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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Zu allen diesen Zwecken bedarf es des Kapitals und der Arbeit. Die Zahl der
vorhandenen Arbeiter (im weitesten Sinne!) wächst mit der Bevölkerungsziffer.
Damit aber das zahlreicher werdende Volk nicht verarme und in immer größeres
Elend gerathe, bedarf es auch einer Zunahme der Kapitalien. Diese geschieht
in der heutigen Gesellschaft vornehmlich dadurch, daß die "kapitalistischen Plus¬
macher" einen Theil ihrer Einnahmen nicht verzehren, sondern zum Vortheil
nicht nur ihrer eigenen Tasche, sondern anch der Gesammtheit und insbesondere
der arbeitenden Klasse wieder produktiv anlegen. Wollte nun der sozialistische
Staat in jener Uebergangsperiode von 30--50 Jahren ihnen den größeren
Theil ihrer bisherigen Einnahmen (in dem früher von uns erwähnten Beispiel
62^/2 °/o derselben) in Gennßmittelraten weiterzahlen, so würde die Höhe der
unproduktiven Konsumtion gesteigert, der Volkswohlstand auf die Dauer, ganz
abgesehen von den Wirkungen der sozialistischen Gesellschaftsverfassung, ruinirt
werden. Dem die produktive Verwendung jener Ablösungsraten würde ja
verboten und, wenigstens nach Schaffte, auch völlig unmöglich sein.

Es würde der Fall eintreten können, daß im Staate der sozialen Gleich¬
heit solche "Natenempfänger" Genußmittel, die sie selbst nicht mehr konsnmiren
könnten, unbenutzt zu Grunde gehen ließen, während viele ihrer Mitbürger sie
sehr gut gebrauchen könnten. Wahrscheinlich würde man sie dann zwingen,
ihren Ueberfluß zu "verschenken". Aber ein Verfahren, wobei man mit der
einen Hand giebt und mit der andern wieder nimmt, wäre in der That eine
klassische Ablösung!

Ein freiwilliges Verschenken wiederum hätte seine sehr bedenkliche Seite für
den sozialistischen Staat. In den ersten Jahrzehnten würde es sicher eine
starke Partei in demselben geben, welche die Rückkehr zu der alten Gesellschafts¬
ordnung , wünschte. Das Gros der bisherigen höheren Stände würde gar bald
durch Millionen bisheriger Kleinbürger und Handarbeiter verstärkt werden, die
ihre in der Regel selbst über das Maß dessen, was einem Marx u. s. w.
möglich scheint, weit hinausgehenden utopistischen Ideale nicht verwirklicht sähen.
Wäre es bei solchen Zuständen den bisherigen Reichen möglich, diese Partei
unter den Massen dnrch freigebige Spenden von Genußmitteln zu verstärken,
so nähme der sozialistische Staat gar bald ein Ende mit Schrecken.

Die projektirte Ablösung der privaten Produktivkapitalien ist also nicht
nur durchaus ungenügend, sondern auch unter allen Umständen unausführbar.
In der That ist sie auch für die sozialistische Partei nur dazu auf dem Papiere
vorhanden, um Leuten, die noch einiges Rechtsgefühl haben, ihre Bedenken
gegen den großartigen Raubplan wegzneskamotiren. Herr Bebel sagt sogar
von dieser Ablösung in der oben erwähnten Reichstngsrede vom 18. April 1877
gar Nichts. Er thut so - und das ist freilich das Bequemste zur Beseitigung


Zu allen diesen Zwecken bedarf es des Kapitals und der Arbeit. Die Zahl der
vorhandenen Arbeiter (im weitesten Sinne!) wächst mit der Bevölkerungsziffer.
Damit aber das zahlreicher werdende Volk nicht verarme und in immer größeres
Elend gerathe, bedarf es auch einer Zunahme der Kapitalien. Diese geschieht
in der heutigen Gesellschaft vornehmlich dadurch, daß die „kapitalistischen Plus¬
macher" einen Theil ihrer Einnahmen nicht verzehren, sondern zum Vortheil
nicht nur ihrer eigenen Tasche, sondern anch der Gesammtheit und insbesondere
der arbeitenden Klasse wieder produktiv anlegen. Wollte nun der sozialistische
Staat in jener Uebergangsperiode von 30—50 Jahren ihnen den größeren
Theil ihrer bisherigen Einnahmen (in dem früher von uns erwähnten Beispiel
62^/2 °/o derselben) in Gennßmittelraten weiterzahlen, so würde die Höhe der
unproduktiven Konsumtion gesteigert, der Volkswohlstand auf die Dauer, ganz
abgesehen von den Wirkungen der sozialistischen Gesellschaftsverfassung, ruinirt
werden. Dem die produktive Verwendung jener Ablösungsraten würde ja
verboten und, wenigstens nach Schaffte, auch völlig unmöglich sein.

Es würde der Fall eintreten können, daß im Staate der sozialen Gleich¬
heit solche „Natenempfänger" Genußmittel, die sie selbst nicht mehr konsnmiren
könnten, unbenutzt zu Grunde gehen ließen, während viele ihrer Mitbürger sie
sehr gut gebrauchen könnten. Wahrscheinlich würde man sie dann zwingen,
ihren Ueberfluß zu „verschenken". Aber ein Verfahren, wobei man mit der
einen Hand giebt und mit der andern wieder nimmt, wäre in der That eine
klassische Ablösung!

