Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.von Bildung gesättigter, echt menschlicher Beziehung, als eine Verwirklichung Die Theologie des neunzehnten Jahrhunderts kehrt zur Heilswahrheit Haben wir gezeigt, wie sich in der Gestaltung des evangelischen Pfarrhauses von Bildung gesättigter, echt menschlicher Beziehung, als eine Verwirklichung Die Theologie des neunzehnten Jahrhunderts kehrt zur Heilswahrheit Haben wir gezeigt, wie sich in der Gestaltung des evangelischen Pfarrhauses <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0014" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140365"/> <p xml:id="ID_21" prev="#ID_20"> von Bildung gesättigter, echt menschlicher Beziehung, als eine Verwirklichung<lb/> idyllischen Daseins. So gewinnt es Bürgerrecht in der poetischen Literatur.</p><lb/> <p xml:id="ID_22"> Die Theologie des neunzehnten Jahrhunderts kehrt zur Heilswahrheit<lb/> zurück, sucht aber den Erwerb der zurückgelegten Entwicklung, von Einseitig-<lb/> keiten befreit, festzuhalten, weil sie ihn in seinem letzten Grund im Evan¬<lb/> gelium selbst angelegt erkennt. Unveränderliche Grundlagen der Lehre, das<lb/> Erbe der Orthodoxie, Pflege des innern Seelenlebens und Zucht des Wandels,<lb/> den Ertrag pietistischer Mystik und Lebensführung, einen offnen Sinn für<lb/> alles wahrhaft Menschliche in Staat und Gesellschaft, in Wissenschaft, Kunst<lb/> und Poesie, den unveräußerlichen Gewinn der humanistischen Aufklärung —<lb/> sie sucht diese Güter auf dem Boden spezifisch-christlicher Erfahrung zu einen.<lb/> Schleiermacher gelingt es, ein Pfarrhaus zu gründen, in welchem, harmonisch<lb/> verbunden, diese Beziehungen sich ausgleichen, und es steht nicht allein. Aber<lb/> wie die Theologie der Gegenwart in vielen Farben schillert, indem sie bei der<lb/> Kombination der historischen Ergebnisse bald diese bald jene Entwicklung be¬<lb/> vorzugt, der Richtungen nicht zu gedenken, welche die Fundamente des Evan¬<lb/> geliums, ja der Religion überhaupt untergraben, so ist es anch schwer, in einem<lb/> Bilde das Pfarrhaus der Gegenwart zu zeichnen. Aber ein Zug ist allen Ge¬<lb/> stalten desselben, wo es treu und eifrig seiner Pflicht eingedenk ist, gemeinsam.<lb/> Es ist zum Kampf berufen. Die Loslösung der Massen von der Kirche, von<lb/> Glauben und Sitte, stellt neue und große Aufgaben. Die Seelsorge muß die<lb/> umfassendsten Dimensionen annehmen, die Liebesthätigkeit zur Vereinsthätigkeit<lb/> werden, um mit geeinten Kräften die Hindernisse zu besiegen, die Verlornen zu<lb/> gewinnen. Im Mittelpunkt dieser Bestrebungen steht das Pfarrhaus, dem<lb/> Pfarrer und der Pfarrfrau ist hier eine einflußreiche Stellung zugewiesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_23" next="#ID_24"> Haben wir gezeigt, wie sich in der Gestaltung des evangelischen Pfarrhauses<lb/> der Entwicklungsgang des christlichen Lebens in eigenthümlicher Weise abspie¬<lb/> gelt und damit zugleich der Verlauf, den das Volksleben nach seinen inner¬<lb/> lichsten Beziehungen, soweit es auf protestantischen Boden stand, genommen<lb/> hat, so bleibt uns jetzt noch übrig, mit wenigen Strichen den Gewinn zu be¬<lb/> zeichnen, der aus dem Pfarrhause der sittlichen Kultur zugeflossen ist. Als<lb/> solchen nennen wir zuerst die Weihe des Familienlebens. Wo der Priester-<lb/> Zölibat herrscht, ruht auf der Ehe ein Bann; wo der Stand, der die Pflege<lb/> des religiös-sittlichen Lebens zu seinem Inhalt hat, von der Ehe ausgeschlossen<lb/> ist, da entbehrt diese, da entbehrt das weibliche Geschlecht die ihm von der<lb/> göttlichen Naturordnung zuerkannte Ehre und Würde. Das evangelische Pfarr¬<lb/> haus hat beide in ihre angestammten Rechte eingesetzt. Und wie viel Güter<lb/> sind hierin eingeschlossen! Das Vertranensverhältniß zwischen Geistlichen und<lb/> Gemeinde, wie es in der Gemeinsamkeit der menschlichen Beziehung, irdischer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
von Bildung gesättigter, echt menschlicher Beziehung, als eine Verwirklichung
idyllischen Daseins. So gewinnt es Bürgerrecht in der poetischen Literatur.
