Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ungen jedoch meist nicht beeinträchtigt erscheinen, mich der anderen, oben charcck-
terisirten Richtung, die das Grauen mit Wollust mischt, die meisten Verehrer
findet. Auf einem Bilde Dupain's, der aus der Schule Cabanel's hervorge¬
gangen ist, wird der von den Räubern Ueberfcillene der schönen Parabel
des Evangeliums von dem barmherzigen Samariter gerettet. Der Maler hat
den Moment gewählt, wo zwei Diener des Samariters den Verwundeten in
ein gastliches Haus tragen. Aber den Mittelpunkt des Bildes nimmt nicht der
barmherzige Wohlthäter ein, sondern der nackte, gräßlich von Wunden entstellte
Körper des Unglücklichen.

B. Constant, ein zweiter Schiller Cabanel's, schildert mit unvergleichlicher
Verve, mit einer eminenten Darstellungskraft, die noch durch ein über alle
Maßen glänzendes Kolorit gehoben wird, den Einzug Mohammed II. in Kon¬
stantinopel nach der Eroberung dieser Stadt durch die Türken. Hinter dem
Thore, durch welches der Khalif mit der grünen Fahne des Propheten auf
weißem Rosse an der Spitze seines Gefolges einreitet, ist ein Leichenhaufen
zusammengethürmt, ein Denkmal der Verzweiflung, mit welcher die Christen
ihr letztes Bollwerk vertheidigt. Fürchterlich zerhauene, mit fahler Leichenblässe
überzogene Schädel mit weit auseinander klaffenden Wunden grinsen dem Ein¬
ziehenden aus den Ecken entgegen, große Blutlachen besudeln den mit Trüm¬
mern bedeckten Boden und bei jedem Schritte zertritt das Roß des Khalifen
einen Sterbenden. Der erste, über den die Hufe der Pferde lnnwegschreiten,
ist ein christlicher Priester, der mit dem Kreuze in der Hand den Streitern der
Kirche in den Tod vorausgegangen ist. Cormon, ein dritter Schüler Cabanel's,
schildert mit gleichen glühenden Farben ein indisches Schlachtfeld nach dem
Ramayana, ein Schlachtfeld, auf dem der Leichnam des Königs von Lanka
liegt, der von seinen Weibern beweint wird. Man sieht also, wie findig die
französischen Maler in der Ermittlung ihrer Stoffe sind. Es giebt kein noch
so entlegenes literarisches Hülfsmittel, das sich ihren Forscherangen entzieht.
Die Bücher der jüdischen Könige, die Annalen der römischen Kaiser, die Hof¬
geschichten von Byzanz, die Märthrerlegenden der Kirchenväter und die Chro¬
niken des Mittelalters, die Sagen des Orients und die griechischen Mythen
durchstöbern sie mit gleicher Gewissenhaftigkeit nach Stoffen, welche das Sen¬
sationsbedürfniß der Menge befriedigen, welche die niedrigsten Sinne kitzeln.
Auch der Künstler soll wie der Dichter ein Bildner seines Volkes sein. Sehen
wir weiter zu, wie die französischen Maler ihre Mission, die Sitten des Volkes
zu veredeln und den Geschmack zu läutern, erfüllen!

Henri Regnault, Cabanel's begabtester Schüler, der Stolz und die Hoff¬
nung Frankreich's, der seinen Tod in einem der letzten Kämpfe des deutsch¬
französischen Krieges, bei Buzenval, fand, hat durch seine Hinrichtung in Granada


ungen jedoch meist nicht beeinträchtigt erscheinen, mich der anderen, oben charcck-
terisirten Richtung, die das Grauen mit Wollust mischt, die meisten Verehrer
findet. Auf einem Bilde Dupain's, der aus der Schule Cabanel's hervorge¬
gangen ist, wird der von den Räubern Ueberfcillene der schönen Parabel
des Evangeliums von dem barmherzigen Samariter gerettet. Der Maler hat
den Moment gewählt, wo zwei Diener des Samariters den Verwundeten in
ein gastliches Haus tragen. Aber den Mittelpunkt des Bildes nimmt nicht der
barmherzige Wohlthäter ein, sondern der nackte, gräßlich von Wunden entstellte
Körper des Unglücklichen.