Ein freiwilliges Verschenken wiederum hätte seine sehr bedenkliche Seite für
den sozialistischen Staat. In den ersten Jahrzehnten würde es sicher eine
starke Partei in demselben geben, welche die Rückkehr zu der alten Gesellschafts¬
ordnung , wünschte. Das Gros der bisherigen höheren Stände würde gar bald
durch Millionen bisheriger Kleinbürger und Handarbeiter verstärkt werden, die
ihre in der Regel selbst über das Maß dessen, was einem Marx u. s. w.
möglich scheint, weit hinausgehenden utopistischen Ideale nicht verwirklicht sähen.
Wäre es bei solchen Zuständen den bisherigen Reichen möglich, diese Partei
unter den Massen dnrch freigebige Spenden von Genußmitteln zu verstärken,
so nähme der sozialistische Staat gar bald ein Ende mit Schrecken.

Die projektirte Ablösung der privaten Produktivkapitalien ist also nicht
nur durchaus ungenügend, sondern auch unter allen Umständen unausführbar.
In der That ist sie auch für die sozialistische Partei nur dazu auf dem Papiere
vorhanden, um Leuten, die noch einiges Rechtsgefühl haben, ihre Bedenken
gegen den großartigen Raubplan wegzneskamotiren. Herr Bebel sagt sogar
von dieser Ablösung in der oben erwähnten Reichstngsrede vom 18. April 1877
gar Nichts. Er thut so - und das ist freilich das Bequemste zur Beseitigung


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[0149] Zu allen diesen Zwecken bedarf es des Kapitals und der Arbeit. Die Zahl der vorhandenen Arbeiter (im weitesten Sinne!) wächst mit der Bevölkerungsziffer. Damit aber das zahlreicher werdende Volk nicht verarme und in immer größeres Elend gerathe, bedarf es auch einer Zunahme der Kapitalien. Diese geschieht in der heutigen Gesellschaft vornehmlich dadurch, daß die „kapitalistischen Plus¬ macher" einen Theil ihrer Einnahmen nicht verzehren, sondern zum Vortheil nicht nur ihrer eigenen Tasche, sondern anch der Gesammtheit und insbesondere der arbeitenden Klasse wieder produktiv anlegen. Wollte nun der sozialistische Staat in jener Uebergangsperiode von 30—50 Jahren ihnen den größeren Theil ihrer bisherigen Einnahmen (in dem früher von uns erwähnten Beispiel 62^/2 °/o derselben) in Gennßmittelraten weiterzahlen, so würde die Höhe der unproduktiven Konsumtion gesteigert, der Volkswohlstand auf die Dauer, ganz abgesehen von den Wirkungen der sozialistischen Gesellschaftsverfassung, ruinirt werden. Dem die produktive Verwendung jener Ablösungsraten würde ja verboten und, wenigstens nach Schaffte, auch völlig unmöglich sein. Es würde der Fall eintreten können, daß im Staate der sozialen Gleich¬ heit solche „Natenempfänger" Genußmittel, die sie selbst nicht mehr konsnmiren könnten, unbenutzt zu Grunde gehen ließen, während viele ihrer Mitbürger sie sehr gut gebrauchen könnten. Wahrscheinlich würde man sie dann zwingen, ihren Ueberfluß zu „verschenken". Aber ein Verfahren, wobei man mit der einen Hand giebt und mit der andern wieder nimmt, wäre in der That eine klassische Ablösung! Ein freiwilliges Verschenken wiederum hätte seine sehr bedenkliche Seite für den sozialistischen Staat. In den ersten Jahrzehnten würde es sicher eine starke Partei in demselben geben, welche die Rückkehr zu der alten Gesellschafts¬ ordnung , wünschte. Das Gros der bisherigen höheren Stände würde gar bald durch Millionen bisheriger Kleinbürger und Handarbeiter verstärkt werden, die ihre in der Regel selbst über das Maß dessen, was einem Marx u. s. w. möglich scheint, weit hinausgehenden utopistischen Ideale nicht verwirklicht sähen. Wäre es bei solchen Zuständen den bisherigen Reichen möglich, diese Partei unter den Massen dnrch freigebige Spenden von Genußmitteln zu verstärken, so nähme der sozialistische Staat gar bald ein Ende mit Schrecken. Die projektirte Ablösung der privaten Produktivkapitalien ist also nicht nur durchaus ungenügend, sondern auch unter allen Umständen unausführbar. In der That ist sie auch für die sozialistische Partei nur dazu auf dem Papiere vorhanden, um Leuten, die noch einiges Rechtsgefühl haben, ihre Bedenken gegen den großartigen Raubplan wegzneskamotiren. Herr Bebel sagt sogar von dieser Ablösung in der oben erwähnten Reichstngsrede vom 18. April 1877 gar Nichts. Er thut so - und das ist freilich das Bequemste zur Beseitigung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/149>, abgerufen am 22.07.2024.