Die Theologie des neunzehnten Jahrhunderts kehrt zur Heilswahrheit
zurück, sucht aber den Erwerb der zurückgelegten Entwicklung, von Einseitig-
keiten befreit, festzuhalten, weil sie ihn in seinem letzten Grund im Evan¬
gelium selbst angelegt erkennt. Unveränderliche Grundlagen der Lehre, das
Erbe der Orthodoxie, Pflege des innern Seelenlebens und Zucht des Wandels,
den Ertrag pietistischer Mystik und Lebensführung, einen offnen Sinn für
alles wahrhaft Menschliche in Staat und Gesellschaft, in Wissenschaft, Kunst
und Poesie, den unveräußerlichen Gewinn der humanistischen Aufklärung —
sie sucht diese Güter auf dem Boden spezifisch-christlicher Erfahrung zu einen.
Schleiermacher gelingt es, ein Pfarrhaus zu gründen, in welchem, harmonisch
verbunden, diese Beziehungen sich ausgleichen, und es steht nicht allein. Aber
wie die Theologie der Gegenwart in vielen Farben schillert, indem sie bei der
Kombination der historischen Ergebnisse bald diese bald jene Entwicklung be¬
vorzugt, der Richtungen nicht zu gedenken, welche die Fundamente des Evan¬
geliums, ja der Religion überhaupt untergraben, so ist es anch schwer, in einem
Bilde das Pfarrhaus der Gegenwart zu zeichnen. Aber ein Zug ist allen Ge¬
stalten desselben, wo es treu und eifrig seiner Pflicht eingedenk ist, gemeinsam.
Es ist zum Kampf berufen. Die Loslösung der Massen von der Kirche, von
Glauben und Sitte, stellt neue und große Aufgaben. Die Seelsorge muß die
umfassendsten Dimensionen annehmen, die Liebesthätigkeit zur Vereinsthätigkeit
werden, um mit geeinten Kräften die Hindernisse zu besiegen, die Verlornen zu
gewinnen. Im Mittelpunkt dieser Bestrebungen steht das Pfarrhaus, dem
Pfarrer und der Pfarrfrau ist hier eine einflußreiche Stellung zugewiesen.
Haben wir gezeigt, wie sich in der Gestaltung des evangelischen Pfarrhauses
der Entwicklungsgang des christlichen Lebens in eigenthümlicher Weise abspie¬
gelt und damit zugleich der Verlauf, den das Volksleben nach seinen inner¬
lichsten Beziehungen, soweit es auf protestantischen Boden stand, genommen
hat, so bleibt uns jetzt noch übrig, mit wenigen Strichen den Gewinn zu be¬
zeichnen, der aus dem Pfarrhause der sittlichen Kultur zugeflossen ist. Als
solchen nennen wir zuerst die Weihe des Familienlebens. Wo der Priester-
Zölibat herrscht, ruht auf der Ehe ein Bann; wo der Stand, der die Pflege
des religiös-sittlichen Lebens zu seinem Inhalt hat, von der Ehe ausgeschlossen
ist, da entbehrt diese, da entbehrt das weibliche Geschlecht die ihm von der
göttlichen Naturordnung zuerkannte Ehre und Würde. Das evangelische Pfarr¬
haus hat beide in ihre angestammten Rechte eingesetzt. Und wie viel Güter
sind hierin eingeschlossen! Das Vertranensverhältniß zwischen Geistlichen und
Gemeinde, wie es in der Gemeinsamkeit der menschlichen Beziehung, irdischer
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