B. Constant, ein zweiter Schiller Cabanel's, schildert mit unvergleichlicher
Verve, mit einer eminenten Darstellungskraft, die noch durch ein über alle
Maßen glänzendes Kolorit gehoben wird, den Einzug Mohammed II. in Kon¬
stantinopel nach der Eroberung dieser Stadt durch die Türken. Hinter dem
Thore, durch welches der Khalif mit der grünen Fahne des Propheten auf
weißem Rosse an der Spitze seines Gefolges einreitet, ist ein Leichenhaufen
zusammengethürmt, ein Denkmal der Verzweiflung, mit welcher die Christen
ihr letztes Bollwerk vertheidigt. Fürchterlich zerhauene, mit fahler Leichenblässe
überzogene Schädel mit weit auseinander klaffenden Wunden grinsen dem Ein¬
ziehenden aus den Ecken entgegen, große Blutlachen besudeln den mit Trüm¬
mern bedeckten Boden und bei jedem Schritte zertritt das Roß des Khalifen
einen Sterbenden. Der erste, über den die Hufe der Pferde lnnwegschreiten,
ist ein christlicher Priester, der mit dem Kreuze in der Hand den Streitern der
Kirche in den Tod vorausgegangen ist. Cormon, ein dritter Schüler Cabanel's,
schildert mit gleichen glühenden Farben ein indisches Schlachtfeld nach dem
Ramayana, ein Schlachtfeld, auf dem der Leichnam des Königs von Lanka
liegt, der von seinen Weibern beweint wird. Man sieht also, wie findig die
französischen Maler in der Ermittlung ihrer Stoffe sind. Es giebt kein noch
so entlegenes literarisches Hülfsmittel, das sich ihren Forscherangen entzieht.
Die Bücher der jüdischen Könige, die Annalen der römischen Kaiser, die Hof¬
geschichten von Byzanz, die Märthrerlegenden der Kirchenväter und die Chro¬
niken des Mittelalters, die Sagen des Orients und die griechischen Mythen
durchstöbern sie mit gleicher Gewissenhaftigkeit nach Stoffen, welche das Sen¬
sationsbedürfniß der Menge befriedigen, welche die niedrigsten Sinne kitzeln.
Auch der Künstler soll wie der Dichter ein Bildner seines Volkes sein. Sehen
wir weiter zu, wie die französischen Maler ihre Mission, die Sitten des Volkes
zu veredeln und den Geschmack zu läutern, erfüllen!

Henri Regnault, Cabanel's begabtester Schüler, der Stolz und die Hoff¬
nung Frankreich's, der seinen Tod in einem der letzten Kämpfe des deutsch¬
französischen Krieges, bei Buzenval, fand, hat durch seine Hinrichtung in Granada


