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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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in der Zeit des inneren Friedens keine Proben abgelegt haben -- würden
unmittelbar nach einem solchen Kampf bis aufs Messer die bethörten Massen
dahin zu bringen sein, daß sie den nnter Strömen von Blut besiegten Geg¬
nern nicht nur das Leben, sondern anch auf eine Reihe von Jahren hinaus
eine bevorzugte soziale Stellung einräumten? In der That glaubt das auch
Schaffte selbst nicht. An einer Stelle (S. 18) spricht er von der Geneigtheit
des Sozialismus, "den jetzigen Privateigenthümern, wenn diese sich nur
gutwillig expropriiren ließen, eine Ablösungsentschädigung zu leisten."
Wenn sie nur gutwillig sich expropriiren ließen! Aber daß sie nicht gutwillig
ihr rechtmäßiges Eigenthum für ein durchaus prekäres, ungenügendes Aequi-
valent hingeben werden, ist so sonnenklar, daß es keines weiteren Beweises
bedarf.

Wird ein schreiendes Unrecht etwa dadurch zum Recht, daß es gewaltsam
durch Mord und Todtschlag ins Werk gesetzt wird? Und doch verliert Schaffte
über die Rechtsfrage in diesem, praktisch einzig möglichen Fall kein Wort!

Wir haben gesehen, in wie hohem Grade es unwahrscheinlich ist, daß der
von den Sozialdemokraten geplante Umsturz unserer heutigen Gesellschafts¬
ordnung friedlich und ohne Blut bewerkstelligt werden würde. Aber um alle
Möglichkeiten zu erschöpfen, wollen wir einmal einnehmen, daß dieser kaum
denkbare Fall wirklich einträte. Auch dann würde es den Leitern des soziali¬
stisch gewordenen Staates aus wirthschaftlichen wie aus politischen Gründen
geradezu unmöglich sein, jene projektirte und wie wir gesehen haben, völlig
ungenügende Ablösung wirklich durchzuführen, selbst wenn sie den ernsten
Willen dazu hätten. Bekanntlich vermehrt sich die Bevölkerungszahl aller
europäischen Staaten alljährlich, und zwar die Deutschland's in besonders
hohem Grade. Der dadurch verengte Nahrungsspielraum kaun nur in der
Weise wieder erweitert werden, daß zu den schon vorhandenen Produktiv¬
kapitalien neue hinzukommen. Da die Bodenfläche nicht beliebig vermehrbar
ist, so muß auf die Landwirthschaft immer mehr Kapital und Arbeit aufge¬
wandt werden in Gestalt von Drciinirungen, künstlichen Dungmitteln, land-
wirthschaftlichen Maschinen u. s. w. Da auch der so gesteigerte Ertrag der
Landwirthschaft in den höher kultivirten Ländern die fortwährend steigende
Bevölkerung nicht zu ernähren im Stande ist, so muß immer mehr Getreide
u. s. w. aus dem Ausland eingeführt werden. Um die Mittel zum Ankauf
desselben zu gewinnen, muß die Produktivität und die Exportfähigkeit der ein¬
heimischen Industrie durch Errichtung neuer Fabriken, Einführung neuer
Maschinen sort und fort erhöht werden. Der Güteraustausch (Handel) muß
durch Anlegung neuer Verkehrswege, durch Eisenbahn-, Kanal- und Hafen¬
bauten, durch Stromregulirungen befördert werden.


in der Zeit des inneren Friedens keine Proben abgelegt haben — würden
unmittelbar nach einem solchen Kampf bis aufs Messer die bethörten Massen
dahin zu bringen sein, daß sie den nnter Strömen von Blut besiegten Geg¬
nern nicht nur das Leben, sondern anch auf eine Reihe von Jahren hinaus
eine bevorzugte soziale Stellung einräumten? In der That glaubt das auch
Schaffte selbst nicht. An einer Stelle (S. 18) spricht er von der Geneigtheit
des Sozialismus, „den jetzigen Privateigenthümern, wenn diese sich nur
gutwillig expropriiren ließen, eine Ablösungsentschädigung zu leisten."
Wenn sie nur gutwillig sich expropriiren ließen! Aber daß sie nicht gutwillig
ihr rechtmäßiges Eigenthum für ein durchaus prekäres, ungenügendes Aequi-
valent hingeben werden, ist so sonnenklar, daß es keines weiteren Beweises
bedarf.

Wird ein schreiendes Unrecht etwa dadurch zum Recht, daß es gewaltsam
durch Mord und Todtschlag ins Werk gesetzt wird? Und doch verliert Schaffte
über die Rechtsfrage in diesem, praktisch einzig möglichen Fall kein Wort!

Wir haben gesehen, in wie hohem Grade es unwahrscheinlich ist, daß der
von den Sozialdemokraten geplante Umsturz unserer heutigen Gesellschafts¬
ordnung friedlich und ohne Blut bewerkstelligt werden würde. Aber um alle
Möglichkeiten zu erschöpfen, wollen wir einmal einnehmen, daß dieser kaum
denkbare Fall wirklich einträte. Auch dann würde es den Leitern des soziali¬
stisch gewordenen Staates aus wirthschaftlichen wie aus politischen Gründen
geradezu unmöglich sein, jene projektirte und wie wir gesehen haben, völlig
ungenügende Ablösung wirklich durchzuführen, selbst wenn sie den ernsten
Willen dazu hätten. Bekanntlich vermehrt sich die Bevölkerungszahl aller
europäischen Staaten alljährlich, und zwar die Deutschland's in besonders
hohem Grade. Der dadurch verengte Nahrungsspielraum kaun nur in der
Weise wieder erweitert werden, daß zu den schon vorhandenen Produktiv¬
kapitalien neue hinzukommen. Da die Bodenfläche nicht beliebig vermehrbar
ist, so muß auf die Landwirthschaft immer mehr Kapital und Arbeit aufge¬
wandt werden in Gestalt von Drciinirungen, künstlichen Dungmitteln, land-
wirthschaftlichen Maschinen u. s. w. Da auch der so gesteigerte Ertrag der
Landwirthschaft in den höher kultivirten Ländern die fortwährend steigende
Bevölkerung nicht zu ernähren im Stande ist, so muß immer mehr Getreide
u. s. w. aus dem Ausland eingeführt werden. Um die Mittel zum Ankauf
desselben zu gewinnen, muß die Produktivität und die Exportfähigkeit der ein¬
heimischen Industrie durch Errichtung neuer Fabriken, Einführung neuer
Maschinen sort und fort erhöht werden. Der Güteraustausch (Handel) muß
durch Anlegung neuer Verkehrswege, durch Eisenbahn-, Kanal- und Hafen¬
bauten, durch Stromregulirungen befördert werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/148>, abgerufen am 25.08.2024.