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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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akademische Kunstausstellung in Berlin, die bisher nur alle zwei Jahre statt¬
fand und die jetzt ein ziemlich vollständiges Bild von der künstlerischen Be¬
wegung Deutschland's entrollt, hat noch nie mehr als 1400 Kunstwerke umfaßt.
Diese Zahlen bedürfen keines Kommentars.

In der Kunsthalle auf dem Marsfelde sind also diejenigen Gemälde aus¬
gestellt, aus welchen der Minister der schonen Künste die "Renaissance" der
Historienmalerei konstatirt hat.

Das erste charakteristische Merkmal, das uns zunächst augenfällig entgegen¬
tritt, ist ein negatives: die französische Historienmalerei steht in keinem Zu¬
sammenhange mit dem Volke und seiner Tradition, sie schöpft nicht aus der
Geschichte oder der Sage des eigenen Landes. Unter den 861 Bildern, die
auf dem Marsfelde zu sehen sind, wird man kaum ein Dutzend finden, die in
Zusammenhang mit der großen Vergangenheit Frankreich's stehen. Die in poli¬
tischer Hinsicht unglückselige Gegenwart legt ohne Zweifel den Historienmalern
allerlei Hindernisse in den Weg, die sich am Ende so aufthürmen, daß sie
Niemand mehr zu übersteigen wagt. Eine Verherrlichung des absoluten König¬
thums wäre heute ebenso anstößig wie eine Glorification der napoleonischen
Siege, und die Erinnerung an die Schreckenstage der Kommune benimmt den
Malern die Lust, sich an den Großthaten der ersten Revolution zu begeistern.
Es bliebe noch der Verzweiflungskampf der Republik gegen die verbündeten
Heere Deutschland's, aber die französische Regierung hat in anerkennenswerther
Courtoisie -- wie sie sich selbst in der darauf bezüglichen Verordnung ausdrückt:
xar Ass raisons Äo d.s,ues ooirvsQÄQos -- alle aus den Ereignissen des letzten
Krieges geschöpften Bilder sowohl von der Weltausstellung als auch von dem
Salon des Jahres 1878 ausgeschlossen. Selbstverständlich ist die deutsche
Kunstausstellungskommission von demselben Grundsatze ausgegangen, und so
kam es, daß die Franzosen auch heute wiederum dasselbe Urtheil über die
deutsche Historienmalerei ausgesprochen haben, das sie vor zehn Jahren gefällt:
sie befindet sich im Stillstand oder gar in der Decadence. Thatsächlich liegt
aber die Stärke der deutschen Historienmalerei jüngster Zeit in den Gemälden,
welche die Siege der deutschen Waffen verherrlicht haben, während die fran¬
zösischen Bilder, so vorzüglich sie an sich sind und so sehr sie in mannigfacher
Hinsicht den deutscheu überlegen sind, in ihrer Gesammtheit nicht den Anspruch
auf den Charakter historischer Gemälde erheben können, sondern nur die Be¬
deutung des Genrebildes haben, weil sie nicht über die Episode hinausgehen.
Die französischen Kriegsmaler -- sie gehören zu den talentvollsten und besten
der Nation ^ haben ihre neuesten Schöpfungen in einer Privatausstellung
dem Publikum geboten, die so interessant ist, daß ich noch näher auf dieselbe
zurückkommen werde.


akademische Kunstausstellung in Berlin, die bisher nur alle zwei Jahre statt¬
fand und die jetzt ein ziemlich vollständiges Bild von der künstlerischen Be¬
wegung Deutschland's entrollt, hat noch nie mehr als 1400 Kunstwerke umfaßt.
Diese Zahlen bedürfen keines Kommentars.

In der Kunsthalle auf dem Marsfelde sind also diejenigen Gemälde aus¬
gestellt, aus welchen der Minister der schonen Künste die „Renaissance" der
Historienmalerei konstatirt hat.