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0158" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140509"/>
          <p xml:id="ID_487" prev="#ID_486"> ungen jedoch meist nicht beeinträchtigt erscheinen, mich der anderen, oben charcck-<lb/>
terisirten Richtung, die das Grauen mit Wollust mischt, die meisten Verehrer<lb/>
findet. Auf einem Bilde Dupain's, der aus der Schule Cabanel's hervorge¬<lb/>
gangen ist, wird der von den Räubern Ueberfcillene der schönen Parabel<lb/>
des Evangeliums von dem barmherzigen Samariter gerettet. Der Maler hat<lb/>
den Moment gewählt, wo zwei Diener des Samariters den Verwundeten in<lb/>
ein gastliches Haus tragen. Aber den Mittelpunkt des Bildes nimmt nicht der<lb/>
barmherzige Wohlthäter ein, sondern der nackte, gräßlich von Wunden entstellte<lb/>
Körper des Unglücklichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_488"> B. Constant, ein zweiter Schiller Cabanel's, schildert mit unvergleichlicher<lb/>
Verve, mit einer eminenten Darstellungskraft, die noch durch ein über alle<lb/>
Maßen glänzendes Kolorit gehoben wird, den Einzug Mohammed II. in Kon¬<lb/>
stantinopel nach der Eroberung dieser Stadt durch die Türken. Hinter dem<lb/>
Thore, durch welches der Khalif mit der grünen Fahne des Propheten auf<lb/>
weißem Rosse an der Spitze seines Gefolges einreitet, ist ein Leichenhaufen<lb/>
zusammengethürmt, ein Denkmal der Verzweiflung, mit welcher die Christen<lb/>
ihr letztes Bollwerk vertheidigt. Fürchterlich zerhauene, mit fahler Leichenblässe<lb/>
überzogene Schädel mit weit auseinander klaffenden Wunden grinsen dem Ein¬<lb/>
ziehenden aus den Ecken entgegen, große Blutlachen besudeln den mit Trüm¬<lb/>
mern bedeckten Boden und bei jedem Schritte zertritt das Roß des Khalifen<lb/>
einen Sterbenden. Der erste, über den die Hufe der Pferde lnnwegschreiten,<lb/>
ist ein christlicher Priester, der mit dem Kreuze in der Hand den Streitern der<lb/>
Kirche in den Tod vorausgegangen ist. Cormon, ein dritter Schüler Cabanel's,<lb/>
schildert mit gleichen glühenden Farben ein indisches Schlachtfeld nach dem<lb/>
Ramayana, ein Schlachtfeld, auf dem der Leichnam des Königs von Lanka<lb/>
liegt, der von seinen Weibern beweint wird. Man sieht also, wie findig die<lb/>
französischen Maler in der Ermittlung ihrer Stoffe sind. Es giebt kein noch<lb/>
so entlegenes literarisches Hülfsmittel, das sich ihren Forscherangen entzieht.<lb/>
Die Bücher der jüdischen Könige, die Annalen der römischen Kaiser, die Hof¬<lb/>
geschichten von Byzanz, die Märthrerlegenden der Kirchenväter und die Chro¬<lb/>
niken des Mittelalters, die Sagen des Orients und die griechischen Mythen<lb/>
durchstöbern sie mit gleicher Gewissenhaftigkeit nach Stoffen, welche das Sen¬<lb/>
sationsbedürfniß der Menge befriedigen, welche die niedrigsten Sinne kitzeln.<lb/>
Auch der Künstler soll wie der Dichter ein Bildner seines Volkes sein. Sehen<lb/>
wir weiter zu, wie die französischen Maler ihre Mission, die Sitten des Volkes<lb/>
zu veredeln und den Geschmack zu läutern, erfüllen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_489" next="#ID_490"> Henri Regnault, Cabanel's begabtester Schüler, der Stolz und die Hoff¬<lb/>
nung Frankreich's, der seinen Tod in einem der letzten Kämpfe des deutsch¬<lb/>
französischen Krieges, bei Buzenval, fand, hat durch seine Hinrichtung in Granada</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0158] ungen jedoch meist nicht beeinträchtigt erscheinen, mich der anderen, oben charcck- terisirten Richtung, die das Grauen mit Wollust mischt, die meisten Verehrer findet. Auf einem Bilde Dupain's, der aus der Schule Cabanel's hervorge¬ gangen ist, wird der von den Räubern Ueberfcillene der schönen Parabel des Evangeliums von dem barmherzigen Samariter gerettet. Der Maler hat den Moment gewählt, wo zwei Diener des Samariters den Verwundeten in ein gastliches Haus tragen. Aber den Mittelpunkt des Bildes nimmt nicht der barmherzige Wohlthäter ein, sondern der nackte, gräßlich von Wunden entstellte Körper des Unglücklichen. B. Constant, ein zweiter Schiller Cabanel's, schildert mit unvergleichlicher Verve, mit einer eminenten Darstellungskraft, die noch durch ein über alle Maßen glänzendes Kolorit gehoben wird, den Einzug Mohammed II. in Kon¬ stantinopel nach der Eroberung dieser Stadt durch die Türken. Hinter dem Thore, durch welches der Khalif mit der grünen Fahne des Propheten auf weißem Rosse an der Spitze seines Gefolges einreitet, ist ein Leichenhaufen zusammengethürmt, ein Denkmal der Verzweiflung, mit welcher die Christen ihr letztes Bollwerk vertheidigt. Fürchterlich zerhauene, mit fahler Leichenblässe überzogene Schädel mit weit auseinander klaffenden Wunden grinsen dem Ein¬ ziehenden aus den Ecken entgegen, große Blutlachen besudeln den mit Trüm¬ mern bedeckten Boden und bei jedem Schritte zertritt das Roß des Khalifen einen Sterbenden. Der erste, über den die Hufe der Pferde lnnwegschreiten, ist ein christlicher Priester, der mit dem Kreuze in der Hand den Streitern der Kirche in den Tod vorausgegangen ist. Cormon, ein dritter Schüler Cabanel's, schildert mit gleichen glühenden Farben ein indisches Schlachtfeld nach dem Ramayana, ein Schlachtfeld, auf dem der Leichnam des Königs von Lanka liegt, der von seinen Weibern beweint wird. Man sieht also, wie findig die französischen Maler in der Ermittlung ihrer Stoffe sind. Es giebt kein noch so entlegenes literarisches Hülfsmittel, das sich ihren Forscherangen entzieht. Die Bücher der jüdischen Könige, die Annalen der römischen Kaiser, die Hof¬ geschichten von Byzanz, die Märthrerlegenden der Kirchenväter und die Chro¬ niken des Mittelalters, die Sagen des Orients und die griechischen Mythen durchstöbern sie mit gleicher Gewissenhaftigkeit nach Stoffen, welche das Sen¬ sationsbedürfniß der Menge befriedigen, welche die niedrigsten Sinne kitzeln. Auch der Künstler soll wie der Dichter ein Bildner seines Volkes sein. Sehen wir weiter zu, wie die französischen Maler ihre Mission, die Sitten des Volkes zu veredeln und den Geschmack zu läutern, erfüllen! Henri Regnault, Cabanel's begabtester Schüler, der Stolz und die Hoff¬ nung Frankreich's, der seinen Tod in einem der letzten Kämpfe des deutsch¬ französischen Krieges, bei Buzenval, fand, hat durch seine Hinrichtung in Granada

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/158
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/158>, abgerufen am 22.07.2024.