart, ist aus ihr hervorgegangen. Gcrome, ein universelles Talent,
der sich auch als Bildhauer mit Ruhm bedeckt, hat eine Reihe älterer orienta¬
lischer Scenen ausgestellt: badende Odalisken, tanzende Baschibozuks, arabische
Reiter, einen Löwen in der Wüste, alle mit fabelhaftem, technischem Geschick


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/156>, abgerufen am 23.07.2024.