Das erste charakteristische Merkmal, das uns zunächst augenfällig entgegen¬
tritt, ist ein negatives: die französische Historienmalerei steht in keinem Zu¬
sammenhange mit dem Volke und seiner Tradition, sie schöpft nicht aus der
Geschichte oder der Sage des eigenen Landes. Unter den 861 Bildern, die
auf dem Marsfelde zu sehen sind, wird man kaum ein Dutzend finden, die in
Zusammenhang mit der großen Vergangenheit Frankreich's stehen. Die in poli¬
tischer Hinsicht unglückselige Gegenwart legt ohne Zweifel den Historienmalern
allerlei Hindernisse in den Weg, die sich am Ende so aufthürmen, daß sie
Niemand mehr zu übersteigen wagt. Eine Verherrlichung des absoluten König¬
thums wäre heute ebenso anstößig wie eine Glorification der napoleonischen
Siege, und die Erinnerung an die Schreckenstage der Kommune benimmt den
Malern die Lust, sich an den Großthaten der ersten Revolution zu begeistern.
Es bliebe noch der Verzweiflungskampf der Republik gegen die verbündeten
Heere Deutschland's, aber die französische Regierung hat in anerkennenswerther
Courtoisie — wie sie sich selbst in der darauf bezüglichen Verordnung ausdrückt:
xar Ass raisons Äo d.s,ues ooirvsQÄQos — alle aus den Ereignissen des letzten
Krieges geschöpften Bilder sowohl von der Weltausstellung als auch von dem
Salon des Jahres 1878 ausgeschlossen. Selbstverständlich ist die deutsche
Kunstausstellungskommission von demselben Grundsatze ausgegangen, und so
kam es, daß die Franzosen auch heute wiederum dasselbe Urtheil über die
deutsche Historienmalerei ausgesprochen haben, das sie vor zehn Jahren gefällt:
sie befindet sich im Stillstand oder gar in der Decadence. Thatsächlich liegt
aber die Stärke der deutschen Historienmalerei jüngster Zeit in den Gemälden,
welche die Siege der deutschen Waffen verherrlicht haben, während die fran¬
zösischen Bilder, so vorzüglich sie an sich sind und so sehr sie in mannigfacher
Hinsicht den deutscheu überlegen sind, in ihrer Gesammtheit nicht den Anspruch
auf den Charakter historischer Gemälde erheben können, sondern nur die Be¬
deutung des Genrebildes haben, weil sie nicht über die Episode hinausgehen.
Die französischen Kriegsmaler — sie gehören zu den talentvollsten und besten
der Nation ^ haben ihre neuesten Schöpfungen in einer Privatausstellung
dem Publikum geboten, die so interessant ist, daß ich noch näher auf dieselbe
zurückkommen werde.


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[0154] akademische Kunstausstellung in Berlin, die bisher nur alle zwei Jahre statt¬ fand und die jetzt ein ziemlich vollständiges Bild von der künstlerischen Be¬ wegung Deutschland's entrollt, hat noch nie mehr als 1400 Kunstwerke umfaßt. Diese Zahlen bedürfen keines Kommentars. In der Kunsthalle auf dem Marsfelde sind also diejenigen Gemälde aus¬ gestellt, aus welchen der Minister der schonen Künste die „Renaissance" der Historienmalerei konstatirt hat. Das erste charakteristische Merkmal, das uns zunächst augenfällig entgegen¬ tritt, ist ein negatives: die französische Historienmalerei steht in keinem Zu¬ sammenhange mit dem Volke und seiner Tradition, sie schöpft nicht aus der Geschichte oder der Sage des eigenen Landes. Unter den 861 Bildern, die auf dem Marsfelde zu sehen sind, wird man kaum ein Dutzend finden, die in Zusammenhang mit der großen Vergangenheit Frankreich's stehen. Die in poli¬ tischer Hinsicht unglückselige Gegenwart legt ohne Zweifel den Historienmalern allerlei Hindernisse in den Weg, die sich am Ende so aufthürmen, daß sie Niemand mehr zu übersteigen wagt. Eine Verherrlichung des absoluten König¬ thums wäre heute ebenso anstößig wie eine Glorification der napoleonischen Siege, und die Erinnerung an die Schreckenstage der Kommune benimmt den Malern die Lust, sich an den Großthaten der ersten Revolution zu begeistern. Es bliebe noch der Verzweiflungskampf der Republik gegen die verbündeten Heere Deutschland's, aber die französische Regierung hat in anerkennenswerther Courtoisie — wie sie sich selbst in der darauf bezüglichen Verordnung ausdrückt: xar Ass raisons Äo d.s,ues ooirvsQÄQos — alle aus den Ereignissen des letzten Krieges geschöpften Bilder sowohl von der Weltausstellung als auch von dem Salon des Jahres 1878 ausgeschlossen. Selbstverständlich ist die deutsche Kunstausstellungskommission von demselben Grundsatze ausgegangen, und so kam es, daß die Franzosen auch heute wiederum dasselbe Urtheil über die deutsche Historienmalerei ausgesprochen haben, das sie vor zehn Jahren gefällt: sie befindet sich im Stillstand oder gar in der Decadence. Thatsächlich liegt aber die Stärke der deutschen Historienmalerei jüngster Zeit in den Gemälden, welche die Siege der deutschen Waffen verherrlicht haben, während die fran¬ zösischen Bilder, so vorzüglich sie an sich sind und so sehr sie in mannigfacher Hinsicht den deutscheu überlegen sind, in ihrer Gesammtheit nicht den Anspruch auf den Charakter historischer Gemälde erheben können, sondern nur die Be¬ deutung des Genrebildes haben, weil sie nicht über die Episode hinausgehen. Die französischen Kriegsmaler — sie gehören zu den talentvollsten und besten der Nation ^ haben ihre neuesten Schöpfungen in einer Privatausstellung dem Publikum geboten, die so interessant ist, daß ich noch näher auf dieselbe zurückkommen werde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/154>, abgerufen am 22.07.2024.